Zum ausklingenden Jahr: Wie umgehen mit Terrorstaaten?

Das Jahr endet, wie es begonnen hatte: mit Putins, mit Rußlands Aggression, nur daß in der Zeit zwischen dem 1.1.2022 und dem 31.12.2022 am 24. Februar auch das restliche Territorium der Ukraine angegriffen wurde und dort jeden Tag von Russen schwere Kriegsverbrechen begangen und Zivilisten bombardiert werden. Wobei im Blick auf den russischen Angriffskrieg dazuzusagen ist, daß jener Überfall auf die Ukraine bereits 2014 mit der russischen Annexion der Krim und der Intervention im Donbas begann.

Meintet ihr die Russen wollen Krieg? Ja, ihr hattet mit diesem Meinen recht behalten. Sie wollen nicht nur, sondern sie jubeln auch dazu, wenn sie Putins Propaganda und den Mist in den Russenmedien hören. Sie gehen nicht aus Protest auf die Straße und demonstrieren gegen die Krieg, sondern sie schlucken die Propaganda. Nur wenn russische Männer zum Krieg eingezogen werden sollen, verkrümmeln sich manche ins Ausland. Von Massenprotest auf der Straße jedoch ist nichts zu sehen, nur vereinzelte Stimmen des Widerstands.

Und solches Nachbeten von Putins Propaganda reicht bis hin nach Deutschland, wo es noch genügend Menschen gibt, die erheblichen einen in der Schmalzkrone habe und hier Putins Narrative nachbrabbeln. Demnächst werden sie uns vermutlich auch erzählen, daß das kleine Polen irgendwie doch auch Hitler provoziert habe und dann die Sache mit dem Korridor nach Ostpreußen, den Polen als Druckmittel benutzte, dazu Polens Aufrüstung (stimmt übrigens: das kleine Polen rüstete! Aber warum wohl? Nach Österreich 1938 und dann der Tschechoslowakei). Zudem die Einkesselung Deutschlands, da müsse sich ein Land ja bedroht fühlen. Da müsse man, ohne jetzt für Hitler zu sein, Hitlers Handlungen irgendwie auch nachvollziehen. Es ginge hierbei ja auch gar nicht ums Billigen.

Spätestens mit dieser Analogie wird deutlich, daß solches Erklären sehr wohl das Billigen impliziert, weil nämlich in solchen Erklärungen die Ursachen weggelassen werden, weshalb ein Land sich wehrt oder aber weshalb es ein Land wie die Ukraine hin zum Westen und nicht hin zum russischen Pißpott drängt. Rußland hatte Jahrzehnte Zeit sich zu einer Demokratie zu transformieren. Rußland tat es nicht, sondern wählte einen anderen Weg. Rußland hat Geld und Ressourcen, um eine grundsätzliche Transformation des Landes in die Wege zu leiten und politisch zu den anderen europäischen Ländern aufzurücken. Rußland tat es nicht, sondern wählte den Weg in die Diktatur. Und um als Partner behandelt zu werden, bedarf es ähnlicher politischer Strukturen. Ein Raum von Lissabon bis Wladiwostok kann für ein freies Europa unter dem Regime von Putin nur als Bedrohung wahrgenommen werden. Es kann einen Handelsraum meinen, aber genauso eine Einflußsphäre.

Und nun gibt es ein Nachbarland, daß sich diesem russischen Weg, dem Gedanken der russischen Einflußsphäre wiedersetzte. Für Rußland ist die Ukraine nicht militärisch eine Bedrohung, sondern bedrohlich für Putin ist, daß in der Ukraine sich demokratische Strukturen etablierten und freie Wahlen stattfanden, daß die Jugend sich nach Westen und nicht nach Moskau und hin zum russischen Pißpott sich ausrichtete. Dies ist die Ursache für diesen entsetzlichen Angriffskrieg, der Angriff auf ein souveränes Land, ein Krieg wie ihn Europa zuletzt am 1. September 1939 erlebte, als Deutschland sich mit der Sowjetunion Polen aufteilte und dann das Land überfiel, während sich die Sowjetunion Teile von Polen und das Baltikum einverleibte. (Die wenigsten Menschen im übrigen, so auch ich lange Zeit, wußten nicht, daß der 23. August in Europa ein Gedenktag ist: nämlich der „Europäische Tag des Gedenkens an die Opfer von Stalinismus und Nationalsozialismus“. Allenfalls wußte ich, daß an diesem Tag der Hitler-Stalin-Pakt samt geheimem Zusatzprotokoll geschlossen wurde. Er war einer der Auslöser für den Zweiten Weltkrieg.)

Wie nun geht es in Europa weiter? Die Friedensbewegung ist am Ende, sie hat es vorgezogen zu schweigen. Keine Demonstrationen vor der russischen Botschaft und die Friedensaufrufe von Intellektuellen wären in Moskau angebracht, da wo der Urheber des Angriffskrieges sitzt, und nicht in Deutschland. Allenfalls wären Aufrufe sinnvoll, die zu Waffenlieferungen in großem Unfang aufrufen – das nämlich ist die beste Friedensbewegung, da Putin nicht einmal im Ansatz gedenkt, seinen Angriffskriieg einzustellen und zu verhandeln. Aber es ist die Politik beim Liefern von Waffen viel zu zögerlich, zumindest, wenn man den Berichten aus den Zeitungen folgt. Gegen solchen Angriffskrieg der Russen – gepaar mit schweren Kriegsverbrechen, indem Zivilisten verschleppt sowie ermordet werden und im Bombenhagel sterben – helfen keine Worte und keine Friedensgebete oder halb abstrakt, halb hiflose Friedensparolen, sondern nur Waffen, mit denen Putin besiegt wird. Strack-Zimmermann bringt die Sache auf den Punkt. Leider ist sie nicht Verteidigungsministerin:

Ja, man ist es leid, sich die Ausreden von Scholz anhören zu müssen. Nein, es wird mit der Lieferung von Kampfpanzern keine rote Linie überschritten sondern im Gegenteil führen nur solche Offensivwaffen dazu, den Russen auch die Krim und den Donbas abzunehmen, so daß Putin verhandeln muß. Die rote Linie wird vielmehr überschritten, wenn der russische Angriffskrieg auf Dauer gestellt wird und sich über Jahre hinzieht. Und eine weitere rote Linie wurde bereits am 24. Februar überschritten und das Dahinter heißt: Kriegsverbrechen, die Russen begehen und für die sie und ihre Kommandeure und auch die entsprechenden Politiker hoffentlich und bald zur Verantwortung gezogen werden.

Ein friedliches neues Jahr wird man wohl wünschen können, doch ist angesichts von Rußlands Politik darauf kaum zu hoffen, da der Krieg sich hinziehen wird und dies wird und muß auch Deutschland betreffen oder um es mit Lars Klingbeil zu sagen:

„Die Aussage, dass es Sicherheit und Stabilität in Europa nicht gegen, sondern nur mit Russland geben kann; dieser Satz hat keinen Bestand mehr. Heute geht es darum, Sicherheit vor Russland zu organisieren.“

Und dies gilt auch für die weiteren Jahre, solange das Regime Putins und seiner Lakaien und Satrapen nicht gestürzt ist. Insofern müssen den Klingbeilschen Worten nun Taten folgen.

Vor allem eins aber ist für 2023 wichtig: daß wir uns an diesen Krieg nicht gewöhnen, daß er in den Nachrichten nicht immer weiter nach hinten rutscht. Denn genau das ist es, was der blutige Lurch in Moskau, der Hinterhofschläger aus Leningrad möchte: Gewöhnung und Abstumpfung und daß wir irgendwann diese Meldungen von Krieg und Katastrophe und vom Elend und Leid der Menschen in der Ukraine nicht mehr hören mögen. Dieser Krieg Rußlands gegen die Ukraine und damit auch gegen Europa muß für uns präsent bleiben. Zumal er sich im Herzen Europas abspielt. Dennoch: Die Ukraine wird daraus als Sieger hervorgehen und Rußland als der Verlierer. Das ist für 2023 vor allem zu wünschen, zumindest politisch.

Und was das Private anbelangt, so liegt das viel auch am einzelnen. Und man kann solches private Tun ja auch negativistisch gesehen mit Beckett veranstalten, als eine Art von Scheiter-Spaß:

„Ever tried. Ever failed. No matter. Try Again. Fail again. Fail better.“

Trotzdem sei für alle Leserinnen und Leser ein gutes Jahr 2023 gewünscht.

Damit es auch in der Ukraine weihnachtet: Spendet für Notstromaggregate und für Feuerwehrautos für Charkiw!

In diesem Beitrag will ich meinen Leserinnen und Lesern nicht nur ein gutes und gesegnetes Weihnachtsfest wünschen, sondern auch dazu aufrufen, für zwei wichtige Projekte zu spenden, die den Menschen in der Ukraine in ihrer Not helfen, und für die ich hier werben möchte. Zum einen, wie es das Bild bereits sagt, für Feuerwehrautos für Charkiw:

Der Link zum Spenden ist hier:

https://penberlin.de/spenden/?

