„Wir müssen die Zukunft neu erfinden und
die Gegenwart schöpferischer gestalten. Lassen wir Disneyland und denken wir an Marcuse.“
(Michel Foucault)
Das ist im Titel dieser kleinen Würdigung allerdings ein schönes Bob-Dylan-Zitat, auch im Blick auf Foucaults Sexpraktiken, als er Anfang der 80er Jahre in Kalifornien lebte. Nachdem er sich 1978 in Japan aufhielt und sich mit Zen-Meditation beschäftigte, um Körper wie Geist zu entgrenzen, reiste er Anfang der 80er Jahre in die USA, durchstreifte die Darkrooms – sozusagen das erweiterte Pendant zum Zen, nur diesmal im aktiven Lustmodus und mit anderen männlichen Körpern vereinigt. Philosophie und Lebenskunst, eine Ästhetik der Existenz, wie er es für seine späte Philosophie im Rückgriff auf die Antike formulierte. Eine Ästhetik als ethische Selbstpraktik, die in der Rezeption leider manches Mißverständnis auslöste, bis hin zu den neoliberalen Eskapaden des Sich-neu-erfindens. Deckname Kreativität. Dennoch wollte Foucault diese Ästhetik als Philosoph nicht bloß theoretisch durchdeklinierten, sondern an solchen Schnittstellen mußte Philosophie praktisch werden. Sie gehörte dem Körper an. „Zen und Kalifornien“ übertitelt Didier Eribon in seiner Foucault-Biographie diese Phase des Probierens.
Aber nicht nur die Lustbarkeiten waren es, sondern ebenso der Philosophie als Theorie galt in den USA Foucaults Trachten. „The fog frog“ nannten ihn mit bösem Ton und in Aversion gegen das Französische die Philosophen aus den Analytischen Departments. Was schlicht Blödsinn ist, denn Foucault schrieb im Vergleich zu Lacan oder Derrida in einem relativ klaren Stil. Inzwischen ist Foucault Teil der Philosophiegeschichte. Sterblichkeit des Denkens. Darin jedes seine Grenze hat.
Ich erinnere mich an die selige Zeit meines Studiums in der Philosophie. Es waren die späten 80er Jahre, in die 90er hineinschlitternd, bis tief in die 90er Jahre sich hinziehend, Geiseln in Gladbeck, die Mauer fiel, Trabis kamen, Deutschland einigte sich als Vaterland, Helmut Kohl sang schräg, zweiter Golfkrieg: grüne Fernsehbilder schossen in die Wohnzimmer und Baudrillard deutete jenes Flimmern platonisch, Bürgerkrieg in Jugoslawien, keiner deutet oder denkt, Berlin wurde Hauptstadt, die UdSSR zerfiel, in Solingen verbrannten Menschen, in Rostock-Lichtenhagen brannten Häuser, Rivalen erschossen den US Rapper The Notorious B.I.G. in Los Angeles, oder seine Plattenfirma tat es als Werbegag, die documenta X ging ins Land, Lady Di starb in Paris.
Foucault war Anfang der 90er Jahre in der Philosophie gut im Schwange, mit böser Zunge kann man behaupten: Foucault war intellektuelle Mode. Ohne Foucault-Theorie im Gepäck konnte ein Student eigentlich auf keiner Party reüssieren und war nicht satisfaktionsfähig. Es gab sogar, wie Jens Balzer in der BLZ berichtete, aus der Generation Pop-Literaten einen Studenten, der legte sich eine extra zerlesene Ausgabe von „Die Ordnung der Dinge“ neben das Bett, ohne sie je gelesen zu haben, um wenigstens optisch-intellektuell beim anderen Geschlecht zu brillieren. Mode war dieser Foucault allein schon aus dem Grunde, um es solchen wie Habermas und überhaupt den liberalen oder sozialdemokratischen Vernunftaposteln zu zeigen. Aber ebenso reizte diese Verbindung von Philosophie und Leben: ein Dandy mit Rollkragenpullover, mit Lederjacke im Berliner Nachtleben. Der Glatzkopf. Ein Habitus, wie wir ihn – Philosophie als intellektuelle Mode – ansonsten lediglich bei seinem Widerpart Sartre fanden. Manche dachten, der Habitus färbe ab, wenn man nur die Bücher im Schrank hätte und die Titel zitierte. Doch dem ist nicht so.
