Man könnte diese Überschrift auch derart formulieren: Wie man dem Kampf gegen rechts nicht nur einen Bärendienst erweist, sondern sich auch noch in eine Paradoxie verstrickt. Man kann nicht nicht kommunizieren, wie es Paul Watzlawick in dem zusammen mit Janet H. Beavin und Don D. Jackson geschriebenen Buch „Menschliche Kommunikation“ formulierte. Das, was man bekämpfen will, in diesem Fall rechte Verlage, macht man durch dessen Thematisierung erst groß. Wieder einmal ist ein Verlag in aller Munde, den bisher kaum jemand auf dem Schirm hatte – es sei denn er hätte die Bücher von Alain de Benoist bestellt. Dieses paradoxe Publikmachen dessen, was man eigentlich unsichtbar machen will, geschah bereits 2017 auf der Frankfurter Buchmesse mit dem Antaios Verlag und dann 2018 in Leipzig. Nun auch wieder in Frankfurt durch die Absage von Jasmina Kuhnke, einer schwarzen Autorin und Aktivistin, die dort eine Lesung bzw. ein Literaturgespräch gehabt hätte. Deren neues Buch „Schwarzes Herz“ ist gerade bei Rowohlt erschienen. (Wäre Kuhnke eine Konservative, hätten diverse Medien, von Deutschlandfunk Kultur bis Kulturzeit auf 3sat, vermutlich das Adjektiv „umstrittene“ hinzugefügt. Aber die Art Kuhnkes, ihre Auftritte bei Twitter, deren Identitätspolitik sowie die linksidentitäre Gefolgschaft sind nochmal ein anderes Thema, um das es hier nur am Rande geht.)
Verlage wie Karolinger gibt es seit 1980, Antaios seit 2000, Jungeuropa seit 2016 – wobei ich Karolinger als rechtskonservativ bezeichnen würde, und es gibt bei allen Verlagen durchaus lesenswerte Bücher. Aber seit wann und wodurch kennen wir diese Verlage und wodurch sind sie prominient in der Öffentlichkeit? Aufgemerkt und aufgepaßt! Genau. Durch all die Aufregung, den Rabbatz und den Medienrummel und daß da vor den Ständen randaliert und gepöbelt wurde, so daß die Messepolizei dann in großem Aufgebot auftauchte. Das erst brachte 2017 jene Aufmerksamkeit, nach denen jene Verlage gieren. Nichts schlimmer, als nicht beachtet zu werden. Selbst eine schlechte Presse ist eine gute Presse – wie sich selbst an solchen widerwärtigen Podcastbeiträgen des rechtsextremen Verlegers von Jungeuropa, Philip Stein, zeigt. Und auch im Jahr des Herren 2017: Krawall und Boykott und ein beschädigter und beschmierter Verlagsstand eines der neurechten Verlage. 2019 wurde es wieder ruhig. (Eine der kleinen Provokationen von Kubitschek lief relativ ins Leere.)
Durch die Art der Absage von Jasmina Kuhnke, verbunden vor allem mit einem Boykottaufruf, ist nun der Verlag Jungeuropa in aller Munde. Der Verleger bedankte sich dann auch artig für die Aufmerksamkeit, die ihm zuteil wurde. Manchmal kann das Ignorieren besser sein. Einfach vorbeigehen, wenn man keine Lust darauf hat. Die Demokratie und der Rechtsstaat stehen nicht kurz vor ihrer Auflösung, wenn ein solcher Verlag auf einer Buchmesse sein Programm präsentiert. Und was die Leute lesen oder nicht lesen oder nicht anschauen sollen, das haben am Ende nicht Einzelpersonen zu entscheiden. Wie man mit Rechten umgehen kann, zeigt wunderbar immer noch das Buch „Mit Rechten reden“ (Nein, das ist kein Imperativ.) Dabei ist freilich, das sei klar gesagt, nicht die Absage Kuhnkes als solche das Problem, sondern die Art, wie dies kommuniziert wurde und vor allem der damit verbundene Boykottaufruf. Gerade die Buchmesse aber wäre ein Ort, über solchen Rassismus zu sprechen. Boykottforderungen hingegen machen genau das Gegenteil: man redet nun über jene Verlage, über Meinungsfreiheit und Rechtsgüterabwägunge – einmal abgesehen davon, daß solches Ausschließen an erheblichen justistischen Hürden scheitern kann. Und das zu recht.
Gewalt darf nicht kleingeredet werden, aber sie sollte doch in Relation gesetzt sein und wir sollten reale Bedrohungslagen und subjektives Bedrohungsgefühl unterscheiden können. Antisemitische und rassistische Äußerungen sind strafbar. Direkte Bedrohungen oder die Androhung eines empfindlichen Übels ebenfalls. Anders aber verhält es sich bei subjektiven Einschätzungen: Gefühlte Bedrohungen mögen für den einen unangenehm sein für den anderen sind sie unerheblich. Gefühlslagen sind aber kein Grund, einem Verlag die Teilnahme an einer Messe zu verbieten. Wer sich einem solchen Verlag und deren Standpersonal oder den Büchern dort nicht aussetzen möchte, der bleibt weg. Das ist eine persönliche Entscheidung. Aus solchem Wegbleiben sind jedoch keine Forderungen abzuleiten. Völlige Sicherheit ist leider ebenfalls eine Illusion, auch eine völlige Sicherheit des öffentlichen Raumes, sei es vor Neonazis, vor islamistischen Attentätern, vor migrantischen Jungsgruppen in Berlin, vor betrunkenen Hooligans im ÖPNV oder einfach vor Aggro-Gewalttätern gibt es leider nicht. Im Falle einer konkreten Bedrohung ist es ratsam, die Polizei zu rufen. Und wir als Gesellschaft sollten zudem überlegen, wie wir auch den öffentlichen Raum sicherer machen können. Auch für Schwarze. Patentrezepte wird es da leider nicht geben.
So schlimm es ist, wenn schwarze Frauen oder schwarze Männer bedroht werden, so ändert dies nichts an der Kritik, die ich an solchen Leuten wie Kuhnke übe, gerade auch im Hinblick auf das, was sich Identitätspolitik nennt, und darin liegt auch einer der Gründe, warum es mir sehr schwer fällt, mich mit Leuten wie Kuhnke und all denen, die da in ihrer Twitterblase schwimmen und die angebliche weiße Mehrheitsgesellschaft beschimpfen, zu solidarisieren. Wer dauernd auf die ekelige weiße Mehrheitsgesellschaft schimpft, solle in Betracht ziehen, daß diese Leute, auf die man vielleicht doch qua Zuspruch irgendwie angewiesen ist, sich abwendet. Zumindest Teile davon. Und als ich las, daß eine ganze Riege von Autoren die Messe absagte, unter anderem auch Till Raether, überkam mich am Ende irgendwie doch eine klammheimliche Freude und ich dache mir: „Zu irgendwas muß doch dieser steindämliche Verlag auch gut sein!“
Wer im Dauerton der Gesellschaft Rassismus unterstellt, wer in Dauerschleife am Schimpfen, Pöbeln, Zurechtweisen und Belehren von Stimmen ist, die anders sind, der sollte sich einmal überlegen, ob es nicht vielleicht zuweilen auch angeraten sein kann, eine andere Strategie als Polemik und Provokation zu fahren. Ansonsten denke ich, daß gerade die Buchmesse, trotz rechter Verlage, ein Ort ist, wo es relativ freundlich und oft auch homogen zugeht. Schon aus diesem Grunde ist die Absage der ansonsten auf Twitter nicht zimperlichen Kuhnke im Blick aufs Ganze gesehen und vor allem mit der absurden Boykottforderung unangemessen – auch wenn Kuhnke subjektv berechtigte Gründe gehabt haben mag. Was die Sicherheit für Kuhnke betrifft, dürfte es allerdings kaum einen sichereren Ort geben als eine Buchmesse – zumal die Messe ein umfassendes Sicherheitskonzept ausgearbeitet hat und zumal die Lesung eben nicht, wie immer wieder berichtet wurde, in der Nähe jenes rechtsextremen Verlages hätte stattfinden sollen.