Und aufgrund der russischen Terrorangriffe auf Zivilisten und auf Infrastruktur – hallo Friedensbewegung: wo sind eure Großdemonstrationen zu Weihnachten? – ist es vor allem wichtig, sogar überlebenswichtig, daß die Bevölkerung mit Notstromaggregaten versorgt wird:

„Der russische Überfall auf die Ukraine bringt neben Leid und Tod auch immer mehr Zerstörung der Infrastruktur. Russische Raketen legen u. a. die Stromversorgung in weiten Teilen des Landes lahm. Rund zehn Millionen Menschen sind von der Stromversorgung abgeschnitten! Space-Eye liefert Notstromaggregate (Generatoren) zu unseren Partnern in der Ukraine. Sie werden die wichtigsten Einrichtungen (Kliniken, Schulen, Notunterkünfte) mit Elektrizität versorgen. Helfen Sie mit!“

Auf dieser Seite kann man spenden.

Bei all dem, was die Russen in der Ukraine anrichten, können wir froh und dankbar sein, daß wir Weihnachten in Frieden feiern können, viele von uns in Wohlstand oder zumindest auskömmlich, wenn auch nicht alle Menschen. Keine 1700 km von hier entfernt sieht es anders aus und Russen bombardieren Zivilisten, Kraftwerke und Wohnhäuser. In Deutschland muß zum Glück niemand in Trümmern feiern und Angst haben, daß auch zur Heiligen Nacht noch russische Raketen ins eigene Haus einschlagen. Und auch in vielen anderen Regionen der Welt, wenn wir an den Jemen, an die Kurden und an Äthiopien denken, sieht es nicht viel besser aus. „Ja, ja, das wissen wir doch alles“, wird nun mancher sage, „und wir können das Thema nicht mehr hören!“ Stimmt: genau das ist es, was Putin möchte: daß für uns dieser Krieg mitten im Herzen Europas zur Gewöhnung wird. Das aber darf er nicht, und insofern wird hier bei AISTHESIS immer wieder an diesen Krieg erinnert und insbesondere an den russischen Terror gegen Zivilisten, gegen Frauen und Kinder und Männer, gegen Alte, die in ihren Wohnungen erfrieren.

Wenn ihr also etwas abgeben könnt, dann gebt es – vor allem die Spenden für die Infrastruktur sind für die Menschen in der Ukraine überlebenswichtig.

In diesem Sinne wünsche ich allen meinen Leserinnen und Lesern ein den Umständen entsprechendes besinnliches Weihnachtsfest.

Es weihnachtet sehr: Willi van Hengel und Fritz Hendrick Melle

Auch heute empfehle ich zwei Bücher, die ich noch gar nicht gelesen habe, nur den Autor kenne ich, den einen zumindest, nämlich Willi van Hengel. Ich habe ihn im Juli auf dem Sommerfest im Literarischen Colloquium Berlin am herrlichen Wannsee getroffen, zusammen mit Kai Beisswenger, dem ehrenwerten und herrlich trockenhumorig-bissigen Verleger. Ich schätze es, wenn Leute sich in diesen Zeiten mit einem kleinen Verlag selbständig machen und etwas wagen, und ich denke, daß wir solche Projekte unterstützen sollen. Zudem fand das Plaudern und Debattieren mit Willi van Hengel und Kai Beisswenger im LCB (gegründet übrigens von dem umtriebigen Walter Höllerer, der am 19. Dezember seinen 100. Geburtstag hat) angenehm, der schweifende Blick über den Wannsee tat ein übrigens. Insofern sei an dieser Stelle aus einer erinnerten Sommerstimmung heraus auf van Hengels Buch „Dieudedet oder Sowas wie eine Schneeflocke“ verwiesen und es sei hier eine Zusammenfassung gegeben:

zds03cover500„Willi van Hengel hat einen Entdeckungsroman verfasst, in dem das Ich nur anhand einer neuen Sprache zu sich findet. Nennen wir diese Sprache ’neo-romantisch‘. Sein Werk ist zeitlos – die Handlung könnte heute, vor zweihundert Jahren oder in zweihundert Jahren spielen. Gleichwohl ist das Thema des Romans hochaktuell, geht es doch um das, was seit Ewigkeiten die Menschen berührt: das Erleben tiefer Gefühle sowie das Leiden an einer unausgesprochenen und von daher gequälten Seele. Der Protagonist Alban erkennt auf seiner Reise ins eigene Ich den Grund seiner Bindungsängste. Er war das Schlachtfeld, auf dem die Kämpfe seiner Eltern ausgetragen wurden. Seine Eltern sind tot. Sie zur Rede stellen kann er nicht mehr. Dafür seinen besten Freund, der ihm ein abscheuliches Frauenbild eingeimpft hat – und der noch lebt. Also, was tun? Ihn, den besten Freund, töten? Dieser innere Kampf bringt Alban so weit, zu denken, dass er und sein Leben, wie er es lebt, »bloß ein Vorurteil« sei. Er wird sich seiner Vergangenheit und den damit verbundenen Erinnerungen stellen, um ein Stück von sich selbst zu Grabe (oder zu Stein, denn Alban ist Bildhauer) zu tragen. Um zu werden, was er sein könnte: ein Mensch, der aus lauter Zweifeln besteht, der nun aber beginnt, sich selbst anzunehmen – und vielleicht sogar zu lieben.“

Ein existentielles Thema mithin, was ein Stück weit in jenen Bereich fällt, denn wir seit der Literatur der 1970er Jahre „Neue Subjektivität“ nennen und was Helmut Böttiger in seinem Buch „Die Jahre der wahren Empfindung. Die 70er – eine wilde Blütezeit der deutschen Literatur“ beschreibt – nebenbei auch ein schönes Weihnachtsgeschenk für alle, die sich für die Literatur dieser Jahre interessieren.

Auch der Aspekt der Zeitlosigkeit, der für diesen Roman zentral zu sein scheint, klingt spannend und es interessiert mich, wie dies mit den Mitteln des Erzählens eingelöst wird. Nach der Inhaltsangabe vermute ich zwar, daß ich an diesem Roman einiges zu kritisieren haben werde, denn solche existenziellen Themen sind oft heikel, und Pathos kann eben auch manchem Buch zum Schaden gereichen. Andererseits ist es auch wieder so ein seltsames Ding: im Pop, wie Alban Nikolai Herbst es immer wieder schreibt, akzeptieren wir solchen Pathos und einen hohen Ton, doch in der Dichtung verachten wir ihn meist – jenen hohen Ton. Wie dem auch sei, wir werden das im Detail dann nachlesen. Schauen wir also, wie solche Entdeckung des Ichs und jene Zeitlosigkeit im Erzählen und mit den Mitteln der Kunst umgesetzt werden.

Vielleicht ein wenig heiterer und dazu im Kontrast verweise ich zudem auf Fritz Hendrick Melles „Stadt ohne Götter. Eine deutsche Geistergeschichte“. Bereits der Titel des Buches klingt ansprechend, denn ich habe für solche Geister- und Gespenstergeschichten, gleichsam frei nach Derrida: Marx‘ Gespenster, für Widergänger und Unerlöste sicherlich eine Faible. Und was da in der Inhaltsangabe geschildert wird, klingt derart irre und aberwitzig, daß ich vermute, dieses Buch muß einfach gut sein:

zds05cover500„Loki, der germanische Lügengott, kommt nach Jahren der Emigration zurück ins heutige Berlin. Er drängt den Göttervater Wodan, den Speer Gungnir zu werfen. Doch der alte Schlachtengott will nicht mehr. Er hockt auf einer Parkbank im Tiergarten und schaut der Welt beim Vergehen zu. Loki schaltet ihn aus. Rasch findet der Lügengott neue Gefolgsleute. Mit einem blutigen Ritual reißt er den magischen Speer an sich. Aber um Gungnir zu aktivieren, braucht er jemanden aus der Blutlinie Wodans. Der letzte lebende Erbe, Tomas Weißgerber, Betreiber einer Espressobar, ahnt nichts von seinem Schicksal. Er versucht, damit klarzukommen, dass seine Tochter das Haus verlassen hat. Albträume eines Krieges, den er nie erlebt hat, füllen seine Nächte. Er muss erfahren, dass sein Vater ihn sein Leben lang belogen hat. Der war keine Kriegswaise, sondern Sohn eines Nazi-Generals. Dessen Geist, seit Stalingrad verschollen, versucht Kontakt mit Tomas aufzunehmen. Er bittet um Vergebung. Bald steht Tomas zwischen Göttern, Geistern und allen Fronten. Unterwirft er sich dem Willen Lokis, der ein Viertes Reich errichten will? Wirft er den Speer? Die Zukunft steht auf dem Spiel.“

Bücher wie sie unterschiedlicher nicht sein können, und wie man sieht, lassen sich also auch Buchkritiken schreiben, wenn man Bücher nicht gelesen hat – oder wie es der Religionsphilosoph Jacob Taubes einmal sagte: er spüre und bemerke den Inhalt eines Buches bereits dadurch, daß er die Hand darauf lege.