Umtriebig und politisch, die Studenten der Fachschaft, und da hockte Antje am Boden des Seminarflurs, sie malte, beschrieb ein Stück Stoff. Antje reckte ihren Po in die Höhe, die enge Jeans umspannte ihre Rundung schmeichelhaft, und ich stellte mir vor, wie sich an dieser Stelle wohl „Überwachen und Strafen“ inszenieren ließe, dargestellt durch die Schauspielgruppe des Hospizes zu Charenton unter Anleitung des Herrn de Sade. Antjes Arsch war formidabel, obwohl ich sie nicht erotisch fand. Aber diesen Gedanken aufschiebend, weil er mich von meinem eigentlichen Anliegen wegführte, fragte ich, was sie male, ob wieder Studentenstreik sei. Ich bemühte mich, meine Stimme nicht ironisch klingen zu lassen, sondern möglichst neutral, wenn nicht interessiert. Da Antje freundlich antwortete, schien meine Mimesis ans Harmlose aufgegangen. „Wir machen Plakate für die Freilassung der Gefangenen“ „Welcher Gefangenen? RAF?“ „Nein, aller. Die Öffnung der Gefängnisse, die Änderung der Haftbedingungen.“ Ja, es war Foucault-Seminar am Institut, und begierig sogen die Studenten die richtige Praxis auf, indem sie „Überwachen und Strafen“ und „Wahnsinn und Gesellschaft“ lasen. Mir war nicht wohl dabei, jegliche Klapse und jeglichen Knast zu öffnen, und ich weiß nicht, ob Antje glücklich wäre, wenn plötzlich die eingesperrten Vergewaltiger auf freiem Fuße liefen, um sich bei Antje auf ihre Art zu bedanken. Antje müßte dann, statt Stoffbahnen zu bemalen, wieder auf dem Campus sprühen: „Vergewaltiger, wir kriegen Euch!“ Auf die damalige Werbung eines Joghurt-Herstellers anspielend, mit dessen Produkt man jeden bekäme, pflegte ich bei solchen Debatten lächelnd „Mit Danone“ zu ergänzen, was mir böse Blicke einbrachte.
Der Witz zumindest war Foucault nicht fremd, wenn er in der Einleitung zur „Archäologie des Wissens“ gestand, daß er nicht da sei, wo man ihn vermute, sondern hier stehe, von wo aus er uns Leser lachend ansehe. Schönes Spiel, diesseits des Lustprinzips, mit dem Spulen des Hierundda. Wir imitierten das. Mit verstellter Stimme sprechend und sich den Identifikationen entziehend. „Der maskierte Philosoph“, wie ein Interviewtitel in den legendären Merve-Bändchen lautete, die wir in den Taschen trugen, um im Anschluß an die Kritische Theorie Adornoscher Provenienz die „Mikrophysik der Macht“ oder deren Dispositive auszuforschen. Aber ganz so spielerisch, wie es in manchen seiner Sätze und klang, ging es in Foucaults vielfältigen Werk denn doch nicht zu. Streng und als Historiker in die Archive steigend, befragte Foucault die Quellen. Seine Philosophie zeichnet Achsen zwischen dem Subjekt, dem Wissen, der Macht und der Sexualität. Archäologie, Genealogie und Ethik gaben in den drei unterschiedlichen Feldern die Methoden vor. Am Ende scheiterte es, das Projekt dieser tastenden Philosophie, die immer auch mit seinem Urheber etwas zu tun hatte – wie eigentlich jede gelungene Philosophie am Autor hängt und zugleich doch diesen Autor ausradiert. Das große Projekt Foucaults brach ab. Im Juni 1984 starb Foucault. Wer über Foucaults Leben mehr erfahren möchte, der nehme sich die unbedingt lesenswerte Biographie von Didier Eribon zur Hand.
