Über die Ausstellung „Ostzeit.
Geschichten aus einem vergangenen Land“
Viel ist zur DDR gesagt, geschrieben und gezeigt worden, auch im Gebiet des Ästhetischen. Zahlreiche Ausstellungen, Dokumentationen, Photographien gab es bereits zu sehen, und auch dieser Blog hat seine Photo-Serie „20 Jahre keine DDR“ laufen, die in unregelmäßigen Abständen fortgesetzt wird. Im Jahr des Mauerfalls und im darauf folgenden der Vereinigung beider Staaten ist ziemlich sicher damit zu rechnen, daß auch die ästhetischen Auseinandersetzungen mit der DDR zunehmen werden, was ja zu erhoffen ist. Zu wünschen wäre zudem eine umfassende Ausstellung zur DDR. Vor zehn Jahren in Weimar wurde diese Chance bezüglich der Bildenden Kunst leider kläglich und kleinlich verspielt.
Nun gibt es im „Haus der Kulturen“ in Berlin – leider nur noch bis zum 13.9.2009 – eine kleine, aber nichtsdestotrotz gelungene Photographie-Ausstellung von vier DDR-Photographen (und einem Westphotographen) über deren Ansichten zu einem mittlerweile untergegangenes Land zu sehen. Es handelt sich bei den Bildern in dieser Ausstellung wesentlich um Alltagsphotographien und Dokumente aus den 70er und 80er Jahren der DDR. Dinge, Szenen, ein Ambiente, das es heute und dieser Art nicht mehr gibt. So kann man im „Haus der Kulturen“ die Photos von Sibylle Bergemann, Harald Hauswald, Ute Mahler, Werner Mahler und Maurice Weiss (Westdeutschland) sehen, die sich mit ganz unterschiedlichen Themenkomplexen beschäftigen.
Im wesentlichen sind diese Photographien Dokumente und Impressionen über ein verschwundenes, abgewickeltes Land; sie handeln von einer Zeit, die so nicht mehr existiert. Dies macht sicherlich für den unbefangenen Betrachter einen fast pervers ethnologischen Reiz aus, aber auch der DDR-Kundige, welcher einmal in diesem Land lebte, wird diesen Bildern sicher einiges abgewinnen können oder zumindest leise raunen: „Ja, so war es in der Tat.“
Doch sind diese Photographien weit mehr und zugleich auch sehr viel weniger als ein Zeitdokument. Denn sie liefern eine rein subjektive Sicht auf verschiedene Aspekte, unter denen man ein Land und seine Lebenswelten betrachten kann. Insofern ist diese Ausstellung nicht repräsentativ für eine umfassende Sicht auf die DDR, auf ihren Alltag, ihre Menschen, weil sie zu wenig Bildmaterial ausbreitet, zu wenige Photographen sprechen läßt, als daß es (soziologisch oder photographieästhetisch) umfassend sein könnte. Man muß diese Ausstellung deshalb als eine subjektive Auswahl annehmen, die einzelne Aspekte ausbelichtet; eben – wie es der Ausstellungstitel bereits sagt – als „Geschichten“ betrachten, die nie das Ganze, sondern die Aspekte, Ausschnitte, willkürlichen Eindrücke und Teile zeigen und damit eben dem Subjektiven verhaftet sind. Es bleibt also der Fragmentcharakter hervorzuheben, was jedoch im Falle dieses Sujets wiederum ganz gut paßt.