Willi van Hengel: Dieudedet oder Sowas wie eine Schneeflocke
Verlag Zwischen den Stühlen, Juni 2022, 216 Seiten
Paperback: ISBN 978 3 95765 293 5 – EUR 13,90

Fritz Hendrick Melle: Stadt ohne Götter. Eine deutsche Geistergeschichte
Verlag Zwischen den Stühlen, November 2022, 276 Seiten
Paperback: ISBN 978 3 95765 307 9 – EUR 18,90

Es weihnachtet sehr: Ute Cohens „Falscher Garten“

Am 10. September diesen Jahres besuchte ich die Buchhandlung bookinista in Berlin-Charlottenburg (Meierottostraße 1 am, Fasanenplatz). Dort gab es eine Lesung mit Ute Cohen aus ihrem neuen Roman „Falscher Garten“. Der Titel sagt es bereits: Es geht um Gärten und es ist dieses Buch einerseits ein Krimi und zugleich eine Satire über das gartengrüne Berlin-Grunewald, jenes feinen Viertel, wo allerhand so Leute wohnen. Meist reich, aber eben nicht nur. Und nein, im Grunewald ist nicht nur Holzauktion, sondern es spielt sich dort auch manch Verborgenes, für die meisten Berliner kaum sichtbares Gesellschaftsdrama ab: ein wenig nach dem Motto: die im Dunkeln sieht man nicht, und das ist von diesen Leuten auch so gewollt. Berlin-Grunewald ist eine Welt für sich, abgeschieden und gediegen, allenfalls am 1. Mai verirren sich dorthin die Demonstanten, und zwar seit 2018 mit der Kundgebung „Quartiersmanagement Grunewald“ – eine satirische Demonstration nach dem Motto „Wo eine Villa ist, ist auch ein Weg“: „Wir haben das Gefühl, dass sich da gefährliche Parallelgesellschaften bilden, Eigentum in unvernünftiger Menge angehäuft ist und die gesellschaftliche Kommunikation durch Zäune versperrt wird.“ Auch diese Demo ist, soweit ich mich richtig erinnere, Thema dieses Romans. Mir gefiel diese Lesung ausnehmend gut, eine witzige, unterhalsame und spannende Geschichte, die ich, wenn ich etwas mehr Zeit habe, dann im neuen Jahr lesen will. Insofern sei hier statt einer Buchkritik zumindest eine Inhaltsangabe dargeboten:

„Valverde, Ex-Knacki und Serienmörder, versucht sich im Berliner Villenviertel Grunewald eine neue Existenz aufzubauen. Kein einfaches Unterfangen für einen von der Liebe ergriffenen Soziopathen mit einer Passion für Kunst und Gerechtigkeit! Er bemüht sich redlich als Liebhaber der Berliner Journalistin Susa und Schummeldaddy ihrer drei Kids. Seinen Job als Gärtner hat er an den Nagel gehängt, nicht zuletzt, weil er fünf seiner korrupten Auftraggeberinnen ermordet und kunstvoll entsorgt hat. Obwohl ihm die Szene zuwider ist und ein geschundenes Knie ein seriöses Handicap zu werden droht, hält er tapfer durch. Langfristig aber braucht er eine andere Perspektive. Cannabis oder Vanille, das ist hier die Frage!

In die Quere kommt ihm sein leicht bizarrer Drang nach Gerechtigkeit. Als die Frau des benachbarten Schokoladenfabrikanten verschwindet, begibt sich Valverde auf ihre Fährte. Luxusescorts, aztektische Götter, Magic Mushrooms und zugedröhnte Kaninchen kreuzen dabei seinen Weg.

Obwohl sich Valverde an Recht und Gesetz zu halten versucht, obsiegt sein archaisches Verlangen nach Rache. Allerdings macht er sich dieses Mal nicht selbst die Hände schmutzig.“

Die Komik dieses Buches und der bittere Witz kamen in dieser Lesung fein zum Ausdruck und insofern möchte ich dieses Buch von Ute Cohen doch jedem ans Herz legen. Eine Buchkritik folgt im Laufe des nächsten Jahres.

Ganz wunderbar um übrigen, und das möchte ich hier doch hervorheben, gefällt mir das Cover des Buches. Es ist nämlich selten, daß die Photographien, die Buchtitel zieren, ansprechend und gelungen sind und daß man also beim ersten Betrachten nicht einfach flüchtig über sie hinweggleitet, sondern es bleibt das Auge hängen und es rätselt und freut sich an diesem schönen White-Rabit-Motive. Für die Photographie verantwortlich ist Sonja Shenouda. Magic Mushrooms sozusagen.

Ute Cohen: Falscher Garten. Eine schwarze Kapriole
erschienen im Septime Verlag, Wien. 192 Seiten. 22,90 Euro

Aus dem Phrasenbuch des EKD-Friedensbeauftragten Friedrich Kramer

„‚Wie Öl ins Feuer gießen’“‘ – EKD-Friedensbeauftragter gegen Waffenlieferungen“, so titelt die WELT heute, einige Tage vor Weihnachten und damit 10 Monate nach dem Einmarsch Rußlands in die Ukraine.

„Die Frage nach Waffenlieferungen vereinfache die Komplexität der Probleme, sagte er auch der Magdeburger „Volksstimme“. Waffen würden zum Töten verwendet, nicht zur Rettung von Leben. „Wir wissen nicht, wie lang der Krieg geht, ob wir uns auf zwei, vier, sechs, zehn Jahre einstellen müssen. Wie viele Menschen da sterben, das ist alles fürchterlich. Und ich finde, es muss sofort aufhören. Auch die Weltgemeinschaft müsste viel klarer für eine Waffenruhe eintreten.““

Täter-Opfer-Umkehr nach klassischer Manier und wieder wird aus einer allgemeinen Äquidistanz heraus gesprochen, als ob alle irgendwie gleich wären. Der Friedensmann unterschlägt, wie auch die Putin-Freunde, daß es sich bei diesem Krieg – ein Krieg im übrigen, der mit der Annexion der Krim und der russischen Intervention im Donbas bereits 2014 begann – um einen Angriffskrieg Rußlands handelt, bei dem das Opfer alles Recht der Welt hat, sich  zu verteidigen und daß, um die sinnvolle Verteidigung eines deutlich Schwächeren zu ermöglichen, dazu Waffen aus aller Welt geliefert werden müssen. Es sei denn, der Angreifer läßt von seinem aggressiven Tun ab, zieht sich zurück und verhandelt. Das aber ist bisher nicht geschehen, und das sollte auch Kramer eigentlich wissen, sofern er regelmäßig Zeitung liest oder Nachrichten schaut. Der Krieg wird genau dann aufhören, wenn Putin seine genozidale Vernichtung der ukrainischen Bevölkerung stoppen wird. Nicht einen Tag früher. Der Krieg wird erst dann zuende sein, wenn Putin besiegt ist, und das kann unter Umständen  bedeuten, daß dieser Krieg auch auf russischem Territorium geführt werden muß, um Rußland an den Verhandlungstisch zu zwingen. Durch den Stop von Waffenlieferungen wird ein solcher Frieden jedoch ganz sicher nicht erreicht, sondern vielmehr im Gegenteil. Es ist in dieser Sache im übrigen sehr einfach: Wenn die Ukraine die Waffen niederlegt, gibt es keine Ukraine mehr. Wenn Putin die Waffen niederlegt, gibt es keinen Krieg mehr.

Was  für eine ungeheure Menschenverachtung, die dieser Mann Gottes an den Tag legt! Und wenn es kein Zynismus und keine Verachtung für das gebeutelte ukrainische Volk sein sollten, dann ist es intellektuelle Dummheit. Kanzler Scholz, inzwischen nicht nur Scholzomat, sondern auch der Telefonator genannt und als solcher ausgelacht, spricht mindestens einmal im Monat mit Putin. Der Finanzminister immerhin kann froh sein, daß nicht noch wie in den 1990er Jahren nach Minuten die Gespräche abgerechnet werden und wo Auslandsgespräche dabei besonders teuer waren: es kämen ansonsten auf die Bundesrepublik erhebliche Telefonkosten zu. Was hatte solches Telefonieren bisher zur Folge? Hat Putin auch nur im Ansatz sich auf einen Rückzug aus den besetzten Gebieten, auf eine Feuerpause und auf Verhandlungen sich eingelassen? Nein. Alle Anrufe haben gar nichts gebracht. Die Sprache, die Putin versteht, ist die der Gegenwehr, die Sprache der Stärke, wenn Rakten auch in seinem Land, in Kraftwerken und Militärbasen einschlagen.

Es würde mich sehr interessieren, wie Putin sich aus der Ukraine zurückzieht, wenn der Westen aufhört, an die Ukraine Waffen zu liefern. Ich kann noch irgendwie halbwegs verstehen, wenn Kirchenmänner zum Frieden aufrufen – wobei diese Friedensaufrufe ins allgemeine gesprochen bei einem Angriffskrieg irgendwie auch seltsam sind, denn es hat ja der Verteidiger nicht mit dem Angreifen angefangen – aber es sind eben solche Friedensaufrufe wohl des Kirchenmanns Aufgabe irgendwie und man möchte ja auch keine Priester und Pastoren mit Handfeuerwaffen sehen, aber daß sie dazu aufrufen, dem Verteidiger keine Waffen zu liefern, dafür finde ich leider nur einen Begriff: Menschenverachtung.