Wenn Canan Bayram twittert: „Rechte Verlage auf der Buchmesse: Deutsches Traditionsbewusstsein – Trotz #Halle trotz #Hanau trotz des Mordes an Walter #Lübcke und zig Polizeiskandalen made in Hessen. Als ob die geistige Brandstiftung nichts mit dem rechten Terror zu tun hätte #nonazis“, dann erinnert mich das leider fatal an rechtskonservative und konservative Stimmen seinerzeit in den 1970er und 80er Jahren, etwa wenn es um angeblich Terrorismus verherrlichende Literatur ging und wenn man linken Schriftstellern vorwarf, Sympathien für Terroristen zu hegen. Ja, enige taten das vermutlich sogar. Auch auch das ist kein Grund, etwa Bücher von Peter Paul Zahl zu verbieten und ihn auf einer Messe nicht auszustellen. Und das zeitweise im Jahr 1975 bestehende Verbot von Bommi Baumanns Buch „Wie alles anfing“ war Unsinn – eine unveränderte Neuauflage konnte dann 1976 unbehelligt verkauft werden. Rechten Terror wird man nicht dadurch verhindern, daß die Veranstalter bestimmte Verlage von der Messe ausschließen – zumal all die Infos und Bücher heute gut und schnell übers Internet bestellbar sind. Wer sich radikalisieren will, wird dazu keine Buchmesse brauchen, so wie Islamisten sicherlich nicht durch irgendwelche in Frankfurt ausliegenden Schriften von arabisch-islamistischen Verlagsständen – die es ürigens ebenfalls auf dieser Messe gibt und die man dann ebenfallls verbieten müßte – radikalisiert werden. Insofern schließt Bayram hier unvermittelt Aspekte zusammen, die in keinem direkten und schon gar nicht in einem nachweisbaren Zusammenhang stehen.
Wenn die grüne Stadtverordnete von Frankfurt, Mirrianne Mahn, am 24.10. in einem Gespräch mit Per Leo in der Hessenschau sagt, daß die Meinung der einen Person nicht mehr Gewicht haben dürfe als die Meinung der anderen Person und daß jene Leute, die bei der Buchmesse absagten, ihre Meinung nicht äußern konnten und daß wir damit den Rechten mehr Raum gegeben hätten, so stimmt dies aus verschiedenen Gründen nicht. Kuhnke ist medial ausgesprochen präsent, so daß man kaum von Mundtotmachen sprechen kann. Im Gegenteil: die Sache, ihr Name, das Buch sind nun in aller Munde, ebenso die ganze Angelegenheit, wie auch der Verlagsname. Über Twitter äußert sie sich hinreichend oft und sie kann auch real auf eine gehörige Anzahl an solidarischen Freunden und Kollegen zählen, sie hat mithin eine breite Öffentlichkeit. Ihre Sicht zur Buchmesse und zu Rechten ist Dauerthema des politischen Feuilleton und der Medien. Vom Beschneiden ihrer Meinungsfreiheit kann man insofern kaum sprechen. Zudem war sie selbst es, die sich dieser Möglichkeit begab, auf der Messe ihre Meinung zu sagen. Dies kann man kaum der anderen Seite vorhalten – selbst dann nicht, wenn es sich um einen rechtsextremen Verlag handelt. Instruktiv, klug, sachlich und abwägend in diesem Gespräch ist Per Leo. Er weist darin auch auf den Rechtsrahmen hin und daß in einer pluralen Gesellschaft die Meinungsfreiheit – auch von Ansichten, die wir für verwerflich halten – ein hohes Gut ist. Hörenswert dazu auch seine Ausführungen im Deutschlandfunk in der „Kultur heute“-Sendung vom 20.10.2021. Leo stellt darin unter anderem die Frage, was die Buchmesse konkret sei: ist sie ein Salon, die Diskussionsformum, wo man durchaus bestimmte Kriterien erheben kann, wer rein darf und wer nicht. Oder aber ist die Buchmesse eher ein Markt, eine Infrastruktur, auf dem unterschiedliche Menschen bzw. Verlage ihre Produkte auslegen und die keine andere Grenze kennt als die des Gesetzes? Leo plädiert – zu recht – für letzteres. Was von Gerichten nicht verboten ist, darf ausliegen und dieser Markt ist an das hohe Postulat der Meinungsfreiheit gebunden, so Leo. Einerseits also gibt es jene Meinungsfreiheit, andererseits die Frage nach den Grenzen des Sagbaren und dessen, was wir als Aussagen akzeptieren müssen – so z.B. jene Sichtweise des Ethnopluralismus, daß man nichts gegen Schwarze habe, nur daß diese eben nicht nach Deutschland gehörten, zumindest nicht in dieser Vielzahl. Eine Messe, aber auch Medien können ein Ort sein, um genau solche Fragen zu debattieren und mit Argumenten abzuwägen und zu prüfen. Was eben nicht bedeutet, daß alles gleichberechtigt gültig ist und nebeneinander stehen kann. „Behaupten“ ist nicht „gelten“. Und nur weil einer etwas sagt, ist es deshalb nicht schon richtig. Aber dennoch muß es die Möglichkeite geben, sich äußern zu dürfen. Hier eben finden wir eine der Grundfragen, wie auch die Autoren von „Mit Rechten reden“ es unter anderem thematisieren. Leo weiter:
„daß die Buchmesse […] ein Spiegel der Gesellschaft ist, also alles, was in unserer Gesellschaft das Wort ergreifen darf, was es also kurz gesagt nicht mit Gerichten zu tun hat, ist da und damit ist auch dem Rest der Gesellschaft, die Frage aufgegeben, wie gehen wir damit um. Das ist letztlich die gleiche Frage: wie gehen wir mit der AfD in den Parlamenten um, wie gehen Journalisten damit um, daß sie Politiker der extremen Rechten als Parlamentarier auch interviewen müssen. Das ist letztlich ein politischer und gesellschaftlicher Kampf […], aber die Buchmesse wäre genau der Ort dafür.“
Dies sind Ausführen, die einerseit es möglich machen, ein größtmögliches Maß an Meinungsfreiheit zuzulassen, gleichzeitig aber liegt in solcher Freiheit eben auch die Chance, sich kritisch mit solchen Positionen auseinanderzusetzen – wozu eben auch gehören kann, auf die Bedrohungen im öffentlichen Raum immer wieder hinzuweisen, denen bestimmte Menschen ausgesetzt sind.
Weniger luzide und klar dagegen Mirrianne Mahn. Diese Sätze von ihr im Blick auf rechte Verlage auf einer (öffentlichen) Buchmesse muß man sich allerdings und in der Tat auf der Zunge zergehen lassen: „Ich bin der Meinung man könnte sie irgendwo ganz dahinten in eine Halle stellen, ohne Licht und ohne andere Stände, mit einem Photo, das jeden photographiert, der da hinläuft.“ Eine erstaunliche Aussage in bezug auf Meinungsfreiheit und den Grad an Toleranz, den wir als liberale Gesellschaft aufbringen sollten. Besonders was die Videoüberwachung betrifft, bei der ansonsten grüne Politiker kritisch sich zeigen. Das Getöse und das Geschrei, das ein solcher Satz bei Teilen der Linken – zu recht! – ausgelöst hätte, wenn in einem Radiogespräch Friedrich Merz oder Roland Koch über Stände vom Unrast Verlag oder von „Neues Deutschland“ gesagt hätten, wäre groß. Auch hier wieder: doppelte Standards.
Ja. der Jungeuropa Verlag ist unappetitlich. Aber auch solches müssen wir aushalten können. Durch das Verbieten bestimmter Verlage auf einer Messe wird im Leben da draußen nicht eine Pöbelei und nicht eine Gewalttat und Bedrohung weniger geschehen. (Auch wenn dies nicht das zentrale Argument ist, dieses ist immer noch das Postulat der Meinungsfreiheit und daß über deren Grenzen im Bundestag beratene Gesetze und Gerichte entscheiden.) In solchen Fragen der politischen Gewalt wäre sehr viel wichtiger, daß der Staat solche Bedrohungen konsequent verfolgt und daß Gerichte diese Taten hart ahnden. Die volle Härte des Gesetzes, wie es so schön heißt, ist eine Sprache, die diese neue Rechte gut versteht.