Auf einen Begriff läßt sich diese Philosophie nur schwer bringen. Nicht die Einheit der Vernunft oder – im traditionellen Sinne – die Frage nach dem Selbstbewußtsein, sondern Strukturen sind ihr Thema, die jedoch nicht als Invarianten, sondern strikt geschichtlich gedacht werden. Poststrukturalismus also. Wobei Foucault ebenso den Begriff der Geschichte auf seine Grundlage befragte. In einer solchen skeptischen Form geriet die Philosophie leicht in die Mise en abyme. Schlechte und auch gelungene Unendlichkeiten lassen sich nur als Kunst und in der Kunst auflösen. Zentrale Figur von Foucaults Theorie ist die Kritik des neuzeitlichen Subjektbegriffes – wir kennen diese Stelle am Ende von „Die Ordnung der Dinge“: Der Mensch, ein Gesicht im Sand, und er reitet auf einem Tiger durch den Dschungel, mit diesem Bild ein Motiv Nietzsches aufgreifend. Am selben Tag wie Nietzsche geboren: 15. Oktober.
Zentraler Aspekt und Terminus dürfte zudem der Begriff der Kritik sein. Darin an Kant und ebenso an Nietzsche geschult. Einerseits fragte Foucault nach den Bedingungen der Möglichkeit von Gesellschaft, ohne dabei auf hegelianische bzw. dialektische Figuren der Aufhebung zu rekurrieren. Ob ihm freilich diese Perspektivierung ohne Dialektik angemessen gelang, darf bezweifelt werden. Die Brüche, die er in der epistemé und in den Übergängen des Wissens insbesondere zum 18. Jahrhundert ausmachte, sind keine Kluft, kein Sprung in eine ganz andere diskursive Praktik, sie zeugen keineswegs von Diskontinuität. Jene Statik kann man bereits in der Einleitung zu „Die Ordnung der Dinge“ festmachen, wenn er die Stellung des Subjekts anhand von Diego Velázquezʼ „Die Hoffräulein“ anschaulich macht: Ein Gemälde. Stillgestellte Zeit, ohne Bewegung, auf den Moment geschossen. Eine kluge Bilddeutung zwar, doch jenseits jeglicher Dialektik.
Dennoch: Foucault probiert es in einer Denk-Variante, die die Tradition der Subjekt-Philosophie überborden sollte. Foucault stellt unsere Begriffssysteme in die Kritik, ohne sich auf jenen festen Punkt zu kaprizieren, und befragte ihre Herkunft. Was sind die untergründigen Mechanismen, weshalb es von den Folterstätten des Mittelalters zu den Gefängnissen und den modernen Strafpraktiken kam? Der Panoptismus als Metapher der Selbstkonditionierung. Daß sich hier die Idee des Humanismus Bahn brach, bezweifelte Foucault in der Tradition von Nietzsches Genealogie. An diesen von Nietzsche inspirierten Satz Foucaults zumindest sollten wir uns beim Blick auf Gesellschaft erinnern, wenn wir freudig einen Umbruch oder ein Ereignis bejubeln:
„Mein Ausgangspunkt ist nicht, daß alles böse ist, sondern daß alles gefährlich ist, was nicht dasselbe ist wie böse. Wenn alles gefährlich ist, haben wir immer etwas zu tun. Deshalb führt meine Position nicht zur Apathie, sondern zu einem Hyper- und pessimistischen Aktivismus.“