Vielleicht glaubt Kramer die russischen Aggressoren mit dem Absingen von Advents- und Weihnachtslieder zu vertreiben. Keiner wird wissen, was in den Köpfen von solchen Leuten, mit derart wirren Forderungen vorgeht. Daß jemand wie Putin nur deshalb mit dem Krieg aufhört, weil die andere Seite keine Waffen mehr hat, ist keine fromme, sondern lediglich eine dumme Illusion. Oder genauer gesagt: die Illusion eines Narren und Dummkopfs.

Von  all unseren Friedensfreunden, von Precht über Schwarzer, Welzer und Julian Nida-Rümelin habe ich noch keinen einzigen sinnvollen Vorschlag gehört, wie Putin zu einem Frieden zu bewegen wäre, sondern andauernd abstrakte Auslassungen, unbezüglich in den Diskursraum geworfen. Und seltsamerweise richten diese Leute ihre Forderungen ausschließlich an den Westen und nicht an Putin selbst, wo sie eigentlich hingehören. Als ob der Westen Rußland angegriffen hätte. Außer von der Wirklichkeit abgezogenen Phrasen   liefert Kramer nichts, nicht einen einzigen Hinweis darauf, was wohl passieren würde, wenn der Westen die Waffenlieferungen einstellte. Würde Putin sich plötzlich zurückziehen, weil die Ukraine aufhört sich zu wehren?

Zu Weihnachten, wo vermutlich wieder Zivilisten unter dem Beschuß russischen Bombenterrors leiden müssen (das sind übrigens russische Kriegsverbrechen!) und wo im kalten Winter Kinder, Alte, Frauen und Männer auch zu Weihnachten ohne Heizung und Strom dasitzen (ebenfalls russische Kriegsverbrechen!), salbadert dieser Mensch davon, daß Waffen den Krieg nur verstärken. Es sind russische Waffen, die den Krieg verstärken, nicht die der Ukraine. All diese Botschaften, die Kramer abseiert, sollte er besser an die russische Botschaft richten oder noch besser: Kramer unternimmt eine  Reise nach Moskau und äußert dort seine Sätze. Hier im Westen sind Kramers Auslassungen fehl am Platz.

Und es gibt in diesem Sinne auch eine sehr traurige Weihnachtsbotschaft. Der Autor und Journalist Gustav Seibt hat sie im Blick auf diesen Angriffskrieg formuliert: „Wir gewöhnen uns daran, und das ist es, was Putin will.“ Dem aber darf nicht so sein. Putins Kriegsverbrechen, Rußlands Schande, Rußlands Kriegsverbrechen sind jeden Tag wachzuhalten. Die Tagesschau tut dies auf ihrer Homepage in bewundernswerter Weise. Nicht nachzulassen, die Leute benennen, die hier ihre Hetze betreiben oder die Welt mit läppischen und dummen Friedensvorschlägen behelligen, die kaum umsetzbar sind. Und daran wird auch dieser Blog im nächsten Jahr weiter festhalten.

Es weihnachtet sehr: „Die merkwürdige Lebensgeschichte des Friedrich Freiherrn von der Trenck“

Aus der Rubrik „Schöne Weihnachtsgeschenke“, zweiter Teil: Diesmal ist es eine DVD, im Internet oder anderswo kaufbar, und zwar handelt es sich um eine Serie in fünf Teilen: Es ist „Die merkwürdige Lebensgeschichte des Friedrich Freiherrn von der Trenck“, gedreht in einer Zeit, bevor es überhaupt den Begriff Serie in dieser Art gab, wie wir ihn seit einigen Jahren gebrauchen. „Die merkwürdige Lebensgeschichte des Friedrich Freiherrn von der Trenck“ wurde 1973 im Fernsehen gesendet, in unserem „Zett Deee Effff“ wie Dieter Thomas Heck und im Anschluß daran Harald Schmidt den damals noch gut funktionierenden öffentlich-rechtlichen Sender ostentativ betont aussprach. Und so mußten die Zuschauer voll von Spannung warten, bis die nächste Folge gesendet wurde. Das freilich ist heute bei anderen Serien nicht anders. Was sich geändert hat, ist die Verfügbarkeit solcher Filme. Trenck erschien in der Zeit des gemütlichen deutschen Fernsehabends. Fünf Folgen Spannung und Geschichte(n).

Der Trenck-Film spielt zur Zeit der Schlesischen Kriege, also Mitte des 18. Jahrhunderts und reicht bis ins Jahr 1794, in die Französische Revolution. Wie diese Lebensgeschichte des sonderbaren und ungestümen Adeligen ausgeht, sei nicht verraten, nur soviel: der letzte Teil wirkt dahingehetzt, als sei der Produktion das Geld ausgegangen. Dieser Eindruck mag auch darin gegründet liegen, daß die Lebensgeschichte zugleich doch sehr auf Friedrich II. fokussiert ist. Der Serie hätte ein sechster, wenn nicht ein siebter Teil gutgetan. Aber worum geht es überhaupt?

Jener Friedrich Freiherr von der Trenck (Matthias Habich) ist eine Person der realen Geschichte, seine wilde und bewegende Vita hat er in mehreren Büchern aufgeschrieben und insofern handelt es sich um einen biographischen Film, und derart wird der Film auch aus der Perspektive des von der Trenck erzählt. Trenck ist ein intellektuell hoch begabter, aber auch duellfreudiger und manchmal ebenso bolliger Heißsporn adeliger Herkunft – freilich niederere Adel -, mit einem Hang zu schönen Frauen. Der Preußenkönig Friedrich II. (gespielt von dem noch jungen Rolf Becker) wird auf Trenck in Königsberg aufmerksam, holt ihn für sein Militär an den Preußischen Hof, und zwar für das 1740 neu gegründete Gardes du Corps, ein Kürassier-Regiment der Gardekavallerie. Solche Armee braucht er, um Maria Theresia Schlesien abzutrotzen – insofern ist es auch ein Historienfilm, mit schöner Ausstattung, barocken Gewändern, Uniformen, Ballsälen und Schlössern. Aber all das wirkt in der Inszenierung jedoch nicht übertrieben – und gerade dies macht den Reiz der Serie aus.

Am Hofe Friedrichs geht Trencks Beförderung zum Rittmeister schnell vonstatten, schneller als manch anderem Adligen allerdings lieb ist. Im ersten Schlesischen Krieg verdient sich Trenck den von Friedrich gestifteten Orden Pour le Mérite, die höchste Tapferkeitsauszeichnung. Auch das zieht Neider. Was dem tapferen, aber ebenso des Wortes mächtigen, spottlustigen wie auch wilden Trenck jedoch am Hofe Friedrichs das Genick brach und eine glänzende Karriere vereitelte, das war des Trencks Liebe zur Schwester Friederichs, nämlich Anna Amalie von Preußen (gespielt von Nicoletta Machiavelli). Beide können von ihrer Liebe zueinander nicht lassen, aber doch dürfen sie nicht. Und am Hof gibt es Intriganten und Lauscher, die es dem König zutragen. Friedrich verfolgt den von der Trenck von nun an mit gnadenlosem Haß, fühlt sich betrogen, läßt ihn unter einem fadenscheinigen Vorwand verhaften, ohne Anklage, auf die Weise des absoluten Herrschers. Auf den Hinweis seines Generaladjutanten von Bork (Alf Marholm), daß solcher Akt aber Willkür sei, antwortet Friedrich, daß es in Frankreich und anderswo nicht anders sei, dort habe man jene Lettre de cachet und hier sei es der Wille des Königs, der umgesetzt werden müsse.

Trenck wird auf der schlesischen Festung Glatz eingekerkert, von wo aus er jedoch, durch Bestechung einiger Offiziere, mit denen er sich gut versteht, denn Trencks Wesen ist einnehmend, er ist gesellig in Spiel und Spaß auch in Festungshaft, nach Österreich an den Hof Maria Theresias flieht. Doch hören die Verwicklungen dort nicht auf. In Wien geht es deutlich intriganter als in Preußen zu. Trenck muß nach Moskau an den Hof der Zarin Elisabeth fliehen, ob der Intrigen, die gegen ihn in Wien gesponnen werden, auch weil ihm in Österreich als Preuße ein gewaltiges Erbe zufällt, nämlich die umfangreichen Landgüter seines Vetter Franz von der Trenck. Dieser ist ein ungarischer Pandurenoberst und Befehlshaber eines Korps von 1000 Panduren, welche meist vom Galgen geschnittene Strolche und Wegelagerer sind, die er auf eigene Kosten ausrüstete, um Maria Theresia im Schlesischen Krieg gegen Preußen beizustehen. Franz von der Trenck, großartig gespielt von Glauco Onorato, ist das genaue Gegenteil seines Vetters: Grob, ordinär und brutal und er scheißt auf den östereichischen Standesdünkel und auf all das „Gnädiger-Herr“-Gerede im Wiener Schmalz. Verhaftet wird er wegen Unterschlagung von Beute und Insubordination und damit zu langer Haft verurteilt. Dort richtet er sich selbst und nimmt sich das Leben. Das Erbe geht nun an Friedrich von der Trenck. De jure. Aber leider nicht de facto.