Weiterhin: Gerde die Messe könnte durchaus ein Ort sein, genau solche Bedrohungen und die Problematik der neuen Rechten zum Thema zu machen, zumal wenn ein solcher Verlag in direkter Nähe ist. Dazu gehört, daß man in Debatten und Konfrontationen machmal auch unangenehme politische Haltungen aushalten muß. Leider geht es jener Twitter-Bubble und bei einer bestimmten identätspolitischen Linken nur allzu oft lediglich um die richtige Haltung. Aggressiv ist man verbal, teilt aus, pöbelt. Doch abends auf der Buchmesse beim Wein wiegen wir uns im Takt einer Rede von Carolin Emcke und lauschen andächtig dem Czollek-Max, wenn er dann von der Kanzel spricht „Oh, wie wohl ist mir am Ahaaabend, mir am Abend!“ Nein, das eben ist es nicht, was ich mir unter Diskurs und Debatte vorstelle.
Das ist das Problem einer Demokratie: Sie muß in gewissem Rahmen auch ihre Feinde dulden. Und da wir bisher keinen Goebbels haben und da die Situation alles andere als 1933 ist, können wir in Bezug auf solche Verlage relativ entspannt sein.
Nein, und nochmal nein: Ich möchte nicht, daß ich als Besucher einer Messe von Leuten vorgefiltert bekomme, was ich als Besucher sehen darf, was andere Besucher sehen dürfen und was nicht. Ich will an dem Stand der DKP-Zeitung „Unsere Zeit“ genauso vorbeigehen wie an einem Stand mit antiisraelischen oder islamistischen Büchern oder an einem Stand, der deutsches Volksgut oder das widerliche Compact-Magazin ausstellt. Es mag ein Vergleich der schiefen Ebene sein und unterschiedliche Dinge müssen unterschiedlich behandelt werden, aber dennoch: Als nächstes kommen dann solche Leute aus dem evangelikalen Lager, sei es der Bibelrechten oder der Identitätslinken, die sagen, Messestände mit Auslagen wie „Mein heimliches Auge“ und andere Stände, die erotische Bücher und Bilder ausstellen, dürften da nicht zu sehen sein, weil das die guten Sitten gefährde. Solange Verlage und Stände nicht gegen Gesetze verstoßen oder deren Bücher verboten sind, soll und muß auf einer Messe jeder ausstellen, wie er mag. Das ist eine diverse und vielältige Gesellschaft und wer will, kann sich damit auseinandersetzen und wer das nicht will, kann es ignorien.
Und was jenes Narrativ des „Mit Rechten reden“ angeht: Niemand muß mit Götz Kubitschek und Martin Lichtmesz reden, und schon gar nicht mit solchen wie Philip Stein. Doch wenn man die einmalige Chance hat, einen solchen Stand zum Thema zu machen, dann dürfte es doch wohl einer auch ansonsten auf einem hohen Polemik-Level performenden Kuhnke nicht allzu schwerfallen, ein paar Worte über diese neue Rechte zu verlieren. Und wenn man Furcht hat, allein zu sein, bringt man sich Freunde mit. Auch das geht. Nehmt sie auseinander, zerlegt sie, zeigt es ihnen! Mit Worten. Macht die anderen auf eure Lage aufmerksam. (Kleiner Tip noch: Wenn man andere für sich gewinnen will, ist es unklug, sie andauernd zu beschimpfen.) Zeigt, daß diese Rechten keine harmlosen Leuten sind und macht das mit Argumenten, indem ihr die Aussagen und Texte dieser Leute vorführt und zeigt, was daran nicht stimmt. Was nicht geht: aus privaten Befindlichkeiten, weil man bestimmte Verlage nicht mag, medienwirksam ein Buchmessenverbot abzuleiten. Davon abgesehen, daß dadurch jener Verlag nun erst recht in aller Munde ist. Eben der Effekt jener paradoxen Kommunikation. Und wenn man all das nicht will, rate ich immer noch zum besten Mittel: tief einatmen, tief ausatmen, tief einatmen, tief ausatmen und dann: Weitergehen, hier gibt es nichts zu sehen!
Mit Rechten reden, ist kein Imperativ, wie jenes Buch klar darlegte. Ansonsten gilt im Blick auf Debatten mit Rechten die alte Regel des Swingerclubs: Alles kann, nichts muß. Mit Worten eben. Und für alles andere ist der Rechsstaat zuständig und nicht ein Privatsubjekt, das meint, das Recht in die eigene Hand nehmen zu müssen.

Da haben wir ihn wieder, den Streisand-Effekt. So simpel die Falle, und sie tappen immer wieder hinein …
Diese Kultur heute Sendung hörte ich auf der Rückfahrt aus dem Klinikum, wo mir wieder einmal mein erfreulicher Genesungszustand bescheinigt wurde, und sie war mir voll und ganz aus dem Herzen gesprochen. Wobei diese Betroffenheitskonjunkturen auch recht manipulativ in Szene gesetzt werden – ich erinnere mich daran, dass eine POC-Aktivistin, die später einen der moralinsauersten Shitstorms überhaupt auslöste Jahre früher, als es diese zur Schau getragene Weinerlichkeit noch nicht gab, geäußert hatte, von Neonazis zusammengeschlagen zu werden sei eine zumutbare Härte, „zwei Wochen Krankenhaus, und alles ist wieder OK“, und behandelte das so als eine Art Initiationserfahrung für antirassistische und linke AktivistInnen, so wie früher ein politisches Strafverfahren als Nachweis der Streetcredibility zwingemd in den Lebenslauf gehörte.
Diese Vorher-Nachher-Effekte finde ich als jemand der dabeigewesen ist immer sehr aufhellend.
Das ist leider ein Problem und hier zeigt sich wieder einmal, daß „gut meinen“ und „gut machen“ zweierlei sind.
@Che: Die Genesung erfreut mich natürlich und das ist gut. Ansonsten: völlig d’accord. Es ist interessant, diese Dinge gerade auch vom Historischen und von der zeitlichen Entwicklung her zu sehen, zumal Du ja seit Jahrzehnten eben in solchen Szenen verkehrst und als Teilnehmer einige dazu beitragen kannst. Initiationserfahrung ist da in der Tat auch ein gutes Wort. Andererseits erlangt man eben auch nur dadurch Erfahrungen, indem man dabei war. Um so wichtiger, solche Erfahrungen klug zu nutzen und weise zu sein. Das eben war jene Aktivistin bei jenem Shitstorm nicht. Zumal es um Leute ging, die die eigenen Verbündeten waren.
Bei diesem neuen Erregungsmoment stört mich, wie mittlerweile meistens, dass eben so viele Menschen „mitmachen“, aus welchen Gründen auch immer und deswegen ja aus recht belanglosen Einzelmanövern diese Art von Imperativ-Aktivismus wird. Die Mitläufer sind für mich die Pest, mehr als ihre „Führer“ und Propheten.
@Astradyne: Ganz genau das ist es. Das eigentliche Thema, das man auf dieser Messe bestens hätte ansprechen können, etwa die Bedrohung von Bürgern und Politikern durch Rechtsextreme, sei es in Berlin oder auch auf dem Land, wenn sich Bürgermeister und Landräte für Dinge einsetzen, die den Rechten nicht gefallen. All das hätte Thema sein können.
[Sorry, da war noch was im Cache. – Hier, was eigentlich dastehen sollte und hoffentlich nun auch dasteht:]
Vorzüglich argumentiert. Danke. Und wo’s denn doch mal polemisch wird, ist auch dies alleine schon stilistisch gut. | (Bin etwas ausgelaugt von der tatsächlich enorm spannend gewesenen Messe, die, alleine von den Blicken, die sich schweifen ließen, in den ersten drei Tagen von gleichsam surrealer Anmut war, wenn über das riesige Forum, bzw. den Campus Vereinzelte wie Verirrte schritten.)
