Zum Jahrestag dieses russischen Angriffskrieges und zum teils genozidalen Krieg gegen die Ukraine und ihre Kultur ist vieles geschrieben worden. Wir erinnern uns heute aber gerne und gut an die Worte von Sahra Wagenknecht, kurz vor dem Überfall auf die Ukraine:

Soviel zu Wagenknechts Urteilsvermögen. Aber in einem Punkt hat sie recht: Mit Vranyo-Gestalten wie Putin ist kaum Diplomatie möglich. Insofern macht diese Aussage zur Unmöglichkeit von Diplomatie ihr Gefasel im „Manifest für den Frieden“ um so lächerlicher und erst recht diese Demonstration am Samstag in Berlin. Es ist eine Demonstration der Schande und wer daran teilnimmt, will keinen Frieden, sondern Unterwerfung der Ukraine unter ein brutales russisches System, das die Ukraine mit der Auslöschung ihrer Identität, mit Kinderverschleppungen, mit Terror und Foltergefängnissen überzieht. Mit anderen Worten: diese Demonstranten betreiben, ob sie es wollen oder nicht, Parteinahme für ein faschistoides und wenn nicht das, dann doch für ein brutales, totalitäres System. Frei nach Marxens Satz aus dem „Kapital“: „Sie wissen das nicht, aber sie tun es.“ Wer Frieden sagt, aber Unterwerfung meint, ist kein Pazifist, sondern im besten Falle ein elender Feigling und im schlimmeren Fall einfach nur ein Schuft. Und ich bin durchaus der Meinung, daß auch Menschen mit einem eher geringen Verstand diese Umstände zu erfasen in der Lage sind. Daß dort auch die neue „Friedenspartei“ AfD auftritt, sagt alles über diese neue Querfront aus Friedensbewegung und neuer Rechten, wie man sie bereits 2014 im Umfeld von Ken Jebsen und anderen Akteuren bei den Montagsmahwachen beobachten konnte. Adressat von Protesten war bei diesen Leuten nie der Aggressor Rußland.
In einem Interview im „Spiegel“ gibt Chatherine Belton eine gute Einschätzung zu Putin und seinem Regime:
Belton: Er war sehr gut darin, anderen Leuten genau das vorzuspielen, was sie sehen wollten. Er war ein regelrechtes Chamäleon, hielt sich im Hintergrund, gab sich bescheiden – obwohl er bald nach seiner Rückkehr nach Sankt Petersburg mit seinen Freunden aus Geheimdienst und Mafia die Wirtschaft der Stadt an sich riss. So erarbeitete er sich einen Ruf als Mann, der Probleme effizient löst.
SPIEGEL: Aus dem Sankt Petersburger Rathaus wurde er in den Kreml befördert
Belton: … und gab sich auch dort bescheiden. Das war ungewöhnlich in einem Umfeld, in dem jeder mit harten Bandagen um den eigenen Vorteil kämpfte. Also erkor Boris Jelzin den jungen Putin zum Nachfolger, als er infolge einer Finanzkrise, eines Bestechungsskandals und sinkender Umfragewerte abtreten musste. Jelzins Leute dachten, dass sich dieser unscheinbare Mann loyal verhalten und ihren liberalen Kurs fortsetzen würde. Das Chamäleon hatte Jelzins Umfeld getäuscht.
Ein Überlegung, die zugleich viel auch mit dem Umgang der deutschen Politik mit Putin zu tun hat. Aber: Wir haben uns nicht nur täuschen lassen, sondern wir wollten getäuscht werden. Zu lukrativ waren die Geschäfte mit Putin. Insofern sei hier noch einmal an die Dokumentation und Recherche „Gazprom – Die perfekte Waffe“ erinnnert. Zu sehen in der Arte-Mediathek.