Nicht nur, daß der Trenck seine Schwierigkeiten mit Österreich hat und es ihm nicht gelingt, an sein Erbe zu kommen: auch der Preußenkönig verfolgt ihn immer noch mit unbändigem Furor. Bei einer Reise von Östereich nach Danzig wird er mit List auf ein vermeintlich östereichisches Schiff gelockt, was sich jedoch dann auf der Ostsee als preußisches erweist. Und so wird Trenck verhaftet und auf die Festung Magdeburg verbracht, wo er in Ketten und an die Wand geschmiedet neun Jahre seines Lebens verbringen muß. Deutlich weniger angenehm als in der Festung Glatz. Keine Gespräche, keine Kontakte. Dennoch versucht Trenck einen Ausbruchsversuch, der freilich mißlingt. Im Film wird er auf das Einwirken von Amalia entlassen – was historisch wohl falsch ist und eher aus dramaturgischen Gründen eingebaut wurde, denn tatsächlich wurde Trenck auf die Intervention Maria Theresias freigelassen. Vor Amalias Tod sieht er sie noch einmal. Erinnerungen an eine vergangene Zeit und eine Liebe, die zu solcher Zeit nicht möglich war. Trenck verschlägt es in die Welt und zuletzt nach Frankreich. Diese Episode ist leider, wie anfangs angemerkt, elliptisch beschreiben. Aber das schmälert freilich das Vergnügen an dieser Serie keineswegs.

Ich habe die fünf Folgen in den 1990er Jahren in einer Wiederholung im Fernsehen geschaut und fand sie begeisternd gut und gelungen inszeniert und ich finde das auch heute noch, als ich sie mir nun auf DVD besorgte. Die Serie vermag es, eine spezielle Atmosphäre dieser Zeit zu erzeugen. Herrlich der österreichische Dialekt der Kaiserin Maria Theresia (Elfriede Ramhapp) und das ganze Szenario am Wiener Hof, die hinterfotzige Freundlichkeit, das österreichische Singsangsprechen, dazu eine pragmatische Kaiserin, während die russische Zarin Elisabeth in Moskau ein recht freizügiges Leben führt. Aber auch dort lauern Intrigen, die der Preußenkönig gegen Trenck spinnt.

Fein auch die markigen Sprüche von Friedrich II. Auf die Frage seines Generaladjutanten von Bork, ob ein im Armeedienst stehender Graf Sowieso heiraten dürfe: „Er muß warten. Meine Soldaten dienen dem Degen und nicht der Scheide!“ Allein für diesen Satz und wie er von Friedrich dahingesagt wird, in jener herrlichen Lakonie, lohnt der Kauf. Becker spielt diesen teils genialen, teils entsetzlichen König in aller Härte, in Ideen und Spleen großartig, weil er das Wesen dieses Charakters zum Ausdruck zu bringen vermag: Stolz, Eigensinn, Wagemut, aber auch Begabung stellt Becker gekonnt dar. Es ist dieser Friedrich II. in seiner Härte gegenüber dem Trenck ein gnadenloser Mann. Das Motiv der verdeckten Homosexualität des Friedrich deutet sich in diesem Film von 1973 ebenfalls an, was zu dieser Zeit, nebenbei gesagt, ein veritabler Skandal gewesen sein muß: ein schwuler Friedrich. Oder wie es seine Schwester in einer Bemerkung fallenläßt: Das Problem liegt nicht darin, daß Friedrich den von der Trenck zu sehr haßt, sondern ganz im Gegenteil, daß er ihn zu sehr liebte. Trencks Liebe jedoch galt dem König nur auf dem Felde und am Hof in Hierarchie und Zeremoniell. In Bett und Leben galt sie, ganz körperlich, der Amalie. Auch der Trenck in seiner offenen, wagemutigen Art ist von Matthias Habich großartig dargestellt und eine geradezu ideale Besetzung. Diese Rolle brachte ihm seinen ersten Erfolg als Schauspieler und dies ganz zu recht, denn diese Mischung aus Wagemut, Eleganz und Tapferkeit, sich immer wieder neue aufrappeln und nicht zu verzweifeln, spielt der junge Habich mit Grandezza. Man achte nebenbei auch auf das Motiv der Spiegel in dieser Serie – gerade auch, wenn immer wieder eine der Gestalten, vor allem der Trenck, in solchem Spiegel gebrochen gezeigt wird, oder wenn der Franz von der Trenck im Salon all die Spiegel zertrümmert.

„Die merkwürdige Lebensgeschichte des Friedrich Freiherrn von der Trenck“ schafft es in diesen fünf Folgen und vor allem durch die Schauspieler, die Inszenierung, aber auch durch Außenaufnahmen und das Interieur, eine besondere Atmosphäre dieser Zeit zu erzeugen. Sie zeigt, wie ein Mensch von edlem Geblüt, dem in solcher ständischen Gesellschaft alle Wege offenstehen, vom Leben hin und her geworfen wird. Von Preußen nach Wien und von dort ins prachtvolle Moskau, eine Welt in Barock und der strengen Hierarchien sowie der Hofintrigen, ein hartes Preußen, mit einem strengen Regiment des Alten Fritz und dazu ein morbides Österreich, immer ein wenig schlampert und darauf läßt es sich gut herausreden, wenn dann auch Akten verschwunden sind, die die Alleinerbenansprüche des Freiherrn von der Trenck auf die Landgüter seines verstorbenen Vetters Franz sichern sollen. Auch die von außen leicht verfallenen Gebäude üben ihren Reiz aus. Nichts ist auf Hochglanz poliert, wie man es heute von Serien kennt oder wenn man Filme über Maria Theresia oder Marie Antoinette schaut.

Alle, die solche Historienfilme mögen, dazu viel Action, Spannung (und Liebe freilich auch ein wenig, aber nicht zu viel): all diese werden an jener Serie ihre Freude haben. Auch filmisch ist die Lebensgeschichte des Freiherrn von der Trenck fein gemacht, weil man darin eine aus der Mode gekommene Art der Kameraführung sieht: Ruhig, aber nicht langweilig, erzählend, ohne aufdringliche Schnitte und hektisches Herumgefuchtel mit der Handkamera und vor allem Schlachtszenen, die ohne die heute üblichen Computeranimationen auskommen, was diese Szenen, seltsame Dialektik, sehr viel wirklicher macht als alles das, was heute mit der perfekten Technik aufgenommen wird. Krieg, so zeigen diese Schlachtszenen, ist grausam und es ist nicht nur die pompöse Marschmusik. Wer heil davonkam, hatte großes Glück. Das Problem solcher Computerästhetik – es ist auch in „Babylon Berlin“ zu beobachten – liegt darin, daß das, was besonders lebensecht und realistisch erscheinen soll, mittels solches Verfahrens geradezu einen kalten und leblosen Anstrich erhält. Es wirkt nicht wie ein Film, sondern wie die gute und gelungene Grafik eines Computerspiel – besonders auffallend zu sehen in den Bildern von „Die Ringe der Macht“. All das fehlt in dieser Serie gottseidank. Es ist, um es auf einen Tendenzbegriff zu bringen, sicherlich einer Film- und Fernsehästhetik der 1970er Jahre, aber sie ist, wie in so vielen Filmen dieser Zeit, gut gemacht. Von der Bildästhetik hat dieser Film, obwohl er unterschiedlicher wohl nicht sein kann, deutlich mehr mit Klaus Lemkes „Rocker“ (1972) oder mit Roland Klicks „Supermarkt“ (1974) gemeinsam als mit heutigen Kostumfilmen. Es ist ein Film ohne Puderzucker, wie man es etwa in den 1950er Jahre-Produktionen bei Sisi und anderen Filmen noch findet. „Die merkwürdige Lebensgeschichte des Friedrich Freiherrn von der Trenck“ kommt ohne Kitsch aus und wird von einer guten Dramaturgie getragen. Etwas, das man sich auch von heutigen Fernsehfilmen aus Deuschland wünscht, die eher das Prädikat „bemüht“ verdienen. (Eine der wenigen Ausnahmen ist die Serie „Weißensee“.) An der Kamera beim Trenck übrigens Joseph Vilsmaier.

Wer über die Feiertage eine spannende Serie schauen möchte, der greife zu dieser DVD!