Vielen Dank (den Cache-Kommentar habe ich einfach gelöscht). Ich habe versucht Argumente zu finden, weshalb es nicht nur unklug ist, solche Verlage auszuschließen, sondern kontraproduktiv für die Sache. Leider kommt eben durch solche Debatten das eigentliche Thema, nämlich die Messe, aber auch die Fragen nach dem Rechtsextremismus unter die Räder.
An den Messen mag ich das Flanieren und Schauen – Leipzig ist mir aber aufgrund der schönen Hallenstruktur lieber, besonders dieses Atium. Ich hoffe, daß Ihr New-York-Roman bald erhältlich ist und daß alles gut geklappt hat.
Um mit dem Jungeuropa-Verlag mal die Kirche gänzlich im Dorf zu lassen: Ein Verlag, der Alain de Benoist und Armin Mohler im Sortiment führt ist noch etwas Anderes als einer, der zur Gewalt aufruft. Kuhnke hatte u.a. verlautbart, dass sie sich körperlich bedroht fühle, wenn dieser Verlag auf der Frankfurter Buchmesse ausstelle. Stiefelnazis sind es aber nicht, die den Stand dieses Verlags besuchen. Eher die Alten Herren von Verbindungen, u.U. auch Historiker und Politologen, die sich über die Neue Rechte informieren wollen.
So ist es – gerade Deine Beschreibung des Publikums an diesen Ständen trifft es. Und dazu kommen noch ein paar Identitäre. Und eben auch Leute wie Du und ich, die sich in der Tat über diese Leute informieren wollen. Und ich denke auch, daß die Buchmesse da ein relativ sicherer Ort ist. Zum Thema machen sollte man in der Tat eher, wenn Schwarze, Migranten, Dunkelhäutige sich in bestimmten Regionen nicht so einfach und frei bewegen können. Da sehe ich in der Tat Potential. Und diese Chance wurde leider, weil dieser Diskurs vollständig entgleist ist, verspielt und vertan.
Unvergesslich hingegen die Situation, als es tatsächlich um Leib und Leben ging, die Verteidigung eines Wohnheims, als unsereins schwarzvermummt aufzog und die BewohnerInnen meinten: „Wir brauchen uns nicht zu vermummen, wir sind schon schwarz!“
Solchen Humor eben schätze ich und liebe ihn. Sogar noch in einer solchen Situation. Und wenn die Polizei nicht imstande ist, diese Menschen zu schützen, so ist es sogar richtig, daß dann das Gewaltmonopol für einen Augenblick ausgesetzt werden muß. So wie auch in Rostock-Lichtenhagen, als da tagelang keine Polizei eintraf, und Autonome teils aushalfen, die dann wiederum von der Polizei kontrolliert wurden, statt daß man die Rechtsextremisten und die Zuschauer anginge. Drei Tage dauerte das schlimme Spektakel unter den Augen der Öffentlichkeit. Vom Grenzschutz Bad Bramstedt und Lüneburg wäre es mit den nötigen Transporthubschraubern eine halbe Stunde gewesen. Das hätte einen feinen Eindruck gemacht, wenn die mit ihren Maschinen auf der Wiese aufsetzen und vorher noch mit den Rotorblättern Wind gegen Nazis machten und wenn dann eine Einsatzhundertschaft schwer beknüppelter BGS herausstürmt. Erste Reihe Schildwall, zweite Reihe BFEs. Aber das eben war politisch nicht erwünscht, weil man ein neues Asylrecht durchdrücken wollte, statt ein sinnvolles Einwanderungsrecht zu schaffen, wie das viele Menschen schon damals forderten. Na ja, ist alles lange her, bald 30 Jahre und länger als von unserer Geburt gerechnet die Nazizeit zurückliegt.
Es hat sich seit jener Zeit in der deutschen Politik allerdings weit weniger verändert als in den 38 Jahren davor, und ganz besonders wenig in der Asyl- und Flüchtlingspolitik, und angesichts dessen erscheinen mir diese Ereignisse wie „eben erst“.
Na ja, die Zuwanderung hat erheblich zugenommen im Vergleich zu den 1990er Jahren. Und Merkels Grenzöffnung hätte es derart unter Kohl sicherlich nicht gegeben. Was sich leider nicht geändert hat, ist, daß wir ein brauchbares Einwanderungsrecht immer noch nicht haben, wie Kanada etwa. Was übrigens heißt: die meisten Wirtschaftsflüchtlinge werden wieder zurückgeschickt. Was sich geändert hat: die weltweiten Flüchtlingsströme durch Kriege und auch Armutsmigration haben erheblich zugenommen. Die Gesellschaft der 1990er Jahre war eine erheblich andere. Allein durch das Aufpeitschen von allem und jedem in den sozialen Medien hat die Debattenlage eine neue Qualität erreicht. Und da liegen zwischen den 1990er Jahren und heute Welten.
Die Zuwanderung war in den 80ern und frühen 90ern schon einmal sehr erheblich und ging dann zunächst rapide zurück, um im zweiten Jahrzehnt des 21.Jahrhunderts wieder emporzuschnellen. Interessante Statistik hierzu:
https://www.ssoar.info/ssoar/handle/document/17119
BTw das analoge Zeitalter war insgesamt anders als heute, dennoch würde ich sagen, dass die Gesellschaft der 90er Jahre unserer jetzigen erheblich stärker ähnelte als die der 90er der der 60er, das ist ja der zugrundezulegende Maßstab.
Ja, die Zuwanderung stieg in diesen Jahren durch den Libanonbürgerkrieg unter anderen und den Jugoslawienkrieg stark an, ging dann ab 1993 mittels eines hart verschärften Asylrechts erheblich zurück.
Ich meinte und schrieb auch nicht, daß die 90er den 60ern stärker ähneln, sondern ich zielte ab auf den Zeitunterschied, also die Zahl der Jahre. Von 1964 (also ungefähr unser Jahrgang) bis zum Dritten Reich: gerade mal 20 Jahre. Von 1991 bis heute 30 Jahre. Was die Liberalität und die Offenheit der Gesellschaft betrifft, sind wir sicherlich näher dran an den 1990ern als die 1990er an den 1960er Jahren. Und von diesen Errungenschaften hat sich ja vieles bis heute gerettet.
Was die Kommunikationsmöglichkeiten und vor allem den Umgang miteinander betrifft, so haben die 1990er einen völlig anderen Horizont. Zum Biertrinken rief man sich an oder verabredete sich bereits beim letzten Treffen: Nächste Woche wieder um 20 Uhr? Und auch das Daten, wie man heute neudeutschenglisch sagt, von Frauen war anders. Wer heute nicht nach draußen will und auf Partys, der tindert oder parshipt. Solche Wandel in der Kommunikation hat unser gesammtes Verhalten geprägt und da sehe ich einen erheblichen Sprung, der von der Quantität her eine neue Qualität gebiert.
Die Zeitenwende und einen zentralen Einschnitt (und damit das Ende des 20. Jahrhunderts und den Eintritt ins 21.) sehe ich allerdings bei 9/11. Auswirkungen sicherlich der Zeitenwende von 1989 und jener Neuordnung der Welt mittels US-Außenpolitik.
Zeitgefühl beruht sicherlich in vielem auch auf subjektiven Empfindungen. Und Zeitsprünge und Wandel läßt sich vielfach festmachen, selbst von den 1970ern hin zu den 1980er Jahren, als die geburtenstarken Jahrgänge ins Popmusikalter kamen. Insofern finde ich das Schreiben von Zeitgeschichte nach Jahren spannend – etwa Philipp Sarasin: „1977. Eine kurze Geschichte der Gegenwart“ oder Frank Bösch: „Zeitenwende 1979: Als die Welt von heute begann“.
Kurzer Splitter, später mehr: Beim Parshipen machte ich die Erfahrung, dass mein mich nach dem dritten Mailkontakt treffen wollen meist völlig seltsam ankam. Das war an den Stadtmagazin-Kontaktanzeigen der 90er orientiert, in deren soziokultureller Welt ich im Grunde immer noch lebe.
Und im Kontrast dazu erlebte ich es, dass mich im Bergurlaub eine schwedische Klettermaid anbaggerte mit den Worten: „I need a lover.“
Aber das ist dann wahrscheinlich sehr schwedinnenspezifisch.