Wenn ein Philosoph seit über 30 Jahren tot ist, drängt sich die Frage auf, was von seinem Theoriearsenal für die Gegenwart brauchbar sein kann – um die Waffe der Kritik zu schärfen, wie auch um die Kritik der Waffen angemessen zu betreiben. Ganz sicher bleibt jene „Hermeneutik des Subjekts“, die Foucault in immer neuen Anläufen unternimmt. Denn wir selbst – und kein anderer – sind es, die innerhalb bestimmter Gesellschaftsmodelle philosophieren, und gleichzeitig ist nichts an diesem Selbst gesichert, Foucault rekurriert in dieser Hermeneutik nicht auf die traditionellen Methoden. Das Subjekt ist Effekt, auch wenn es sich als Herr dünkt. Foucault ging es um jenes ganz Andere, das nicht wir sind, das nicht ich ist und das dennoch in einer bestimmten Art sich in der Philosophie in Anschlag bringt. Ein sich überschlagendes Denken, das es vermag, sich noch selbst in den Rücken zu fallen:
„Das Motiv, das mich getrieben hat, ist sehr einfach. Manchen, so hoffe ich, könnte es für sich selber genügen. Es war Neugier – die einzige Art Neugier, die die Mühe lohnt, mit einiger Hartnäckigkeit betrieben zu werden: nicht diejenige, die sich anzueignen sucht, was zu erkennen ist, sondern die, die es gestattet, sich von sich selber zu lösen. Was sollte die Hartnäckigkeit des Wissens taugen, wenn sie nur den Erwerb von Erkenntnissen brächte und nicht in gewisser Weise und so weit wie möglich das Irregehen dessen, der erkennt? Es gibt im Leben Augenblicke, da die Frage, ob man anders denken kann, als man denkt, und anders wahrnehmen kann, als man sieht, zum Weiterschauen oder Weiterdenken unentbehrlich ist. […]
Der ‚Versuch‘ – zu verstehen als eine verändernde Erprobung seiner selber und nicht als vereinfachende Aneignung des andern zu Zwecken der Kommunikation – ist der lebende Körper der Philosophie, sofern diese jetzt noch das ist, was sie einst war: eine Askese, eine Übung seiner selber, im Denken.“
(Michel Foucault: Der Gebrauch der Lüste)
Photographien Foucault: Internet
Photographien vom Meer, von Gesichtern und Schatten, Ostsee, Ende September 1993: © Bersarin, auf Ilford HP5
Mein lieber Bersarin – auf den „Mit Danone“-Witz hat aber mein Bruder die copyrights. Und „Antje“ hieß eigentlich anders, wie? Veteranengeblubber…
Danke für den herrlichen Text. Und immer daran denken: Der Rollator wird unser aller Schicksal sein.
Antje heißt natürlich anders – logisch. Dieser Danone-Witz war glaube ich, bei vielen kritischen Geistern im Gange. Woher er ursprünglich stammt – ich weiß es nicht. Aber bei Foucault und Derrida nach den Ursprüngen zu fragen ist eine müßige Arbeit. Ja, der Rollator. Mir fällt zu diesen Zeiten und dem, was sich ändert, immer dieses freilich leicht sentimentale und damit auch ktischige Gedicht von Eva Strittmatter ein, besonders jene Zeilt: Und wie wir in der Jugend brannten…//Jetzt glühn wir anders. So nie mehr.:
Bilanz
Wir alle haben viel verloren.
Täusche dich nicht: Auch ich und du.
Weltoffen wurden wir geboren.
Jetzt halten wir die Türen zu
Vor dem und jenem. Zwischen Schränken
Voll Kunststoffzeug und Staubkaffee
Lügen wir, um uns nicht zu kränken.
Und draußen fällt der erste Schnee…
Wir fragen kalt, die wir einst kannten:
Was machst denn du, und was macht der?
Und wie wir in der Jugend brannten…
Jetzt glühn wir anders. So nie mehr.
Es war sein 90er Geburtstag, wenn ich nicht irre.
