Das System Putin und was das mit 90 Jahren Machtergreifung zu tun hat

Einmal wieder hat Putin gestern bei seiner Geschichtsshow in Wolgograd demonstriert, daß mit einem solchen Menschen kaum noch Verhandlungen denkbar sind. Und er hat einmal wieder gezeigt, auf welche Weise der Zweite Weltkrieg zum Zwecke eines neuen Angiffskrieges instrumentalisierbar ist – dabei der brutale Täter, der Kriegsverbrecher, der wie in Butscha, Irpin, Mariupol, Cherson Zivilsten hinrichten läßt, der Kindermörder, der Frauenvergewaltiger sich als Opfer ziert. Einmal wieder die russische Kunst der vranyo als politisches Instrument. Und aus brutalen Tätern werden Opfer. Nur daß eben diese Opfer bedauerlicherweise andere überfallen: dieses Faktum bekommt der blutige Lurch aus Moskau nicht weggelogen – auch wenn er es mit jenem System des vranyo zu verschleiern gedenkt. In Rußland jedoch beim gegenwärtigen Geschichtsbewußtsein der allermeisten Menschen dort, wird kaum einer wissen, daß es den Leopard 2-Panzer während des Zweiten Weltkriegs nicht gab. Es können also auch keine Leopard-Panzer im damaligen Stalingrad zum Einsatz gekommen sein. Davon abgesehen, daß es in diesem Fall der notwendigen Panzerlieferungen an die Ukraine nicht Rußland ist, das von der Ukraine überfalllen wurde, sondern umgekehrt führt Rußland seit 2014 einen Krieg gegen die Ukraine: von der Einflußnahme auf die Marionette Viktor Janukowitsch bis zur Annexion der Krim und dem russischen Krieg im Donbas. Wolgograd wurde übrigens gestern zu den Feierlichkeiten noch einmal in Stalingrad umbenannt und fröhlich tanzten dort die russischen Stalinisten unter Stalins Konterfei. Auch diese Bilder illustrieren das System Putins gut.

Aber auch im Westen wird man nicht müde, beim Aufbau einer neuen Querfront. Putins Kumpeline Sevim Dagdelen und Björn Hocke, der alte Russenbock: da wächst zusammen, was zusammengehört.

Sozusagen der Hitler-Stalin-Pakt in Westentaschenformat. Sicherlich wollen Dagdelen und Höcke, das Traumpaar, die russischen Angreifer mit Wattebällchen und Wasserpistolen aufhalten.

Es gibt einen treffenden Satz, den eine Facebook-Kommentatorin im Blick auf eine jener Putin-Apologetinen geschrieben hat, die im Internet die Foren volltrollen. Im Blick auf das Weltbild Putins und im Blick auf die russische Außenpolitik schrieb sie:

@Aureliana: Leider hast Du Unrecht. Du denkst, Du verstehst Russland, aber gehst 100% von Deiner westlichen Friedenswarte (!) aus!! Bist also viel ablehnender zu Russland und dem Frieden als Du denkst!! – Ich habe vier Jahre ( 2007-2011) in der russ. Botschaft als Beraterin gearbeitet und dabei mit Schrecken festgestellt, dass das russ. Weltbild in deren Politik ( ja, bin auch Putin begegnet!) Krieg und Waffen und Unterwerfung und Mord an Andersdenkende (auch politische Gegner und ehemalige Freunde!) als „normal“ ansieht und Frieden als Schwäche!!!

Darum werden Putin und Co. nur bei einem Sieg der Ukraine aufhören… sonst immer und immer so weitermachen… leider. Putin ist schlimmer als die Mafia, und die lacht bei einem Friedensangebot auch nur, das kennst Du vielleicht… (war auch zwei Jahre in Palermo.. Russland hat die grausamere Energie gehabt, leider)

Sehr liebe friedvolle Grüsse!! ( Dasmeine ich ernst! Aber Friedenswünsche dürfe nicht naiv sein, sondern sorgfältig abwägend angegangen)“

Interessanterweise tarnen sich diese Apologeten Putins, wie auch Gabriele Krone-Schmalz, regelmäßig hinter der Maske des Friedensfreundes, sämtliche historischen und politischen Fakten ignorierend, die jenen russischen Imperialismus und die Putin-Diktatur samt vranyo (spezielle Form des Lügens) betreffen. Vor der russischen Botschaft demonstrieren und ihre Friedensforderungen in Moskau vorbringen – da nämlich, wo der Krieg begonnen wurde – hat man diese Leute aber niemals gesehen. Es wird so getan, als hätten die USA die Ukriane überfallen.

Von keinem einzigen dieser „Friedens“freunde habe ich bisher einen einzigen sinnvollen Vorschlag gehört, wie man Putin zum Abzug seiner Soldateska bewegen könnte. Und das gilt leider auch für seriösere Akteure wie Juli Zeh, die ich nicht für eine ideologisch verblendete Hetzerin halte – anders als die Haßprediger Dagdelen und Höcke. Natürlich sollten Verhandlungen die oberste Option sein. Wenn aber keiner da ist, der verhandeln will, dann ist es sinnlos, Verhandlungen zu fordern.