Ich denke ja eh, daß in live und im „echten“ Leben vieles deutlich anders ist als bei der Woko Haram und all der evangelikalen Linken, die andauernd, wie Fräulein Rottenmeier bei Heidi, Benimmregeln festlegt: von Mohrenlampe bis Murmeltier. Es ist eine Minderheit, die nur eben durch Verbreitung, auch durch bestimmte Journalisten und Sendungen wie Deutschlandfunk Kultur und Kulturzeit, derart laut ist, so daß alle denken, dies sei die Stimme der Gesellschaft. Begibt man sich aber in die Gesellschaft klingen dort zum Glück andere Stimmen und teils kennt man Akteure wie Hengameh Yaghoobifarah, Stokowski oder das Erdogan Fangirl Kübra Gümüsay nicht einmal, weil diese ganzen Sabbeldiskurse lediglich in einem bestimmten Milieu stattfinden.
Die Art des „Datens“ und die Unterschiede: das wäre nochmal eine eigene Untersuchung wert.
Als ich diese Minderheit erstmals wahrnahm war dies auf den Binnenhorizont der linksradikalen Szene bezogen, wo die einmal sehr sehr laut waren, das war aber schon in den späten Achtzigern und frühen Neunzigern. Ich dachte damals, das wären Post-Adoleszenz-Probleme, das wüchse sich raus. Dies allerdings erwies sich als Irrtum, sie nahmen es ins Erwachsenenalter mit und verbreiteten es weiterhin. Dennoch halte ich daran fest, dass es sich um Kompensationsverhalten für schwache Ichstrukturen handelt.
Leider wächst sich das nicht raus. Allerdings gab es das schon seit langem, von den K-Gruppen, über die Moralin- und Erpressungsdiskurse der 1980er und 1990er Jahre mit ihrer kritischen Rassentheorie. Nur eben hat dann später auch hier das Internet zur Verstärung beigetragen. Na ja, alte Geschichte.
Der Lauterbach-Speichert-Film „Der Campus“ illustriert das überzeugend.
Stimmt!
Wobei zumindest die Sexismus- und Antisemitismus-Tribunale der linksradikalen Szene, so fragwürdig-moralinsauer sie daherkamen, einen grundsätzlich anderen Charakter hatten als die ubiquitäre Verbreitung von Moralspackentum im Internet: Sie fanden in geschlossener Gesellschaft statt, die Szene-Öffentlichkeit war eine szeneinterne Öffentlichkeit, Agora und Hortus Conclusus zugleich. Moralische Scherbengerichte gegen Frauenbelästiger bis hin zu Vergewaltigern sind vor dem Hintergrund zu sehen, dass Strafanzeigen nicht erfolgten. Die Szene mied die Justiz und wollte Verfehlungen selber, intern regeln. Das bekam dann jedeR mit, die/der zur linken Szene einer bestimmten Stadt gehörte, die Presse aber schon mal nicht, auch keine Eltern, Arbeitgeber, ProfessorInnen usw. der Betroffenen.
Plena, bei deren Eröffnung gesagt wurde: „Wir bitten die Damen und Herren von Polizei und Verfassungsschutz, de Raum zu verlassen.“ waren ein Spezifikum dieser „Öffentlichkeit“.
Das war etwas fundamental anderes als das Gerüchte- und Inforumgezwitscher heute.
Wobei ich einerseits solche Selbstjustiz problematisch finde, andererseits aber das Anzeigen von Typen, die Frauen schlugen oder vergewaltigten, oft wenn nicht meist ins Leere lief. Und da gibt es dann eben Fälle, wo ich ein gewisses Verständnis für Selbsthilfe habe, wenn der Rechtsstaat seine Augen verschließt – zumal dort, wo es eigentlich nachweisbar ist. Aber leider können aus solchen selbsternannten Richtern, Anklägern und zugleich noch Vollstreckungsorganen (und das alles in einer Hand) genauso Feme-Gerichte erwachsen, die dann bei Leuten aufschlagen, die gar nichts gemacht haben. Und wenn für die Richter-Staatsanwalt-Polizei-alles-in-eins-Gruppe die Doktrin lautet: „Das Opfer hat immer recht!“, dann zieht das leider oft erhebliche Probleme nach sich. Richtig ist aber, daß solche Szenarien meist intern blieben. Was es freilich nicht unbedingt besser macht. Der Verlust des Gewaltmonopols durch den Staat zieht im Extremfall ein „Alle-gegen-alle“ (so wie auch ein Slime-LP hieß) nach sich.
Das mag aus heutiger Sicht absurd erscheinen, aber bis in die Neunziger Jahre hinein verstand sich die autonome Linke als revolutionär. Und das hieß, die eigene Subkultur wurde als Gegenkultur zur bürgerlichen Gesellschaft angesehen (ich sage bewusst Gegenkultur und nicht Gegengesellschaft, denn niemand steht außerhalb der Gesellschaft) mit sehr partiell auch so etwas wie einer eigenen Justiz. „Das Opfer hat immer recht!“ war da nicht die Regel, es wurde nur manchmal so gehandhabt. Es gab fürchterliche Empörungsrituale, in der mobmäßig mit Stimmungen Politik gemacht wurde, und es gab sehr verantwortungsvolle Umgangsweisen. Letztere waren womöglich verbreiteter als erstere, zum Thema sexuelle Belästiger kenne ich etliche Fälle, wo den betreffenden Tüpen gesagt wurde, sie sollten sich besser von bestimmten Örtlichkeiten oder bestimmten Frauen fern halten, und es gab gar kein szeneöffentliches Outing. Aber Diskretion hat nun mal die Eigenschaft, dass sie nicht auffällt. Ich wehre mich nur dagegen, die Handlungsweisen der linksinternen Selbstverwaltung aus den 1980ern und 90ern mit ihren Stärken und Schwächen mit den krakeelenden Moralexzessen von meetoo bis Gomringer gleichzusetzen. Die haben da ihre Wurzel, sind aber strukturell was ganz Anderes.
Nein, gleichsetzen kann man es nicht und die strukturellen Unterschiede dieser Linken sehe ich auch – zumal vor allem die Gesellschaft und die Situation eine doch andere war. Ein Teil dieser Dinge geht daraus aber leider hervor. Bei allem Unterschied. Insbesondere im Uni-Milieu hat es immer auch dieses Moralinsaure und eine Empörungsrhetorik gegeben. Allerdings gab es eben auch vernünftige Menschen, die das auslachten. Aber mittels moralischer Erpressungen und eines instrumentell eingesetzten Solidaritätsbegriffes geriet das leider oft so, daß diese vernünftigen Leute irgendwann schwiegen oder wegblieben. Nach jedem Studentenstreik war das so: Am Ende saßen da in einem riesigen Hörsaal eine kleine Bande von Selbstgerechten, die sich wunderten, warum ob ihres Gewäschs und ihrer Art des Redens wohl die Leute wegblieben. Aber auch Uni-Milieu ist nochmal ein anderes als linksinterne Szenezusammenhänge. Hafenstraße und Rote Flora habe ich in Hamburg nur am Rande mitbekommen und mir war es dort, ehrlich gesagt, zu dreckig. Wegen einer hübschen Aktivistenfrau war ich da mal mit. Das wars dann aber auch.
Ich gehörte ja zu Denjenigen, die das Uni-linke Milieu genau wegen dieses Moralinkollers verließen und sich den harten autonomen Kreisen anschlossen, und in meinem Fall (ich kann auch unserem sagen, denn Netbitch, Workingclasshero und Are gehörten dazu) war die persönliche Erfahrung die, dass diese Spackenmoral zwar nicht nicht vorhanden, aber doch tendenziell einflusslos war. Zumindest damals war diese Szene noch stark beeinflusst von Leuten, die ihre politischen Wurzeln in der Häuserkampfszene der frühen Achtziger hatten, und die waren ganz anders drauf, sicherlich nicht moralinsauer. Aggressives Ausgrenzungsverhalten richtete sich auschließlich gegen Spitzel der Dienste.