In Knausgårds Leben, übersetzt von Ulrich Sonnenberg, spricht Karl Ove beim Essen mit seiner Großmutter väterlicherseits von seiner Mutter:
„Sie ist im Sommer zum letzten Mal in Sørbøvåg gewesen, und die beiden sind inzwischen ja auch schon ziemlich alt. Vor allem ihre Mutter. Sie ist sehr krank.“
„Ja“, sagte Großmutter und nickte. „Ja, das ist sie.“
„Sie kann nicht mehr allein gehen.“
„Oh, ist es so schlimm inzwischen?“
„Aber sie hat einen Rollator“, erzählte ich, schluckte und wischte mit der Hand ein paar Krümel von den Lippen. „Damit kann sie sich in der Wohnung bewegen. Aber nach draußen kann sie nicht mehr.“
Deinen schönen Beitrag habe ich verlinkt und meinen eigenen Senf dazu geschrieben:
https://che2001.blogger.de/stories/2610643/
Zwei Anmerkungen zu Deinem ansonsten hervorragenden Posting:
Von „den Folterstätten des Mittelalters“ kann keine Rede sein, weil das, was wir Heutigen damit verbinden, in die Frühe Neuzeit gehört. Na gut, das Zeitalter der Borgia ist da eine Übergangsphase, aber das eigentliche Mittelalter kannte außer Geißeln keine eigens angefertigten Foltergeräte, die Folterkammern die sich noch heute in Schlössern und Burgen besichtigen lassen gehören in die Zeit der Glaubenskriege und Hexenverfolgungen, die für das Heraufdämmern der Neuzeit und die absolutistische Revolution normativ waren. Foucaults Prägung durch Kant und Nietzsche hast Du gut herausgearbeitet, dabei wird heute meist völlig vergessen, dass der Freudomarxismus und ein positiver Bezug auf die Mao-Tse-Tung-Ideen im damaligen linken Frankreich als Allgemeinplätze galten, die unausgesprochen mitgedacht wurden. Was die politischen Haltungen Foucaults erklärt und die Leute, die ihn heute als eher linksliberalen Queer-Theoretiker wahrnehmen überhaupt nicht auf dem Schirm haben.
@ Benedict: Das ist wieder eine dieser analytisch-philosophischen Denunziationen. Natürlich ist Foucault jünger als es die Künste des Rechnens wahrhaben wollen.
„Mit Danone“ hatte in der Tat seinen Ursprung bei vielen, die damals schon dem „Feminismus“ kein Wort mehr glaubten. Fast kann man mit Foucault sagen: Auch damals war Feminismus – nein nich Feminismus sondern „Feminismus“ bereits Machtausübung. Und um mit Danone zu sprechen haben wir das auch damals schon erkannt.
Genau um Machtausübung geht es mir bei Foucault das war von ihm zu lernen: Diagnosen sind auch Machtausübung, Diagnostiker somit mächtig. Das scheinen manche Ärzte nicht wissen zu wollen.
@ holio: Was für eine entsetzliche Prosa! Aber schön immer wieder, wie Sie Verweise und Zitate finden!
@ che: Danke fürs Verlinken und die Erläuterungen zu den Folterstätten. Ich meinte damit auch eher, im Sinne von Foucault wie er es in „Überwachen und Strafen“ schilderte, die öffentlichen Hinrichtungsstätten für die Straftäter. Das war mißverständlich ausgedrückt bzw. schon einen Schritt weiter interpretiert.
@herwig: So ist es, das genau ist der springende Punkt. Wer Vergewaltiger ist bestimmen wir. Egal, ob derjenige nun tatsächlich Täter war oder nicht. Es geht hier nicht mehr um die Sache, sondern um genau jene Macht des Diskurses. Diese Art von Foucaultjüngerinnen haben Foucault und Nietzsche mehr als gut verstanden.