Putins Logik ist die des Schulhofschlägers, und es liegt einmal mehr den Verdacht nahe, daß im Kreml langes schon keine Politik mehr regiert, sondern ein kriminelles Kartell, das mehr Ähnlichkeit mit dem Methoden der Organisierten Kriminalität hat als mit einer politischen Ordnung. Dieser Bericht ist durch vielfältige andere Berichte und Aussagen von Privatleuten, Diplomaten, Politikern und Journalisten bestätigt, die ähnliches über russische Politiker – beileibe nicht nur Putin – aussagen. Und dies zeigt sich auch darin, daß, fast wie in einem Failed State, mittlerweile Warlords den Ton angeben: so der Chef der Wagner-Söldner Jewgeni Prigoschin oder der brutal-dumme tschetschenische Milizführer Ramsan Kadyrow.

Wir haben in Rußland eine Situation wie sie für gefestigte Diktaturen typisch ist, die sich über Jahre etablieren konnten. 90 Jahre Machtergreifung durch die Hitlerdiktatur geben in dieser Linie zumindest einen guten Aufschluß, was die Durchseuchung einer Gesellschaft mit Ideologie und mit Haß betrifft – bei allem Unterschied der Systeme ansonsten.(Der Osteuropahistoriker Karl Schlögel spricht vom Putinismus, was eine harmlose Umschreibung ist.) Dennoch: Wer heute „Nie wieder Faschismus“ sagt, der muß zwangsläufig auch sagen „Putin muß weg!“ – und das geht im Augenblick am ehesten, indem Putin in der Ukraine besiegt wird. Soviel auch in die Richtung derjenigen in der Partei Die Linke gesprochen, die sich noch nicht von Zarenknechts braunrotem Taint haben anstecken lassen und die hier letzten Sonntag am Rosa-Luxemburg-Platz demonstrierten, ohne dabei vor die russische Botschaft zu ziehen: „Verhandlungen statt Panzer“ wie eine der Aufrufparolen lautete, sind nur dann sinnvoll, wenn es jemanden gibt, der verhandeln will. Ilko-Sascha Kowalczuk schrieb es im Blick auf diese Demo in drastischen, zugespitzten, aber auch deutlichen Worten:

„Die sind so lost – wenn sie sich schon nicht nach Moskau trauen, wohin die Forderung gehört, sie stellen sich nicht einmal vor die Botschaft Russlands in Berlin, nur 15 Gehminuten von der Volksbühne entfernt. Schämt Euch, Ihr Kriegstreiber, Putinfreunde, Unterstützer von Kriegsverbrechen und Massenmord – Ihr habt weder aus der SED-Diktatur noch vom 30. Januar 1933 irgendetwas gelernt! Ihr versteht nicht, was „Nie wieder!“ bedeutet! Linkspartei“

Sowenig wie man mit der Mafia verhandeln kann, kann man mit Rußland verhandeln,solange das kleptokratische und terroristische System Putin in Rußland im Sattel sitzt. Und da muß man es für die Zukunft mit dem SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil sagen:

„Die Aussage, dass es Sicherheit und Stabilität in Europa nicht gegen, sondern nur mit Russland geben kann; dieser Satz hat keinen Bestand mehr. Heute geht es darum, Sicherheit vor Russland zu organisieren.“

5 Gedanken zu „Das System Putin und was das mit 90 Jahren Machtergreifung zu tun hat

  1. @“Putins Logik ist die des Schulhofschlägers, und es liegt einmal mehr den Verdacht nahe, daß im Kreml langes schon keine Politik mehr regiert, sondern ein kriminelles Kartell, das mehr Ähnlichkeit mit dem Methoden der Organisierten Kriminalität hat als mit einer politischen Ordnung.“ Zu diesem Thema erschien kürzlich im Stern ein Interview mit einem russischen Experten, der das aktuelle russische System als eine perfektionierte Mafia beschrieb und die grundsätzlichen Unterschiede zur Sowjetunion betonte. Die – auch von mir – lange vertretene These, die NATO-Osterweiterung habe entschieden zur Eskalation beigetragen bezeichnete er wörtlich als „Bullshit“. Ich krame den Artikel mal heraus.

  2. Das wäre interessant. Ich hielt die NATO-These auch lange Zeit für plausibel. Die Fakten aber – auch was die Stationierung von Militär im Baltikum anbelangt – sprechen dagegen. Mit der NATO teilt Rußland gerade einmal 2 Prozent seiner Grenze. Und die baltischen Staaten haben, auch aufgrund ihrer russischen Minderheiten und damit auch als Einfallstor für Putins Interventionen und seine hybride Kriegsführung, durch die NATO-Mitgliedschaft geradezu eine Lebensversicherung und eine Grantie, nicht einfach so überfallen zu werden. Das nämlich würde den Bündnisfall auslösen. Und das weiß Putin auch.