Ich habe dieses ganze Moralspackentum als ein Spezifikum der Unilinken, nicht der außeruniversitären Autonomenszene erlebt, und dort auch gebunden an Sprößlinge bestimmter sozialer Schichten. Ich würde sogar sagen, sobald Bafög-Deform-bedingt die Kinder von Arbeiter- und sozial schwachen Familien unter den Studierenden wegblieben und das Studium wieder mehr und mehr zum Privileg der Mittelschichten wurde setzte sich der Moralismus durch. Dieser wiederum wurde getragen von den Angehörigen moralproduzierender Haushalte: Lehrer- Professoren- Erzieherinnen- Pastorenkinder.
Daß diese Leute an den Unis eher aus der Mittelschicht kommen, ist auch meine Beobachtung. Das ist teils bis heute noch so – und auch eher an den großen Unis. In kleineren ist da ein ganz gutes Auskommen selbst zwischen linken und eher konservativen Studenten. Aber für diese Dinge müßte man sich sicherlich die genauen Zahlen anschauen.
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spannend, Danke für Eure Schilderungen. Mir geht es ähnlich wie Lars. Spätestens so mit 17 „links“, was immer das im Einzelnen heißen mag, war ich doch a) Mittelschicht, b) war mir das Thomas-Mann/Gottfried-Benn-Hemd denn doch immer näher als die Marx/Engels/Luxemburg-Hose. Pro links, das war bei mir auch eine ästhetische Entscheidung: Die waren damals sozusagen einfach cooler als die Karrierespießer, die in den 80ern als Yupies aufkamen. Als wichtig erwies sich dabei der Band „Cheschahshit – die 60er Jahre“. Zugleich aber spielten meine Instinkte früh gegen übergriffiges, vereinnahmendes Denken. Und früh geriet ich auch an Kunzes wunderbare Jahre, an den Archipel GuLaG. Innerlinke Kritik war allerdings auch vor 89 nicht erwünscht. Ich sehe – mein Erleben – keine so großen Unterschiede zwischen damals und heute. Teile der Linken waren damals („Wer Faschist ist, bestimme ich“) genauso übergriffig und anmassend wie heute die Woken; die Inhalte waren halt andere (wobei der Wokismus sich auch bereits in den End80ern formierte…ihr jungen Woken wisst ja gar nicht, wie alt ihr seid!) Und schon damals, um mich zu wiederholen: Kein Anreden mehr. Aggressive Antworten, wenn man frug, ob es so klug sei, die zu beschimpfen, die man doch „befreien“ wolle etcetc.
Damals hingen in jeder besseren „angelinksten“ Hamburger Studie-WG die „Hafen bleibt“-Plakate (mit Pipi Rollgardina Efraimstocher Langstrumpf!) – aber echten Kontakt hatte ich nur punktuell. Eine Geschichte muss ich zum besten geben, weil selbst Lars sie noch nicht kennt. Im Sommer 87 liefen viele Atomtransporte über den Lübecker Hafen. Demos waren also angesagt. Im Herbst fuhr ich aus dem ersten Semester zurück nach Lübeck; eine weitere Demo erforderte jeden Mann und jede Frau. Ich also direkt auf die Wallhalbinsel, zur „Alternative“, damaliger Treff der Lübecker Linken. Die Tür öffnete sich. Ob man mir sagen könne, wo denn nun der Treffpunkt wg Demo sei… Gegenfrage im unverkennbaren Kontrollton (ich könnte ja vom VS kommen, nicht wahr?): „Wer hat Dich delegiert?“ Und zack, war ich wieder auf dem Lübecker Bahnhof, gönnte mir eine feine Mahlzeit im Bahnhofsrestaurant und hatte 50.- DM verbraten („und das war damals ein Geld, wenn mans denkt!“)
Diese wer-hat-Dich-delegiert-Dummheit, die sich einfach nicht vorstellen konnte, dass da jemand auf eigene Rechnung, individuell, mitmachen möchte, hatte ich in der Folge noch so manches Mal.
Vor allem waren Teile dieser damaligen Linken intellektuell noch auf der Höhe ihrer Zeit. Das ist heute leider nur noch bedingt der Fall. Mit jenen von Dir beschriebenen Auwüchsen machte auch ich Bekanntschaft und da konnten wir dann sehen, daß der idealische und der emipirische Charakter zweierlei sind und daß vorm repressiven, autoritären Charakter leider niemand gefeit ist. Hinzu kommt: die Zeiten und Kämpfe damals waren andere als die heute. Die CDU der Gegenwart ist eine hart wirtschaftsliberale SPD, die damalige CDU/CSU unter Kohl und Strauß war hochkonservativ – wobei ja, Witz der Geschichte, Kohl noch zu den eher Progressiven und den Erneuerern der CDU gehörte.
super spannend, danke. Meine Erinnerung: Ja/jein. Die Union kündigte 82/83 bekanntlich eine „geistig-moralische Wende“ an, gegen die linken Bösibösis, pro gutem Konservativismus. De facto waren die 80er in der Tat aber noch liberaler als die 70er, was Kohl ebenfalls de facto auch so hat durchrauschen lassen. Zugleich gab es damals aber auch schon die kulturellen Zankinhalte, die es bis heute gibt. Gut, es ging damals noch nicht ums Gendern (obwohl selbst das nicht ganz stimmt; StudentIn war damals schon auf der Agenda! Prof in den End-80ern: er schreibe nicht „StudentIn“, er habe es nicht nötig, eine selbstverständliche Haltung zur Gleichberechtigung per Grammatik-Verhunzung dar zu tun…). Aber es ging wirklich im Wesentlichen um dieselben Inhalte wie heute.
fun fact: In Laschets Buch, welches angeblich, so die pro-grünen „Fakten-checker“ (haha) genauso schlimm plagiiert gewesen sein soll wie Baerbocks (Beweis fehlt bis heute!), vertrat Laschet eine aus CDU-Sicht extrem liberale Einwandererpolitik. Laschet war ja 2015 auch eine der vehementesten pro-Merkel CDUler. ja, Baerbock wurde gemobbt, zT auch schlimm. Laschet – den ich nicht gewählt habe, nie wählen würde – wurde aber noch viel schlimmer gemobbt. Ich werds nie vergessen: beinahe hätte ich aus purer Wut über diese erbärmlichen Doppelstandards beim Mobbing-Vorwurf bei der letzten BTW doch zum ersten Mal Union gewählt. Okay, hab ich natürlich nicht… Aber das Anti-Laschet-Mobbing war wirklich übel.
Welche damaligen Linken waren „auf der Höhe der Zeit“? Die in Lübeck in „Buch & Caphe“, die den Twen(Twin!)Schülern Finkeldey erklärten, die Frage nach dem Gulag sei funktional faschistoid, weil an abstrakt-kleinbürgerlicher Moral orientiert?
„Intellektuell auf der Höhe der Zeit“ meint: sie lasen und verstanden die Texte von Hegel und Marx bis hin zu Adorno, Marcuse, bis hin zu Lyotard und Baudrillard (den vom „Symbolischen Tausch und der Tod“) Die Dummlinke gab es freilich schon immer. Aber dieses Phänomen läßt sich auf allen Seiten beobachten.
Daß die CDU damals hoch hochkonservativ war: ohne Frage, aber Kohls geistig-moralische Wende war auch mehr ein Slogan und viel Gerede. In Wahrheit leitete Kohl eben auch die Wende der Republik zum Gleichgültigkeitsindivualismus ein: ich konsumiere, also bin ich. Und zugleich: jedem soll es irgendwie gut gehen. Die 1980er Jahre scheinen mir, so ins Grobe mal überlegt, als eine Art Dreh- und Wendepunkt. Den Kahlschlag dann von Hartz IV und dem sozialen Umbau des Landes hätte ein Kohl nie gewagt – so wie das dann Rotgrün unter Schröder/Fischer/Clement tat.