Geschichte wiederholt sich nicht, aber es gibt Ähnlichkeiten. Thomas Mann, in einer Rundfunkübertragung an Deutsche Hörer, im März 1941, was die Verlängerung des Krieges und Frieden betrifft (gefunden auf Twitter bei Timothy Snyder):
„Den Widerstand Englands, den Beistand, den Amerika ihm leiht, brandmarken eure Führer als ‚Kriegsverlängerung‘ Sie verlangen ‚Frieden‘. Sie, die vom Blute des eigenen Volkes und anderer Voelker triefen, wagen es, dieses Wort in den Mund zu nehmen. Damit meinen sie: Unterwerfung, die Legalisierung ihrer Verbrechen, die Hinnahme des menschlich Unerträglichen. Aber das ist nicht möglich. Mit einem Hitler gibt es keinen Frieden, weil er des Friedens von Grund aus unfähig, und weil dieses Wort in seinem Munde nur eine schmutzige, krankhafte Lüge ist.“
Ansonsten formulierte es Harald Martenstein für den Juni 2022 und auch im Rückblick auf das deutsche Putinanbiedern oder das Nicht-sehen-wollen, wie ich und wie so viele es taten. Bei Marielouise Beck, Alice Bota, Golineh Atai, Michael Thumann, Andrea Böhm, die den Putinismus von Anfang an richtig einschätzten, als es gegen Krim und gegen den Donbas ging, ist bis heute große Abbitte zu leisten. Vor allem aber pointierte Martenstein diese ungeheure deutsche Naivität im Blick auf Putin:
„Jahrelang wurde Wladimir Putin von deutschen Politikern falsch eingeschätzt. Sie hielten ihn für gutmütiger und vernünftiger, als er es ist. Deshalb haben wir uns bekanntlich von russischem Gas abhängig gemacht. Wie? Putin könnte eines Tages sein Gas als politische Waffe einsetzen? Quatsch, hieß es, so was tut der Mann doch nicht.
Als Putin sich die Krim holte, dachten in Deutschland viele, dass er damit zufrieden sein wird. Das war Fehler Nummer zwei. Exakt der gleiche Fehler wurde einige Zeit später ein drittes Mal gemacht. Als Putin seine Truppen an der ukrainischen Grenze aufmarschieren ließ, sagten in Deutschland viele: Der wird schon nicht angreifen, so unvernünftig ist er nicht. Von ihrer eigenen Friedensliebe schlossen sie auf die Friedensliebe Putins. Unmöglich, dachten sie, dass jemand völlig anders tickt als wir. Wunschdenken spielt bei uns oft eine große Rolle.
[…]
Der Westen ist uneins, schwach und feige, diese Botschaft hat Putin seinen Leuten immer wieder eingehämmert. Wenn die Leute in ihrer Wohnung Pullover tragen müssen, im Winter, wird die jetzt schon kriegsmüde Stimmung im Westen vollends kippen.
Die Zeit arbeitet für ihn. Verhandlungen wären erstrebenswert. Aber es wird keine Verhandlungen und keine Kompromisse geben, weil Putin in Anbetracht der militärischen Lage beides nicht nötig hat. Er weiß, dass er siegen wird, wenn die Ukraine nicht bald und in großem Umfang die Waffen bekommt, die sie braucht. Der Sieg wird teuer erkauft sein, aber es ist ja nicht er, der den Preis zahlt. Sein Volk zahlt den Preis. Und Putin wird glauben, dass er wieder mal das Richtige getan hat.
Inzwischen spricht er offen über sein Ziel, das Großreich aller Russen, auch derer, die gar keine Russen sein wollen. Putins Klarheit unterscheidet ihn von Olaf Scholz. Versprochen waren der Ukraine viele Waffen. Geliefert wurden wenige, aufreizend langsam, jede Woche steht dafür eine neue Ausrede in der Zeitung. Wenn es nicht so tragisch wäre, könnte man Parallelen zum Bau des Berliner Großflughafens ziehen, dessen Eröffnung wurde ähnlich oft verschoben wie einige Waffenlieferungen. Inzwischen gibt es eine Liste der erfolgten Lieferungen, 100 Maschinengewehre und 178 Fahrzeuge unter anderem. Nach vier Monaten sind auch sieben Haubitzen eingetroffen, dazu fallen mir die sieben Zwerge ein. Das kleine Norwegen hat 22 geliefert.“ (Martenstein, Putins willige deutsche Wunschdenker werden wieder sichtbar)
Beenden will ich diesen Artikel mit einem Satz von Wladimir Klitschko in der Talkshow von Sandra Maischberger am 22.2. Maischberger sprach von Opfern auf beiden Seiten. Klitschkos richtige Antwort: „Es gibt keine russischen Opfer, denn wer mit Waffen kommt, stirbt durch Waffen, die Opfer sind Ukrainer.“
Und hier auch sehr klug und gut vom DIE LINKE-Politiker Steffen Bockhahn: „Nach über 27 Jahren ist Schluss. Erklärung zu meinem Austritt aus der Partei DIE LINKE. Weil ich nicht mehr glauben kann, dass es wieder besser wird.“ Darin heißt es unter anderem:
„Die Partei, in die ich eingetreten bin, war immer auf der Seite der Schwächeren, war internationalistisch, achtete das Völkerrecht und hat Diktaturen gerade aus der eigenen Geschichte heraus scharf kritisiert. DIE LINKE. schafft es nicht, den faschistischen Diktator Putin als solchen zu benennen und zu ächten. Es gelingt ihr nicht, ihn klar zum Täter zu machen und die von ihm zu verantwortenden Kriegsverbrechen in der Ukraine anzuprangern. Sie schafft es nicht einmal, ihn für die mehr als 200.000 getöteten russischen Soldaten anzuprangern. Putin ist ein Massenmörder, nicht nur an anderen Völkern sondern sogar an seinem eigenen. Was ist so schwer daran, das zu benennen und sich unmissverständlich abzugrenzen?