Es weihnachtet sehr: „An Putins Schuhen“ – von Guido Rohm

„Als Putin das Zimmer betrat, sahen wir, dass etwas an seinem Fuß hing. War das nicht … Das musste er sein. Der ehemalige Kanzler, der nicht von Putin lassen konnte. Der nicht ohne ihn sein wollte. Wir hatten davon gehört. Aber glauben hatten wir es nicht können. Bis heute. Bis zu diesem Tag. Er ließ sich über den Boden schleifen. Hin und wieder warf ihm Putin etwas zu, so wie man einen Hund füttert, der die Reste vom Tisch bekommt. Wir kniffen die Augen zusammen. Unsicher, ob das sein konnte. Es war erschreckend. Widerlich. Aber es ersparte den Reinigungskräften Arbeit. So zog Putin eine Spur der Sauberkeit hinter sich her. Gerade dieser Mann, der so viel Blut und Tod in die Welt brachte. Aber er hatte diesen Kanzler, der an seinen Schuhen hing. Hatten wir nicht ein Foto seiner jetzigen Frau gesehen, auf dem er zu sehen war, wie er einen Weihnachtsbaum entführte? Dann musste dies doch ein anderer Mann sein. Oder agierte auf den Fotos ein Doppelgänger? Wir schwiegen und erwachten. Kollektive Alpträume sind die schlimmsten.“
Aus „An Putins Schuhen“

Und mit diesem Text leite ich meine erste Empfehlung für gelungene Weihnachtsgeschenke ein, nämlich die witzigen und vor allem geistvollen Texte von Guido Rohm. Ein Autor, den man wohl zu recht in die Tradition der Neuen Frankfurter Schule stellen kann – immerhin scheint er auch in dieser Region, nämlich im Hessischen, zu leben –, wenn er in seinen Prosa-Miniaturen nicht nur Leser zum Lachen bringt, sondern in eben diesem Witz sich zugleich das zeigt, was wir Esprit nennen. Und dazu ein surrealer, oft überbordender Humor, der ins Absurde driftet. Die Kraft dieser Prosa liegt in ihrer Kürze. Das, was Rohm schreibt, ist jedoch nicht nur geistreich, sondern vielfach auch politisch treffend und eine Reaktion aufs Zeitgeschehen:

„Jahrelang hasst man die USA, diese Verbrecher.“
„Und dann kommt dieser Putin und macht einem alles kaputt.“
„Das ist doch nicht richtig von dem.“
„Da steckt eine Menge USA in dem, anders kann man sich das nicht erklären.“
„Das hätte ich von dem nie gedacht, dass in dem …“
„Vielleicht hat der CIA den …“
„Das würde es erklären.“
„Schade ist das, dass der uns so in unserem Hass auf die USA behindern muss.“
„Sehr schade. Als Linker hat man es nicht einfach.“
„Nicht einfach.“
(Guido, Rohm: Aus „Nicht einfach“)

„Er hatte diesen Krieg so satt. Gerade erst hatte er einen weiteren offenen Brief unterzeichnet, der die sofortige Kapitulation der Ukraine forderte. Warum hatte sich dieses Land auch unbedingt angreifen lassen müssen? Diese provokante Gegenwehr. Und er? Er würde eine riesige Gasrechnung bekommen. Der Winter könnte kalt werden. Sehr kalt. Ihn fröstelte, wenn er daran dachte. Und das im Hochsommer. Er überprüfte seinen Maileingang. Nichts. Kein offener Brief, den er unterzeichnen konnte. Es war nicht leicht, ein deutscher Philosoph in diesen Tagen zu sein.“
(Rohm, Guido: Kapitel „Ein Mann offener Briefe“, Seite 42)

„Dirk bedroht wieder irgendwelche Leute.“
„Dieser Spinner.“
„Sag nichts, sonst kommt er zu uns. Nicht hinsehen.“
„Ups, der eben wird nie wieder kraftvoll zubeißen können.“
„Leiser.“
„Kommt er?“
„Nö, er ist mit einem Kleinen beschäftigt. Aua. Ob der jemals wieder laufen kann?“
„Nicht unser Kampf. Sieh weg.“
„Er kommt.“
„Ich wusste, dass er dein Schweigen als Provokation auffassen wird.“
„Tut mir leid.“
„Zu spät. Du Vollidiot. Musstest du dauernd hinsehen?“
„Hab ich gar nicht.“
„Haste doch.“
„Ist er da?“
„Er hat sich einen alten Mann vorgeknöpft.“
„Glück gehabt.“
„In Ordnung ist das nicht, was der macht.“
„Du lernst es nicht, du willst, dass er uns schlägt.“
„Er kommt.“
„Danke, das hast du uns eingebrockt. Danke.“
„Wir müssen eben hoffen, dass er abgelenkt wird. Da wird doch wer sein, den er vorher schlagen wird.“
(Guido Rohm: Aus „Trügerische Hoffnung“)

Rohms Prosaminiaturen sind auch deshalb gelungen, weil sie immer einmal wieder auch das Grauen der Zeit aufgreifen, sich in der Satire nicht davor verstecken und trotzdem mit Witz dem Entsetzlichen begegnen: in der guten Tradition von Jean Paul, Heinrich Heine und vor allem der Neuen Frankfurter Schule um Eckhard Henscheid und Robert Gernhardt insbesondere. Aber es gibt in Rohms Prosa auch Fragen zur Ästhetik und den Möglichkeiten bzw. Unmöglichkeiten von Gegenwartskunst, die sich in ihrer Fortschrittsspirale sowie den Schockeffekten leer- und totgelaufen hat und zum Ritual erstarrt ist:

– Wann fängt das Stück an?
– Es hat schon angefangen.
– Es hat angefangen?
– Ja. Darum geht es ja.
– Worum geht es?
– Um den Anfang. Der Vorhang hebt sich ein Stück, dann aber hängt er, alles hängt. Es geht nicht weiter.
– Also hat es angefangen?
– Ja.
– Und wann geht es weiter?
– Gar nicht. Darum geht es nicht. Es geht um den Anfang.
– Oh. Aber die Leute flüstern alle.
– Das gehört zum Stück.
– Auch dieser Buhruf!
– Ja. Das Stück interagiert mit uns.
– Ich will gehen.
– Jetzt? Das Stück hat gerade angefangen.
– Aber in zwei Stunden wird es das immer noch.
– Lass uns in der Pause gehen.
– Gibt es denn eine?
– Laut Programmheft nicht, weil es nur den Anfang gibt.
– Und wie lange geht der?
– Drei Stunden.
– Die ersten gehen.
– Vielleicht sind das Schauspieler. Bleiben wir. Die Handlung nimmt Fahrt auf.
Aus „Der Anfang“

Was als Scherz sich liest, hat immer auch eine tiefere Bedeutung und enthält jenen Kern von Wahrheit, weshalb solchem Humor auch eine erkenntnisstiftende Kraft zukommt. Freilich: eine bessere Werbung für seine Texte als jede Rezension es je wird leisten können, ist es, diese Miniaturen selber sprechen zu lassen

„- Jetzt haben sie eine Hitzewelle angekündigt.
– Wir glauben nicht daran. Das wird uns nur erzählt, um uns besser unterdrücken zu können. Ich und meine Frau sind Hitzeleugner.
– Aber das ist doch messbar.
– Da steckt der Bill Gates dahinter. Die reden uns die Hitze ein, weil sie uns zwangskühlen wollen. Es gibt längst riesige Kühlhäuser, in die wir alle gesteckt werden sollen.
– Das habe ich noch nie gehört.
– Daran kann man erkennen, dass es stimmt. Je weniger Leute von einer Verschwörung gehört haben, desto wahrer ist sie.“
Aus „Je weniger“

Schön auch seine Rabbei Steinsalz-Episoden:

Eine Tages sagte ein Mann zu Rabbi Steinsalz: „Rabbi, ich habe fürchterliche Angst vor meinem Tod.“
„Das solltest du nicht“, sagte Rabbi Steinsalz. „Deine Frau war letzte Woche bei mir und wir haben uns zufälligerweise ebenfalls über deinen Tod unterhalten. Und sie hat keinerlei Angst davor. Und wenn sie die nicht hat, solltest du auch keine haben. Im Gegenteil sogar, sie scheint sich darauf zu freuen. Nimm dir ein Beispiel daran.“
Aus „Go Rabbi Go“

Ich rate dringend, Guido Rohm auf Facebook zu folgen, ich rate aber auch jedem und dringender noch seine Bücher zu kaufen: man schenke sie sich selbst zum traurig-schönen Weihnachtsfest, an dem Putin die Menschen in der Ukraine vermutlich auch in diesem Tag bombardiert, oder man schenke sie Verwandten oder Freunden. Im Schräg-Verlag sind von Guido Rohm erschienen: „An und Pfirsich – Texte für alle 117 Tage des Jahres“ und „Tyrannei in Senfsoße – Texte für stille und laute Örtchen“. Darin finden sich viele seiner Texte, die er auch auf Facebook veröffentlichte. Weil das aber dort auf diesem seltsamen Medium im Strom all der Einträge verlorengeht und weil Facebook nichts Bleibendes ist, sei insofern auf die Bücher verwiesen. Man kann sie direkt beim Verlag bestellen oder in jeder guten Buchhandlung. Sein erste Sammlung mit Kurzgeschichten erschien 2009 und trägt den Titel „Keine Spuren“ (erschienen im Jens Seeling Verlag, Frankfurt am Main 2009) und es gibt von diesem Autor auch zwei Krimis, die das herrkömmliche Genre erheblich sprengen, nämlich „Blut ist ein Fluss“ und „Blutschneise“. (Eine Rezension findet sich an dieser Stelle.) Und weil diese Texte so schön sind, soll es zum Abschluß noch zwei geben:

„Machst du mal bitte die Heizung an!“
„Keine Heizung. Wie du weißt, müssen wir sparen.“
„Aber ich friere.“
„Ich auch. Das verbindet uns. Das eröffnet eine ganz neue Seite unserer Beziehung. Fortan können wir uns daran erinnern, wie wir gemeinsam gefroren haben.“
„Ich werde nur krank.“
„Und dann pflege ich dich. Ich sitze hier und wische dir den Scheiß von der fiebrigen Stirn. Und wenn du dann gehst …“
„Gehe? Ich wohne doch hier.“
„Nach oben.“
„Zu Wischmayers?“
„Höher.“
„Zu Benzens?“
„Viel höher.“
„Auf das Dach steige ich bestimmt nicht.“
„Du missverstehst mich.“
„Das glaube ich auch. Und was ist mit der Heizung?“
„Die bleibt aus. Wir lassen uns von der Kälte nicht unterkriegen. Hier, bitte sehr.“
„Ein Schlafsack?“
„In den legst du dich. Wie in einen Kokon. Und im Frühjahr schlüpfst du.“
„Du spinnst doch …“
„Nein, ich bleibe auch in meinem. Wenn du magst, rollen wir gemeinsam in die Küche.“
Aus „Die Schmetterlinge“

 

Zwischen russischer Propaganda und Verschwörungssound als Sabotage von Kommunikation: „Putin – der gefährliche Despot“

Daß Wladmir Putin nicht erst seit 2014 oder 2008 ein brandgefährlicher Politiker ist, der 1999 niemals in die große Politik hätte gelassen werden dürfen, zeigt die Dokumentation „Putin – der gefährliche Despot“. (Sie lief letzte Woche auf ZDF-Info und ist in der Mediathek noch einsehbar.) Wir sehen dort Putins Werdegang: Von der Ablehnung Putins durch den KGB für eine Tätigkeit im Ausland wegen Unbeherrschtheit und fehlender rationaler Selbstkontrolle, so daß es nur für die Provinz reichte, nämlich Einsatz in der Ostzone in Dresden, über seinen unheilvollen Aufstieg, als Boris Jelzins ihn 1999 zum Ministerpräsidenten ernannte, bis hin zu seiner Abschottung durch Corona und den verrückten Bildern, wo man Putin und Staatsgäste oder seine Lakaien an elend langen Tischen sah und meinte, es mit einem psychisch schwer gestörten Menschen zu tun zu haben.

Die Dokumentation einfaltet ein prägnantes und treffendes Portrait , was seinen politischen Aufstieg angelangt und auch Putins Kunst, Netzwerke der Macht zu knüpfen, wird thematisiert. Zentral für das Verständnis von Putins Tun bleibt jene bezeichnende Aussage von ihm: „Einmal KGB, immer KGB!“. Denn dort hat er gelernt und das sollte man bei all seinen Drohungen gegen den Westen immer im Hinterkopf behalten: Geschult darauf Gegner zu zermürben und andere Menschen zu bedrohen. Putins Methode dabei: Tricksen und täuschen, lügen und betrügen: Politikern frech ins Gesicht lügen, daß es keine russische Invasion in die Ukraine gibt, um dann zwei Tage später loszuschlagen. „Putin – der gefährliche Despot“ ist eine sehenswerte und leider auch erschreckende Dokumentation. Erschreckend vor allem deshalb: wir hätten all das schon lange wissen können. Nur wenige, wie Marielouise Beck und die Journalisten Golineh Atai, Alice Bota und Michael Thumann haben vor dem System Putin sowie vor dessen neoimperialen Ansprüchen gewarnt. Anfang 2022 brachte es auch der Buchtitel von Catherine Belton auf den Begriff: „Putins Netz – Wie sich der KGB Russland zurückholte und dann den Westen ins Auge fasste“. Zentraler Trick solcher neoimperialer Gelüste ist das Vernebeln der eigenen Ansprüche, indem in Dauerschleife aus den Kontext gerissene Meldungen gebracht und Lügennarrative sowie Falschbehauptungen installiert werden – in Deutschland gibt es dafür Putins willige Helfer: von Tom J. Wellbrock, über Dirk Pohlmann, Mathias Bröckers bis hin zu Albrecht Müller und zur AfD sowie den einschlägigen Kreisen in Schnellroda: unsere neue Querfront. Ich kann nur jedem raten, sich das, was diese Leute von sich geben, gut anzuhören, um dann abzugleichen, was Historiker und Forscher wie der ukrainisch-amerikanischer Historiker und Hochschullehrer Serhii Plokhy, die Historiker Karl Schlögel, Gwendolyn Sasse und Experten wie der Politikwissenschaftler und Professor für Internationale Politik Carlo Masala und Experten wie Manfred Quiring und Winfried Schneider-Deters zu schreiben haben.

Wie Putins Propaganda auch beim russischen Volk wirkt und wie Putin und sein System den Menschen den Raschismus und eine neue imperiale Außenpolitik einträufeln, zeigt die Dokumentation „Putins Propagandamaschine – Das manipulierte Volk“ – insbesondere im Blick auf die Instrumentalisierung des Zweiten Weltkrieges für einen blutigen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Im neuen russischen Totalitarismus, für den manche auch den treffenden Begriff des Raschismus prägten, geriert sich die Lüge als Antifaschismus und als Methode für totalitäre und imperialistische Innen- wie Außenpolitik. Fürs Innere werden die Lügen und die Propagandaerzählungen verbreitet, Putins Helfer instrumentalisieren die Toten im Kampf gegen Hitler-Deutschland, wenn da vom „Unsterbliches Regiment“ schwadroniert wird.

Was man dieser Dokumentation freilich gewünscht hätte, wären jene historische Fakten, wie man sie bei den oben genannten Wissenschaftlern und Experten nachlesen kann, statt nun Putin-Narrativ an Putin-Narrativ zu reihen. Aufschlußreich dabei freilich, wie diese Narrative bei den Russen verfangen. Angesichts der Tatsache freilich, daß es in Rußland lange schon keine freien Medien mehr gibt, nicht weiter verwunderlich. Die Situation in Rußland erinnert an das Deutschland von 1933: ein totalitärer Staat mit Propaganda, darin Systemkritiker in Lagern verschwinden, mit Gift umgebracht werden oder aber Journalisten wie Anna Politkowskaja und Oppositionspolitiker wie Boris Nemzow im Treppenhaus der eigenen Wohnung oder auf offener Straße von hinten erschossen werden. Putins Rußland eben, während in Deutschland die Friedensbewegung antiamerikanische Parolen ruft. Zu Putin aber schweigen sie.

Für das Ausland und besonders für Deutschland wird der Unterschied zwischen Wahrheit und Lüge verwischt und unsichtbar gemacht: russisches Giftgas in Syrien: „Nein, nichts Genaues weiß man nicht!“ Der Abschuß der Malaysia-Airlines-Flug 17 mit 298 Toten unter Mithilfe russischer Militärs:“Nein, nichts Genaues weiß man nicht!“ Seit 2014, als Russen im Donbas agierten und die Destabilisierung der Ukraine betrieben: „Nein, nichts Genaues weiß man nicht!“ Und so werden auch in Deutschland ganz bewußt von einschlägigen Propagandaportalen wie Russia Today, den Nachdenkseiten, Apolut oder Nuo Viso Lügen verbreitet oder aber Fakten werden manipulativ gegen den Strich gebürstet.

Ein keines Beispiel aus der Trickkister der Manipulation: Da wird im Brustton der Empörung auf einem dieser Portale bereichtet, daß die Ukraine die Rentenzahlungen für die Menschen im Donbas gestoppt hat. Leider nur wird zu dieser in der Tat richtigen Information nicht dazugesagt, daß es sich hierbei um genau die Gebiete handelt, die nun unter russischem Einfluß stehen, wo spätestens seit 2014 durch Rußland Abspaltungsbewegungen gefördert werden und wo russisches Miltitär agiert. In der Tat werden in jenen Gebieten, die unter dem Einfluß des russischen Aggressors stehen, der die territoriale Integrität der Ukraine zu untergraben versucht, keine Renten mehr gezahlt. Warum auch? Es betankt die Ukraine ja auch nicht die Panzer der Rebellen im Donbas. Und solcher Unfug wird dann von den Hörern solcher Kanäle bedenkenlos nachgeplappert, ohne sich dabei weiter mit dem Kontext und der tatsächlichen Situation im durch Rußland indirekt okkupierten Donbas zu befassen.