Der Umgang mit Laschet war in der Tat teils ekelhaft und unwürdig. Wäre Laschet eine Frau, hätte das knallharten Gegenwind an den Methoden und der Art der Kritik gegeben. („So geht man nur mit Frauen um, bei Männern würde das keiner wagen!“ – so zumindest meine Spekulation.) An Laschet gibt es viel zu kritisieren, aber eben nicht in dieser Art. Liegt aber auch daran, daß Laschet eben doch eine gewisse Weichheit zu eigen war, die man sich vielleicht noch als Landesvater eines Bundeslandes, aber nicht als Staatschef sich darf leisten können. (Stichwort hier auch Matthias Platzeck). Ex negativo bewies Laschet, daß man mit Schröders „Basta-klare-Kante“ besser durchkommt. Laschet war zu freundlich. Den Bösen nehmen ihm viele nicht ab. Und ebensowenig den Undurchsichtigen und Ruhigen – eben der Scholz-Part.
„Der Umgang mit Laschet war in der Tat teils ekelhaft und unwürdig. Wäre Laschet eine Frau, hätte das knallharten Gegenwind an den Methoden und der Art der Kritik gegeben. („So geht man nur mit Frauen um, bei Männern würde das keiner wagen!“ – so zumindest meine Spekulation.)“
Streich die Spekulation. Genau so war es doch. „Nur weil Baerbock eine Frau ist“ rülpste es aus dem Besserbürgerinininininnenbewusstsein…
Die Linken Ende der Achtziger (in meinem Erleben Datum des Umkippens von libertär-subversiv zu autoritär-moralisch: 1987) waren schon genauso woke und moralspackenhaft wie heute, nur spielte sich das in einer geschlossenen, rigoros gegen Spitzel sich abschottenden Szene ab, so dass die Außenwelt es nicht mitbekam. Der Umgang mit „Sexismus“ hatte wahrhaft bizarre Seiten. Bei einer nächtlich-militanten Aktion verfolgten uns die Bullen, und eine Genossin blieb zurück, weil sie nicht so schnell laufen konnte wie wir. Da drückte sie, als die Bullen sie einholten, auf die Tränendrüse, erzählte etwas von bösen Chaoten, die sie total erschreckt hätten und ließ auch ihre reichlich vorhandenen weiblichen Reize spielen, mit dem Resultat, dass sie nicht nur nicht festgenommen wurde, sondern ohne Personenkontrolle davonkam. Dazu wurde dann hinterher Kritik geäußert dergestalt, dass sie ihre „proletarische Solidarität“ gegenüber anderen Frauen verraten habe, weil die nicht alle so sexy und schauspielerisch so begabt seien wie sie.
1992 besuchten wir ein Flüchtlingswohnheim, und eine Genossin dokumentierte mit der Spiegelreflex auf Stativ die Missstände dort. Ein Wachmann griff sie mit dem Knüppel an und ich fiel ihm in den Arm und entwaffnete ihn. Dafür musste ich mir dann eine Kritik wegen „machohaftem Beschützerverhalten“ anhören.
Geistig-moralische Wende: Die beinhaltete auch das Hofieren der im Geiste Alain de Benoists publizierenden Zeitschrift „Mut“ durch Helmut Kohl und Auftritte wie am Soldatenfriedhof von Bitburg mit der Ehrung von SS- und Wehrmachtsgefallenen. Aufgedeckt wurde das ausgerechnet von einem Dozenten der Hochschule der Bundeswehr, Wolfgang Gessenharter. Es waren Leute wie er, wie Habermas und Weizsäcker und sehr stark auch der DGB mit seiner 35-Stunden-Woche-Kampagne die dafür sorgten, dass aus der geistig-moralischen Wende nichts wurde. Geplant war die als wirtschaftsliberaler Umbruch im Tchatcher-Stil (Schwarz-Schilling als sich persönlich bereichernder Postminister) plus geistigem Rückmarsch in die Adenauer-Ära, was daran scheiterte, dass die deutsche Zivilgesellschaft sich immer noch strukturell nach links entwickelte und es Arbeiterwiderstand gegen den Neoliberalismus gab (Krupp-Arbeiter in Essen: „Wenn ´wir richtig loslegen sind die Autonomen in der Hafenstraße arme Waisenkinder gegen uns“, zeitgleich Streiks in Longwy (Lothringen), wo Wasserwerfer mit dem Bulldozer umgestoßen und Eisenbahngleise durchgeflext wurden.
Solche Sachen müssen aufgeschrieben weden und das gehört eben auch in die Geschichtsarchive. Was das Moraline betrifft, sehe ich es ähnlich und das sind teils auch meine Beobachtungen. Das Internet und damit soziale Medien haben diese Dinge dann erheblich ausgeweitet.
Richtig ist, daß da in den 1980er Jahren die ersten Auswüchse dieser neoliberalen Wende sichbar wurden. Privatisierungen etwa von Telefon und Post dann später. Wobei eben die Staatsbetriebe auch lahme Nummern waren. Kohl halte ich in vielen Dingen für einen Pragmatiker. Das war nicht das Kaliber von Dregger. (Hierzu auch das Buch von Frank Bösch „Zeitenwende 1979: Als die Welt von heute begann“.)
Den Kohl der Achtziger würde ich als neurechten Ideologen im Sinne Armin Mohlers bezeichnen, die geistig-moralische Wende war ein neurechtes, kein neoliberales Projekt. Er war nur viel zu weich, um durchzusetzen, was er eigentlich wollte. Die Rollenverteilung in der Unionsführung mit Kohl an der Spitze, Strauß als grantelndem Frondeur in München, Biedenkopf als Chöngeicht und Dregger als Rechtsaußen war ein Humtata just for the gallery, um innerparteiliche Diskussionen gar nicht erst auf- und innerparteiliche Konkurrenten wie Geißler, Süßmuth, Späth nicht hochkommen zu lassen.
Nein: Kohl ist die Fortsetzung von Schmidt. Die geistig-moralische Wende war eine Nullnummer und eine Phrase, die auf der kultur- und politikkonservativen Seite niemals eingelöst wurde – allein deshalb war sie nicht möglich, weil die Gesellschaft lange schon weiter als die 1950er Jahre war: Stichwort soziale Bewegungen, die kulturelle Hegemonie der Intellektuellen: Stichwort Habermas, Böll, Grass, Enzensberger, Zadek und überhaupt die Theater- und Kunstlandschaft. Hinzu kam, trotz oder vielleicht gerade wegen Aids ein Bewußtsein für andere sexuelle Orientierungen, auch über Pop-Musik, man denke nur an „Frankie goes to Hollywood“. Die geistig-moralische Wende war ein Schlagwort, um die eigenen Konservativen zu beruhigen und einen Wandel einzuleiten: sicherlich hin zu mehr Privatwirtschaft und auch dem Strukturwandel begegnend, nämlich Weg von der Kohle- und Montanindustrie, Auslagerung der Stahlproduktion in Länder, die billiger (sprich mit niedrigeren Löhnen) produzierrten. Die große Transformation, wie sie GB (Stichwort Thatcher, Bergarbeiter und Gewerkschaften) und die USA erlebten, blieb in der BRD aus. Es gab zwar im Pott erheblichen Protest der Kohle- und Stahlarbeiter: die Besetzung der Rheinbrücken, und das reichte sogar bis in einen der Schimanski-Krimis aus Duisburg. Kulturell wie auch politisch sind die 1980er eine Zeit der Öffnung gewesen. Kohl war chamäleonhaft genug, das zu begreifen. Natürlich war er kein linker Sozialdemokrat, aber er war eben auch nicht Armin Mohler oder Alfred Dregger. Als Schwach würde ich ihn keineswegs bezeichnen. Er war Taktiker und Stratege und er wußte, wie man Dinge abwartet; er konnte Probleme aussitzen und abwarten. Chamäleon eben, das lange auf einem Baum lauert. Wäre Kohl zu weich, hätte er es nicht vermocht, all seine Gegner wegzubeißen und ins politische Abseits zu bringen.