Was aber kann man im „Haus der Kulturen“ sehen? Unterschiedliches wird da in reiner Schwarz/weiß-Photographie ausgestellt. Da sind zunächst Harald Hauswalds Bilder vom DDR-Alltag: Männer, die in der U-Bahn zur Arbeit fahren, eine Kneipenszene, die obligatorische Warteschlange darf nicht fehlen, verfallene Geschäfte, posierende Kinder beim Brunnen der Völkerfreundschaft am Alexanderplatz. Kurze Szenen, aus einem Alltag herausgegriffen. Meist sind sie dem richtigen, gelungenen Moment geschuldet, in dem genau zum richtigen Zeitpunkt der Auslöser betätigt wurde, wodurch genau diese Geste, genau dieser eine Moment, dieser besondere Blick festgehalten wurde. Man wird sich solche Genauigkeit beim Sehen heute im Zeitalter des Digitalen kaum noch richtig vorstellen können, wie das einmal gewesen sein mochte: den geglückten Augenblick abzupassen, ihn im voraus zu erahnen und dann einzufangen, festzuhalten, was gar nicht festzuhalten ist; dieses Gespür zu haben und untrüglich, zielgenau zwei drei Bilder zu machen, denn Orwo-Film war teuer und rar. (Den Photographen im Westen ging es nicht anders, wenn sie auf eigene Rechnung arbeiteten. Ilford und Kodak waren zwar nicht rar, doch auch nicht billig. Ach, gute alte Zeit des Analogen, gute alte F3.) Heute ist es bequemer, weil man einfach nur mit dem Finger auf den Auslöser hält und der Motor-Drive die Photos herausschießt, während die Kamera fleißig auf der cf-Karte speichert. Eines der geschossenen Bilder wird dann schon passen. Ich erwähne dies lediglich und spreche es etwas sentimental beiseite, um den Lesern und den Leserinnen sozusagen ein Bild davon zu machen, was für eine hohe Kunst es ist, diesen richtigen Moment zu erwischen, so wie es Hauswalds, aber auch die anderen Photographen dieser Ausstellung taten. Wer darüber etwas lernen möchte, der schaue sich neben den Klassikern der Augenblicksphotographie (Cartier-Bresson, Doisneau) die Bilder Hauswalds an. (Und wer etwas über den geglückten Augenblick gepaart mit der exakten Komposition erfahren möchte, der sehe auf die Photographien von Werner Mahler.)
Eindrucksvollstes Bild dieser Alltagsszenen von Hauswald ist sicherlich, in grobem Korn gehalten, exakt auskomponiert, in der Schräge, die Vorbeifahrt der drei Volvo-Staatslimousinen, abgedunkelt; während im Hintergrund auf einer Art Tafel der Parolenschriftzug über einer Mauer oder aber einer Wand steht und schwebt: „ES LEBE DER MARXISMUS – LENINISMUS !“ Trauriger kann eine Botschaft eigentlich nicht sein. Natürlich, die kontrastarme Schwarz/weiß-Ästhetik, das trübe Grau-in-Grau des Straßenzuges – einzig die drei Limousinen stechen in ihrem Schwarz hervor – trägt einiges dazu bei, die Tristesse des real existierenden Sozialismus noch einmal hervorzuheben. Den armseligen alten Mann, der mit der einen Hand tief im Papierkorb sucht, während er in der andern eine Vistram-Einkaufstasche hält, hätte man allerdings eher in der BRD als in der DDR vermutet. Auch dieses Bild spricht für sich.
Weiterhin gibt es von Hauswald eine Serie, die „Am Rande der Republik“ heißt. Photographien von Freunden, Bekannten, Oppositionellen, Punks, Umweltaktivisten, eine Abschiedsparty nach einem genehmigten Ausreiseantrag, eine Dichterlesung mit Heiner Müller und Sascha „Arschloch“ Anderson sind da zu sehen. Hier überwiegt in der Tat das Dokumentarische, das eine oppositionelle Lebensweise im Bild festhält.
Dokumentarisch und dabei zugleich doch von einem ganz eigenen ästhetischen Wert und ästhetischer Wirkung sind die Photographien von Werner Mahler, so mit der Serie „Berka“, einem Dorf in Thüringen, dessen Bewohner und deren Leben Mahler ab 1977 ein Jahr lang als Diplomarbeit dokumentierte. Herausgekommen sind wunderbare Momente eines dörflichen Alltags, die Arbeit, das Leben, die Feiern, exakt eingefangen mit einer ganz eigenen Ästhetik und einem speziellen Ausdruck, der von Zuneigung zum Gegenstand und zugleich von der notwendigen Distanz zeugt, um so etwas zu schaffen. „Berka“ ist eine durch und durch geglückte und auskomponierte Serie, wie man es selten sieht.
Auch hier zeigt sich einmal wieder, daß die gelungene dokumentierende und gleichzeitig ästhetisch bedeutsame Photographie Zeit braucht, um überhaupt erst mit den Verhältnissen, mit den Menschen und den Situationen vertraut zu werden, so daß diese Menschen es irgendwann zulassen, wenn sie in ihrem Alltag, in ihrem Leben photographiert, also festgehalten und fixiert werden. Man sieht den Photographien an, daß da jemand in einer geschlossenen Gemeinschaft Bilder fertigte und dabei doch nicht störte oder ungebührlich in die Personen eindrang. Ungeheure Photographien mit einer eindringlichen Wirkung sind da bei Werner Mahler entstanden, die berühren, so möchte man fast schon etwas kitschelnd sagen.
