Clausnitz – Reisegenuß

Fassungslos, wenn ich mir das im Internet kursierende YouTube-Video ansehe, wo eine pöbelnde, geifernde Menge Flüchtlinge bedroht. Ein Junge weint, Frauen, die verängstigt dreinblicken und dann ebenfalls weinen. Was muß in Menschen vorgehen, die da noch grölen und brüllen können, wenn sie ein Kind, eine Frau in Tränen sehen, wenn sie in verängstigte Gesichter blicken? Dumme Frage – gar nichts geht in denen vor. Das sind keine verunsicherten Bürger, sondern schlicht und ergreifend ist es widerwärtig. Wie schnell doch aus Zivilisation das Antizivilisatorische erwachsen kann. Die, die da pöblen und hetzen, sind dieselbe Leute, die sich über brutale Ausländer und unkultivierte Moslems mokieren. Der Begriff Abschaum bleibt dabei nur eine leere Abstraktion. Es sind Faschisten, die da stehen. Stumpf im Denken und im Empfinden gefühllos. Der autoritäre Charakter – wieviel Haß, Regression und Unzufriedenheit mit sich selbst und wieviel Ichschwäche müssen da mitschwingen? Die würden genauso die Häute dieser Geflüchteten zu Lampenschirmen verarbeiten, wenn man sie ließe, und brechen zugleich in Tränen aus, wenn Nachbars Lumpi aus Irrtum in den Mähdrescher sprintet. Nichts, rein gar nichts hat sich geändert. Die Banalität des Bösen. Opa war kein Nazi, das wird man doch nochmal sagen dürfen.

Nützt es etwas, daß man diesen Leuten wünscht, in ihre Häuser möge der Blitz einfahren und das Feuer lege all ihren Besitz, Haus und Hof in Asche? Daß man diese Menschen nach Syrien oder in den Irak verfrachten möchte, damit sie als Reisegenußabenteuerurlaub dort zwei Jahre verbringen dürfen?

Noch fassungsloser allerdings macht einen jenes Video, wo Polizisten einen Jungen aus dem Bus zerren. Der mit dem Schweinsgesicht, der Klops-Cop, der erbarmungslos zugreift und das Kind packt. Was wird mit diesen Beamten passieren? Gar nichts.

Immerhin aber, das muß man lobend erwähnen, hat die Polizei Sachsen verhindert, daß der Mob auf Kinder und Frauen einprügelt. Das überlassen die nämlich nicht gerne anderen, das machen die Polizisten vor Ort lieber selber.

Was Adorno über den Antisemitismus schreibt, gilt ähnlich fürs Heute, mit leicht geänderten Begrifflichkeiten:

„Man geht dabei allzusehr von der Voraussetzung aus, der Antisemitismus habe etwas Wesentliches mit Juden zu tun und könne durch konkrete Erfahrungen mit Juden bekämpft werden, während der genuine Antisemit vielmehr dadurch definiert ist, daß er überhaupt keine Erfahrung machen kann, daß er sich nicht ansprechen läßt.“ (Th. W. Adorno, Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit)

„Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch“. Zynisch selbst die Leuchtschrift des Busses, passend aber zu den grölenden Haß-Menschen, die solche Schriftzüge genausogut über den Torbögen anbringen würden. Heute vermutlich als Digitallaufband in Endlosschleife. All of old, nothing else ever …

Der böse Kamerad. – Eigentlich müßte ich den Faschismus aus der Erinnerung meiner Kindheit ableiten können. Wie ein Eroberer in fernste Provinzen, hatte er dorthin seine Sendboten vorausgeschickt, längst ehe er einzog: meine Schulkameraden. Wenn die Bürgerklasse seit undenklichen Zeiten den Traum der wüsten Volksgemeinschaft, der Unterdrückung aller durch alle hegt, dann haben Kinder, die schon mit Vornamen Horst und Jürgen und mit Nachnamen Bergenroth, Bojunga und Eckhardt hießen, den Traum tragiert, ehe die Erwachsenen historisch reif dazu waren, ihn zu verwirklichen.“ (Adorno, Minima Moralia)