Insgesamt würde ich die 1980er und 1990er Jahre als eine der entspanntesten Zeiten der BRD sehen (obgleich die großen Krisen bereits im Anmarsch waren und Probleme sichtbar: eben mit 1989 nicht das Ende der Geschichte.) Vor allem aber gab es auch auf der Seite der Linken neue Einflüsse: von der Neuen Frankfurter Schule bis hin zu den Texten vonm Foucault und Derrida, wo leider bei den in den 1980er Geborenen, die dann in den 00er Jahren studierten, die entsetzlichsten Jünger wurden, die jenes rigide Regime der Identitätspolitik installierten. Für die linke Theorie jedoch und auch für die Erweiterung der Kritischen Theorie, ohne nun gerade ins Fahrwasser von Habermas‘ nun ganz und gar nicht mehr kritischer Theorie zu geraten, waren Derrida, Lyotard und Foucault (der zu Marx bzw. zum Marxismus ein sehr gespaltenes Verhältnis hatte) eine gute Anreicherung. Zumal nun den letzten Klassenkämpfern klar wurde, daß es im Westen keine einheitliche Arbeiterklasse mehr gab und daß diese nicht mehr von den Ketten ihrers Ford-Granada, ihrer BMWS und Opels befreit werden wollten. Das taten dann die 1990er Jahre mit Wirtschaftskrise und neoliberaler Freisetzung von Arbeit, so daß wenigsten die, die Deutschland einmal aufgebaut hatten und nun in Rente gingen, es wenigstens hinter sich gebracht hatten.
PS: Man könnte noch ergänzen, daß CDU und CSU diese rechtskonservativen Netzwerke (teils hinreichend bis zu dem jungen frischen Alain de Benoist mit Hang zum Rechtsextremismus) auf ihre Weise doch noch ins demokratische Spektrum eingebunden hat. Die Rede von FJS dürfte noch in Erinnerung sein, daß es rechts von der CSU keine Partei geben dürfe – nett mehrdeutig, dieser Satz. (Sicherlich barg dieses Einbinden des Rechtsextremen viele Problemen und mit Blindheit mit Blick auf den Rechtsextremismus war zu rechnen, Stichwort Münchener Oktoberfest). Aber diesen Rechtsstaat schlugen diese Leute eben nicht auseinander.
Ein großartiges Buch im übrigen, von einem linken Soziologen, nämlich von Thomas Wagner: „Die Angstmacher“. Darin wird aufgezeigt, wie sich die neuen Rechten um den frischen Alain de Benoist sich teils jene Strategien der Linken (Stichwort kulturelle Hegemonie) zu eigen zu machen versuchten. Wagner hat das auch das Buch herausgegeben, das den Briefwechsel von Michael Kühnen und Erich Fried aus den 1980er Jahren und zugänglich macht. Seltsam-befremdlich und zugleich interessant, wie da zwei politisch derart Unterschiedliche miteinander umgingen, sogar respektvoll. Auch eines dieser 1980er Phänomene.
Das ist kein Widerspruch, sondern eher eine andere Facette. In seinem Denken und seinen Vorstellungen war Kohl stramm rechts, in seiner Praxis nicht.Vielleicht ist „weich“ die falsche Vokabel, „realistisch, kompromissbereit und opportunistisch“ trifft es vielleicht besser. Opoortunistisch nicht im negativen Sinne dieses Begriffs, sondern als „von Opportunitäten ausgehend“.
Richtig, dies ist kein Widerspruch. Kohl war ganz gewiß kein Sozialdemokrat, stramm rechts denke ich aber nicht, das waren Leute wie Dregger und Teile der Entourage im Strauß-Umfeld, Kohl war stramm konservativ bzw. die Leerform(el) dieses Begriffs, sofern man diesen Begriff mit Emphase denkt und nicht nur pejorativ. (Sowieso wäre eine Bestimmung des Konservatismus an der Zeit, da denke ich an das leider vergriffene Buch von Panajotis Kondylis: „Konservativismus. Geschichtlicher Gehalt und Untergang“.) Innerhalb der CDU Rheinland-Pfalz brachte Kohl zugleich modernen Wandel und schuf eine konservative, auf die Erfordernisse seiner Zeit eingestellte CDU. In diesem Sinne wiederum war Kohl ein moderner Konservativer. Und er hat den Sozialstaat niemals derart angegangen wie das Thatcher tat. Wobei ich nun auch kein Loblied auf Kohl singen will, ganz im Gegenteil. „Von Opportunitäten ausgehend“ trifft es wohl ganz gut.
Was die Gesinnung angeht: Seine Tageslektüre waren Zeitschriften wie „Mut, „Critikon“, „Nation und Europa“ und „Deutschlandmagazin“, Gessenharter hatte das seinerzeit herausgearbeitet. Andererseits war die CDU notwendig, um die Wende durchzuführen, wie späterhin Rotgrün für die Hartz-Gesetze. Angesichts der damaligen Situation mit Friedens- Anti-AKW-Bewegung und Neuen Sozialen Bewegungen musste die SPD um der Legitimität des Staates insgesamt zurücktreten und das schmutzige Geschäft anderen überlassen. Schmidt hatte mit NATO-Doppelbeschluss und Rotstiftpolitik die Kohlsche Politik bereits eingeleitet und sich von“Mehr Demokratie wagen“ weit abgewandt, weswegen Teile der SPD-Basis bereits meuterten. In der Opposition ließ sich kräftig dagegen steuern dass Kohl es nicht zu weit trieb.
„Andererseits war die CDU notwendig, um die Wende durchzuführen, wie späterhin Rotgrün für die Hartz-Gesetze.“ Na ja, das war aber nun eine Wende, die in ein deutlich offeneres Deutschland steuerte: mit der Pop- und auch Protestjugend war ein Deutschland wie 1950 niciht mehr zu machen. Insofern war Kohl dann eine Hegelsche List der Vernunft, der die Erstarrungen löste und zugleich die Fronten wieder ein wenig klarer machte: es war leicht und es war am Ende auch bequem, über Kohl zu spotten, so wie wir alles dies damals taten. Im übrigen setzte er brav die Außenpolitik von Schmidts SPD fort, was bis zum Empfang von Honecker reichte.
Kohls Tageslektüre sagt nun aber nichts aus über dessen Gesinung. Wer die Junge Freiheit liest, ist aufgrund dieser Lektüre zunächst mal weder rechts noch links, sondern dieser Umstand sagt zunächst nur aus, daß jemand die Junge Freiheit liest. Kohl ist immer ein Pragmatiker gewesen. Er hat rechte Kräfte eingebunden, indem er sich eben auch mit den Vertriebenenverbänden abgab. Seine Linie war eine liberal-konservative, und in diesem Sinne würde ich Kohl eher als einen Patrioten bezeichnen. Davon abgesehen, daß jegliche Politik immer auch eingehegt durch die Einbindung ins Westbündnis war
Schmidts hartes Durchbringen des Nato-Doppelbeschlusses erwies sich rückwirkend im übrigen als Glücksfall und als ganz und gar richtig. Was ich damals scharf kritisierte, sehe ich heute ein wenig anders. Pragmatisch und in politisch-strategischen Dimensionen war das Totrüsten einer der Sargnägel für die Ostregime.
Mein Verhältnis zu den Ostregimen und der westlichen Demokratie war damals und ist bis heute eines der Äqkuidistanz.
Für mich waren auch diese Leute Gegner, und vor allem auf den Demos die SDAJ und die DKP. Ich hatte mit vierzehn bereits zu viel Biermann gehört und mich mit dem beschäftigt, was da in der DDR war, als daß ich es irgendwie goutieren konnte. Was nicht heißt, daß ich das Leben der Menschen dort und deren Solidarität miteinander ablehnte.
Allerdings muß man zu dieser Zeit und den politischen Protesten, von Wackersdorf, Gorleben, Brockdorf, Startbahn West, der Hamburger Kessel, Hausbesetzer-Szene, Hafenstraße etc. sagen, daß die Zeiten eben auch andere waren. Die Fronten wären härter. Der politische Ton im Lande deutlich konservativer, wenngleich der kulturelle Zeitgeist klar links war und man in diesem Sinne das letzte Gefecht der CDU auch bemerkte. Eine Kanzlerin Merkel und überhaupt politisch eine Frau wie Merkel wäre damals undenkbar. Kohl und Konsorten waren in diesem Sinne harte Konservative. Was Merkel von Kohl wohl eint: bei Prinzipien sind beide pragmatisch.