Warum werden stattdessen Scheindebatten über die NATO und die USA geführt? Alle Länder Osteuropas hatten die freie Entscheidung sich für eine Nähe zu Russland oder eine Westbindung zu EU und NATO zu entscheiden. Sie könnten auch heute noch getroffene Entscheidungen verändern. Allein sie tun es nicht. Das mag schmerzhaft für manchen sein, aber es ist deren Entscheidung. Und wenn eine deutsche linke Partei Friedensgespräche fordert, verbunden mit der Aufforderung an die Ukraine auch Zugeständnisse zu machen, dann ist diese linke Partei nicht mehr links, nicht mehr internationalistisch und nicht mehr auf der Seite der Schwächeren. Das Völkerrecht spielt in der Betrachtung auch keine Rolle. Und dann ist es eben nicht mehr die Partei, in die ich eingetreten bin.
Es ist bedauerlich, dass DIE LINKE. es nie geschafft hat, ehrlich über moderne Außen- und Sicherheitspolitik zu sprechen. Vielmehr hat sie sich Denkverbote verordnet und Debatten verboten. Das macht sie in einer Welt zunehmender Konflikte zunehmend unglaubwürdig.“
https://www.bockhahn.de/start/nach-ueber-27-jahren-ist-schluss/
Zu ergänzen wäre, dass es auch auf der Rechten einzelne klarsichtige Leute gibt.
https://www.handelsblatt.com/politik/international/kiew-besuch-giorgia-meloni-leistet-ueberzeugungsarbeit-in-der-ukraine/28995346.html
Diese ganz Querfrontgeschichte der Putin-Unterstützer gibt mir immer noch zu denken. In einem der Romane von Eric Ambler (spannende, gut geschriebene Politthriller, sehr zu empfehlen), der in Italien zur Zeit Mussolinis spielt, heißt es: Was wir heute erleben ist ein Kampf der zivilisierten Menschheit gegen die brutalen Bestien der Urzeit.
Das ist doch heute nicht wesentlich anders, oder?
Im übrigen ist die Vergewaltigung ukrainischer Frauen durch russische Soldaten eine der russischen Kriegswaffen in diesem Krieg:
„Nach Aussage vieler ukrainischer Opfer organisierten russische Kommandanten Vergewaltigungen durch ihre Soldaten, sagt die Forscherin zu sexueller Gewalt im Krieg, Marta Havryshko. Sie seien eine Waffe wie Bomben und Raketen.“
https://www.tagesschau.de/ausland/europa/ukraine-vergewaltigungen-kriegswaffe-101.html
@El Mocho: In diesem Punkt achte ich Meloni, daß sie sich ganz klar und deutlich und gegen den Trend bei der Rechten, mit einem Diktator und Verbrecher wie Putin zu sympathisieren, sich positioniert.
Ja, es ist das, was man die Urgeschichte der Gewalt nennen kann – auch im Sinne des oben von mir verlinkten Tagesschau-Artikels zur Vergewaltigung von Frauen als systematischer Waffe im Krieg. Nur daß heute diese Gewalt durch die Medien und weil solche Taten vielfach aufgezeichnet werden, deutlich sichtbarer ist als früher und daß wir also auch darüber sprechen können, weil Medien darüber berichten.
Hinzu kommt: Der Krieg stumpft die Menschen ab. Schlimm wird es auch nach diesem Krieg sein, wenn die traumatisierten Männer und auch Frauen in der Ukraine, die bei den Verteidigungsstreitkräften tapfer ihr Land verteidigen, wieder ins Zivilleben müssen. Sie nehmen Bilder mit, die man nicht vergißt.
Ein bisschen off topic: https://www.youtube.com/watch?v=uW12pbGDdPQ
Exzellentes Video, der Junge hat´s wirklich drauf.
Gucke ich mir mal in Ruhe an. Danke!