In bestimmtem Sinne auch Arbeiterphotographie, wenngleich doch nicht ganz dem Bitterfelder Weg folgend, ist Werner Mahlers Serie „Bergbau“, die er 1975 photographierte, drei Jahre bevor die Steinkohlegrube „Martin“ bei Zwickau, in der die Photos entstanden, geschlossen wurde. Hin zur Jugendkultur bzw. zur Hooligan-Szene, die es in der DDR offiziell nicht gab, gehen seine Photographien der Fans vom 1 FC Union aus dem Jahre 1980 („Der Verein“). Auch sei seine Dokumentation des Abiturjahrganges einer Oberschule aus Oranienburg (bei Berlin) von 1978 erwähnt. Über dreißig Jahre sowie eine Wende mit Systemwechsel liegen zwischen den ersten Portraits 1977/78 und 2009. Entstanden sind Bilder von Menschen jeweils im Abstand zwischen 5 und 7 Jahren, die, mit den wechselnden Möbeln im Hintergrund, für sich selber sprechen und Zeit mitsamt ihren Veränderungen sichtbar werden lassen.
Ähnliche Interieur-Aufnahmen, allerdings statisch, ohne Menschen und nicht dem Wandel der Zeit ausgesetzt, was in diesem Zusammenhang des Veränderlichen sicherlich interessant gewesen wäre, hat Sibylle Bergemann gefertigt, als sie die Photo-Serie „P2“ fertigte. Photographien aus den verschieden, im Stile der Zeit eingerichteten Wohnzimmern jenes Plattenbautyps P2, der Anfang der 60er Jahre in der DDR gebaut wurde. Besondere Erwähnung und Betrachtung sollten auch die Photographien Bergemanns aus „Clärchens Ballhaus“ sowie der Errichtung des Marx/Engels-Denkmals auf dem Marx-Engels-Forum finden. (Diese Photos sind auch im gerade erschienen „Zeit Geschichte“-Heft zu Marx abgebildet.)
In ganz anderer Weise hat Ute Mahler den Alltag der DDR dokumentiert: So in ihrer Photostrecke „1 Mai, internationaler Kampftag der Arbeiterklasse“, wo sie beim obligaten Aufmarsch der Arbeiter, die zugleich als Beherrschte und Herrschende in einem fungieren, direkt unter der Tribüne der Obrigkeit stand und in die Gesichter der Defilierenden hineinphotographierte: die Kampfgruppen, die Mitglieder der Sportorganisation Dynamo, die Betriebsgruppen ins Bild brachte. Doch gibt es auch einen Blick auf die Tribünen, auf Egon Krenz und Margot Honecker.
Explizit politisch ist diese Photographie nicht, und sie will es auch nicht sein. Gerade dadurch aber, vermittels dieser gewissermaßen sich ins Neutrale setzenden Perspektive des teilnahmslosen Beobachters erhalten jene Photographien, zumindest im Rückblick, etwas Politisches. Interessant wäre es zu wissen, ob sie damals veröffentlicht werden durften oder die Zensur nicht passierten.
Zudem ist im Rahmen des Alltäglichen der DDR das fast schon soziologisch zu nennende Photographie-Projekt „Zusammen leben“ von Ute Mahler zu nennen, wo verschiedene Konstellationen des Miteinander von Menschen bzw. Lebewesen (es ist auch ein Hund mit dabei) abgebildet werden. Auch hier werden die Gesichter und Umgebungen eines Alltags ausgeleuchtet und in die Szene gesetzt: mal mit heiteren, dann wieder mit vollständig trostlos wirkenden Menschen, manche sind sie entrückt, wie die Familie Glatzeder, am Küchentisch sitzend, kurz vor der Ausreise in den Westen. Oder jene ältere Frau im Bikini mit dem Hund. Zumindest dieser Hund schaut sehr aufmerksam, fast kritisch, wie Boxer zu blicken pflegen, in die Kamera hinein. Anderen sieht man ihr Glück an, so wie jene junge, sehr schöne blonde Frau, die den zurückgestreckten Kopf eines jungen Mannes in Lederjacke berührt, oder das Brautpaar, das glückselig strahlt, während die Wände des Schlafzimmers mit Westprodukten gepflastert sind: ein Persil-Karton, eine Mon Chéri-Packung, Nimm 2-Folie, eine Underberg-Verpackung und vieles mehr. Soziologisch sind diese Kamera-Blicke bzw. solche Photographien, weil sie Menschen in ihren sehr verschiedenen DDR-Lebenswelten in unterschiedlichen Kontexten zeigt.