Dem System Putins und jenen oben genannten Putin-Vasallen hier in Deutschland geht es aber nicht einfach nur darum, gegen die Wahrheit nun die Lüge zu setzen, sondern vielmehr den Begriff der Wahrheit und der historischen Fakten selbst zu zerstören. Ich hatte dies vor einem Monat anhand des vranyo-Ritual als Spezialität russischer Politik herausgestellt: vranyo steht für ein Lügenmärchen, so Volker Eichener, „das gar nicht ernst zu nehmen ist. Ein Russe hat vranyo einmal mit folgenden Worten definiert: ‚Du weißt, dass ich lüge, und ich weiß, dass du es weißt, und du weißt, dass ich weiß, dass du es weißt, aber ich mache ohne mit der Wimper zu zucken weiter und du nickst ernsthaft und machst dir Notizen.'“

Und weiter heißt es bei Eichener in seinem Essay „Russlands Krieg gegen die Ukraine: Kann man mit habituellen Lügnern verhandeln?“ im Blick auf solche Art des Lügens, darin der Begriff der Wahrheit bewußt in die Unschärfe gezogen werden soll:

„Der langjährige russische Außenminister Lawrow hat es zu einer Meisterschaft gebracht, vranyos mit einem spöttischen Unterton zu erzählen: Denkt ihr, ich sage euch die Wahrheit? Natürlich erzähle ich euch ein Märchen – und einige von euch sind auch noch dumm genug, es zu glauben. Vranyos sind zum Ritual geworden: Westliche Medien oder Regierungen beschuldigen Russland, ein (Kriegs-) Verbrechen begangen zu haben, und Russland erzählt ein vranyo. Zum vranyo-Ritual gehört, der Gegenseite ebenfalls ein vranyo zu unterstellen, so dass vranyo gegen vranyo steht.

Vranyos werden nicht nur eingesetzt, um die Medien und die Bevölkerung in die Irre zu leiten. Als der französische Staatspräsident am 20. Februar 2022, also vier Tage vor Kriegsausbruch, mit dem russischen Präsidenten telefonierte, erzählte Putin vranyos am laufenden Band. Die größte Lüge war, dass Putin zu diesem Zeitpunkt längst entschlossen war, den Angriff zu starten, aber sagte, die Truppen würden bereits abgezogen.“

Solches Verfahren der Destruktion bringt auch der Soziologie Nils C. Kumkar auf den Begriff, nämlich mit dem Titel seines Buches „Alternative Fakten. Zur Praxis kommunikativer Erkenntnisverweigerung“. Kumkar zeigt, daß solcher Dauerbeschuß mit „alternativen“ Fakten, also mittels Lügen und Betrügen, im Diskurs sehr wohl eine kommunikative Funktion erfüllt – nämlich sollen ganz bewußt Wahrheit und Erkenntnis sabotiert werden. Bereits 1967 hat Hannah Arendt diese Umdeutung von Wahrheit in ihrem Essay „Wahrheit und Politik“ pointiert:

„Wo Tatsachen konsequent durch Lügen und Totalfiktionen ersetzt werden, stellt sich heraus, daß es einen Ersatz für die Wahrheit nicht gibt. Denn das Resultat ist keineswegs, daß die Lüge nun als wahr akzeptiert und die Wahrheit als Lüge diffamiert wird, sondern daß der menschliche Orientierungssinn im Bereich des Wirklichen, der ohne die Unterscheidung von Wahrheit und Unwahrheit nicht funktionieren kann, vernichtet wird.“ (Hannah Arendt, Wahrheit und Politik)

Dem ist bis heute nicht viel hinzuzufügen. Genau um solches Zerstören von Orientierung im Wissen und in der Wahrheit geht es jenen oben genannten Portalen sowie jenen Protagonisten Bröckers und Co., die ihre Verschwörungsmyten von Neuer Weltordung verbreiten. Allerdings bleibt kritisch gegen Arendt anzumerken, daß in solcher Verwischung von Wahrheit und Lüge am Ende doch die große Lüge installiert werden soll. Freilich nach der Manier von Paranoikern, die in einem Wahngebäude wohnen: Hat man einmal die erste Prämisse dieses Irrsinns akzeptiert, folgert sich alles weitere von selbst.

Verschwörungsmythen funktionieren als Zirkelschlußsystem: Man setzt eine Annahme X als wahr – sei es, weil man sie  dogmatisch festschreibt oder weil man einzelne Beispiele sich herausgreift und von „einige“ auf „alle“ schließt – und das, was dann als wahr gesetzt wurde – die neue Weltordung, Corona-Diktatur, Rußland als vom Westen „überfallenes“ Land, Mainstreammedien manipulieren, Medien sind in der Sache X in ihrer Berichterstattung gleichgeschaltet – bestimmt dann im weiteren alle übrigen Ausführungen, die dann genau unter diesem Aspekt gedeutet werden. Jedes Zeichen, jede Aussage, jede Meldung kann dann bequem unter diese Prämisse sortiert und eingeordnet werden. Und so bestätigt und trägt sich solches System von selbst und es verstärkt sich dabei mit jeder weiteren Meldung. Noch der Gegenbelegt wird vom Verschwörungswahn als Beleg dafür genommen, daß eben der Kritik von jenem Deep State, von den Medien oder von der NATO gekauft und ein Systemknecht sei. Die Anhänger solcher Wahnsysteme gleichen von der Denkstruktur her Sektenmitgliedern, deren Gehirne gewaschen wurden, wie dies bei Scientology oder in manchen religiösen Erweckungsbewegungen geschieht.

In der Durchführung jedoch gleichen solche Zirkelsysteme paranoiden Wahnsystemen, die in sich dicht und geschlossen sind, so daß, wie beim Paranoiker, von außen nichts mehr hereindringen kann. Ähnlich freilich auch bei Sekten, mit denen jene genannten Verschwörungsportale, auch in der monothematischen Ausrichtung, einiges gemeinsam haben. Im Gegensatz zu den psychischen Wahnsystemen aber wirken Verschwörungsmythen gesamtgesellschaftlich; sie unterwandern Diskurse und Debatten. Selbst ihre Thematisierung dient ihnen noch, es ist der klassische Streisand-Effekt: törichten oder falschen Informationen wird in der Berichterstattung Aufmerksamkeit gewidmet und so trägt auch solches zur Verbreitung des Unsinns bei. Daß die Grenzen zwischen Verschwörungsmythen und paranoidem Denken fließend sein können, zeigt der Vegan-Koch Attila Hildmann und auch die Video-Auftritte des ehemaligen rbb-Journalisten Ken Jebsen zur Corona-Pandemie, wo Realität und Fiktion nicht mehr getrennt werden können. Man mache sich einmal den Spaß und sehe sich die Videos von Jebsen zur Corona-Pandemie an, wo er wie Joker geschminkt in irrem Stakkato mit dem Grundgesetz fuchtelt – dessen Art. 11. Abs. 2 er offenkundig nicht gelesen hat.

In ihrem Essay zu Auschwitz, zur Barbarei der deutschen Faschisten sowie den  zugrundeliegenden Mustern der Kommunikation beschreibt Hannah Arendt implizit auch das System der Verschwörungsmythen, wenn sie die Methoden der Nazis analysiert:

„Dem von ihnen angerichteten Grauen liegt die unbeugsame Logik zugrunde, welche auch die Sichtweise von Paranoikern regiert, in deren Systemen alles mit absoluter Notwendigkeit folgert, wenn einmal die erste verrückte Prämisse akzeptiert worden ist. Der Wahnwitz solcher Systeme besteht natürlich nicht nur in der Ausgangsprämisse, sondern vor allem in der ehernen Logk, die sich durchsetzt, und zwar ohne Rücksicht auf die Tatsachen und – ohne Rücksicht auf die Wirklichkeit – einer Wirklichkeit, die uns lehrt, daß es in der Praxis keine absolute Vollkommenheit geben kann.“ (Arendt, Nach Auschwitz)

Ambivalenzen und Ambiguitäten sind für solche Leute schwierig auszuhalten und weder im Wahn- noch im Zirkelsystem  vorgesehen.

Raketen auf Rußland

„Die Erde ist rund […] Wenn etwas in den Luftraum anderer Länder eindringt, kehren früher oder später unbekannte Flugobjekte zum Ausgangspunkt zurück.“ So äußerte sich Mychailo Podoljak, Berater von Wolodymyr Selenskyi, kürzlich auf Twitter hinsichtlich der Raketenangriffe auf Militärstellungen in Rußland.

Und da die Russen 2014 bei der Invasion auf der Krim und im Donbas ihre Marsmännchen einsetzen, kann es passieren, daß die Ukraine nun Putins Russen mit ihren eigenen Mitteln schlägt. Oder wie es früher in den 1980er Jahrne der Schlachtruf der Autonomen war: „Aufruhr, Widerstand, es gibt kein ruhiges Hinterland!“ Und daß eben muß auch für Rußland gelten. Jeder Ort in Rußland, von dem Raketen auf ukrainische Zivilisten, auf Kraftwerke, auf Städte, auf Krankenhäuser und Wohnblöcke abgefeuert werden, muß sich sicher sein, daß diese Raketen auch wieder zurückkehren werden. Der Aggressor muß seine eigenen Mittel zu schmecken bekommen.