    Wenn man Catherine Beltons Buch „Putins Netz. Wie sich der KGB Russland zurückholte und dann den Westen ins Auge fasste“ nimmt, so scheint mir eine Mischung aus beidem vorzuliegen. Sozusagen die Altlasten der Sowjetunion, KGB und neue Strukturen, die sich an der Mafia orientieren. Windows 22 sozusagen: Halt die Klappe, mach was ich sage, ansonsten gibt es einen Fenstersturz, einen Herzinfakt oder aber etwas Nowitschok in der Unterhose oder im Tee.

    https://www.perlentaucher.de/buch/catherine-belton/putins-netz.html

  3. Zu Putin, Trump und den Verstrickungen Rußlands ist auch dieser Artikel bei WELT-Online interessant: „Verschwörung gegen den Westen. Die russischen Schattenkrieger“.

    „In hundert Jahren werden Historiker wahrscheinlich auf unsere Epoche zurückblicken und sich fragen, wie die liberalen Demokratien so blind sein konnten: Die Russische Föderation führte mindestens seit 2008 einen Schattenkrieg gegen die Europäische Union und die Vereinigten Staaten – und die willigen Kollaborateure des Feindes liefen frei herum und verhöhnten ihre Kritiker. Der Brexit und Trumps Präsidentschaft waren zwei gewaltige Siege für Wladimir Putin. Dabei spielt Russland im Grunde dasselbe Spiel wie früher die Sowjetunion – mit dem kleinen Unterschied, dass die Sowjets damals kommunistische Parteien in Westeuropa finanzierten (in Italien und Frankreich übrigens sehr mächtige kommunistische Parteien), während die Russen heute Linksradikale und Rechtsextremisten unterstützen.

    Luke Harding hat sein Buch geschrieben, bevor die Russen den Krieg, den sie seit 2014 gegen die Ukraine führen, zu einem großen und genozidalen Konflikt ausweiteten. Das ist in gewisser Hinsicht ein Vorteil, weil man so mehr über den Hintergrund von Leuten kennenlernt, die in den vergangenen zwei Jahren berühmt geworden sind. Der wichtigste von ihnen: Jewgeni Prigoschin.

    1961 in Leningrad geboren, wurde er in der Sowjetunion wegen Einbruchsdiebstählen und einem Raubüberfall zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Nach dem Fall der Sowjetunion verschaffte ihm ein Kumpel einen lukrativen Job als Manager einer Supermarktkette; dann eröffnete er zwei Restaurants. So lernte er Putin kennen, ein Spitzname war: „Putins Koch“. Er machte eine steile Karriere, wurde Milliardär und leitete für Putin eine Troll-Fabrik in St. Petersburg. Prigoschins Tastenkrieger hatten die Aufgabe, anonym Putins Kritiker anzuschmieren und die Weltsicht des Diktators zu verkünden – so schrill und brutal wie möglich.

    Später, das steht nicht bei Luke Harding, gehörte es zu den Aufgaben der russischen Trolle, Covid-Impfungen schlechtzureden und Desinformationen über die Seuche zu verbreiten. Die Arbeit in dieser Lügenfabrik war organisiert wie ein normaler Bürodienst: Junge Männer und Frauen erschienen um 9 und gingen um 17 Uhr. Manche versahen ihren Dienst aus Überzeugung, manche nur des Geldes wegen.

    Gleichzeitig war Prigoschin, der ehemalige Kleinkriminelle, schon damals Chef einer Söldnertruppe, die sich nach einem bekannten deutschen Komponisten „Wagner“ nannte und vor allem in Afrika eingesetzt wurde.

    Der Fall Prigoschin ist deshalb so wichtig, weil er zeigt, wie eng in Putins Russland die verbale Gewalt im Internet mit der realen Gewalt dort draußen auf dem Schlachtfeld zusammenhängt: Derselbe Mann, dessen Job es früher war, Desinformationen zu säen, befehligt heute Söldner, die morden, vergewaltigen und Kinder entführen. „Putins Koch“, der vor zehn Jahren Schatten- und Tastenkrieger einstellte, geht heute auf Gefängnishöfe und heuert Kriminelle an, denen die Haftstrafe erlassen wird, wenn sie für seine Firma morden gehen. Und wenn Wladimir Putin irgendwann das Zeitliche segnet – sei es aus natürlichen Ursachen, sei es, weil er versehentlich aus einem Fenster geschubst wird –, so stehen die Chancen gut, dass Jewgeni Prigoschin sein Nachfolger wird.“

    Interessant vor allem der Bezug Corona-Kritiker und jene Putin-Freunden hier in Deutschland – angefangen bei den üblichen Verschwörungsportalen wie Apolut und Nachdenkseiten samt ihren Akteuren. Hier wären auch einmal die Geldflüsse ins Auge zu nehmen. Wir alle haben leider lange Zeit unsere Augen vor diesem Hybridkrieg Rußlands verschlossen.

    https://www.welt.de/kultur/plus243557949/Putin-und-Prigoschin-Die-russischen-Schattenkrieger.html

  4. Radio Moskau klingt immer scheiße, egal ob es von rechts oder von links kommt.

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