Am Rande der Ausstellung werden auch Dokumente der DDR-Modephotographie aus einschlägigen Zeitschriften wie der „Sibylle“ gezeigt. Gut eröffnet sich hier ein ganz eigenes Bild der Frau im Hinblick auf Mode und Selbstbewußtsein, das der Westen so eher nicht kennt, und schnell sieht man auch, daß eine gute Modestrecke keineswegs in Paris oder New York geschossen werden muß. Insbesondere die Photos Sibylle Bergemanns und Ute Mahlers, deren Modephotos auch in der Ausstellung zu sehen sind, zeigen dies gut. Gerade daß es nicht immer so glatt und ohne Schnörkel abgeht wie etwa in der „Vogue“, macht den Reiz dieser Illustriertenansichten aus. Aber das Thema Mode und die DDR im Spiegel der Photographie ist wohl noch einmal ein gesondertes Thema für eine ganz eigene Art von Ästhetik. Hierzu findet gegenwärtig (auch nur noch bis zum 13.9.09) eine Ausstellung im Kunstgewerbemuseum in Berlin statt.
Und natürlich werden auch die letzten Züge der DDR durch Maurice Weiss dokumentiert, der gleich nach dem 9.11.1989 über die Grenze ging und als freier Photograph Photos von jenen wilden, überschwenglichen Tagen schoß, die bei manchem dann Jahre später einen gehörigen Kater hinterließen. Der ästhetische Wert dieser Photographien ist zwar eher gering anzusetzen, doch als Dokument für die letzten Tage eines alt gewordenen Landes taugen sie allemal.
Zu sehen gibt es hier also vieles und ganz Disparates, welches dem Betrachter ausgebreitet wird. Abschließend muß man als Kritik an der Konzeption dieser Ausstellung allerdings sagen, daß der Ausstellungsraum nicht optimal gewählt ist. Der Lichteinfall durch das Frontfenster ist extrem störend und erzeugt ärgerliche Reflexionen auf den Bildern. Auch ist die Klanginstallation „Hausklang“, dieser immer wieder ertönende Gong, der mich an den Flughafen von Palma de Mallorca und den Beginn einer Durchsage erinnert (jene monotone Frauenstimme: „ocho, ocho, neuve, siete“), ist nervend; mir ist nicht ganz klar, was das beim Betrachten der Bilder soll. Man mag das als Mäkelei auffassen, doch mir kommen durch diese Koinzidenzen die guten Photos etwas achtlos präsentiert vor. Was für diese ansonsten gelungene Ausstellung sehr schade ist.
Auch daß man im Katalog rein gar nichts über die Umstände und Hintergründe der Bilder erfährt: ob es Verbote gab (bei Hauswald wohl naheliegend, bei Ute und Werner Mahler nicht so ganz klar) und wo die Photographien veröffentlicht wurden bzw. zu sehen waren: darüber hätte man sich schon Informationen gewünscht. Stattdessen gibt es Texte von Ingo Schulze und auch einen von Alexander Osang, der bereits in der Berliner Zeitung erschienen ist, die eigentlich nichts mit der Ausstellung zu tun haben. Man hätte genauso aus Plenzdorfs „Die neuen Leidendes jungen W.“ zitieren können, es hätte denselben Effekt gehabt. Mir erscheint dieses Vorgehen der Redaktion, als sie den Katalog konzipierte, etwas beliebig, doch ist es wahrscheinlich eher den schlechten Arbeitsbedingungen als dem Unwillen der Redaktion geschuldet, wie ich vermute. Wegen der Texte (vom Nachwort Wolfgang Kils einmal abgesehen) lohnt sich dieser Katalog insofern leider nicht. Dafür aber sollte man sich unbedingt diese gelungene Ausstellung im „Haus der Kulturen“ ansehen.
„Ostzeit. Geschichten aus einem vergangenen Land“, im Haus der Kulturen, Berlin, vom 14.8 bis 13.9.2009, Katalog bei Hatje Cantz für 39,80 EUR.