Zum Medizinischen müßte man sich wohl in „Die Geburt der Klinik“ wieder hineinwagen. Du kennst es bestimmt.
schönes Zitat aus „Gebrauch der Lüste“, überhaupt ein – von jener überschwänglichen (wenn ich diesen Ausdruck gebrauchen darf) Foucault-Rezeption der Achtzigerjahre her – bis dorthin recht beschwingt geschriebener Beitrag (also auch verständlich). – Bei einer Kritik der Möglichkeit von Gesellschaft wird Foucault wohl kaum vergessen haben werden, dass der Kritik ausübende selber Produkt von „Gesellschaft “ ist, wie ja auch nur kaum vorstellbar ist, wie eine „Hermeneutik des Subjekts“ vonstattengehen sollte, die das Subjekt bereits durchgestrichen hätte. So scheint es ganz folgerichtig, dass wir es mit beweglichen Strukturen zu tun bekommen; und dass der moderne Subjektberiff kritisiert wird. Erste Idee ist dann natürlich, ob nicht weitere Gesellschaftskritik in einen performativen Selbstwiderspruch gerät. Und wich wage zu bezweifeln, ob hier eine dialektisch Perspektivierung tatsächlich etwas geholfen hätte.
Nun, wie ich lese, scheint er hieraus eine „Methodologie“ entwickelt zu haben:
„Dennoch: Foucault probiert es in einer Denk-Variante, die die Tradition der Subjekt-Philosophie überborden sollte. Foucault stellt unsere Begriffssysteme in die Kritik, ohne sich auf jenen festen Punkt zu kaprizieren, und befragte ihre Herkunft.“
Ich hege keine Zweifel, dass Foucault-Lektüre, gerade wegen der Frage nach der Herkunft, nicht sehr lohnenswert wäre. Aber ich bezweifle, ob hier wirklich irgendetwas sich „als und in der Kunst auflösen“ lasse. Vielleicht ist dies die Situation, die Foucault das Postmoderne-Label eingebracht hat. Andererseits, da es ohnehin keine introspektive Plausibilität eines „Subjekts“ gibt, findet er dann – anstatt etwa, was dann ebensogut möglich gewesen wäre, die Rekonstruktion (des Subjekts) zu fordern – dieses schöne Bild vom verschwindenden Gesicht im Sand.
Übrigens, auf den beiden Fotos, die diesen Vorgang des Verschwindes zeigen, vervielfacht sich der Schatten des Menschen um dem Faktor zwei auf dem letzteren. Mit dem Verschwinden des Menschen würde demnach ein weiterer Schatten entstehen.
Was die Kunst betrifft, so ist das eine kompliziertere Sache. Es gibt natürlich in Foucaults Theoriekorpus Aspekte wie die Analyse der Macht und die Archäologie des Wissens, die sich kaum in Kunst auflösen werden. Auch wenn Foucault in seiner „Ordnung der Dinge“ mit einer grandiosen Deutung von „Las Meninas“ beginnt. Allerdings wird die Frage der Kunst bei seinem Konzept einer Sorge um sich bedeutsam. Das Postmoderne-Label halte ich bei Foucault ebenfalls für unangemessen. Zumal heute die alten Debatten der 80er und insbesondere die Grabenkämpfe vorbei sind.
Deine Deutung der Photographien zum Verschwinden und wie sich Schatten(gesichter) vermehren, gefällt mir gut. Schön gesehen, gekonnter Blick auf die Photographien.
Ehe das jetzt untergeht: Die Eingebettetheit Foucaults (und ebenso Baudrillards, Lyotards und praktisch aller anderen als Postrukturalisten Gelabelten) in einen marxgeprägten und im Ansatz ursprünglich mal maoistischen Gesamtkontext, die fast niemals erwähnt wird wenn sich jemand mit denen beschäftigt halte ich für absolut zentral.
Danke für Deinen Hinweis, der für Lyotard und Baudrillard ganz sicher zutrifft. Bei Foucault würde ich widersprechen. Es findet bei ihm die Kritik des Marxismus statt. Die Theorie von Marx ist für ihn ein klassischer Fall einer Theorie, die sich aufs Subjekt kapriziert. So z.B, in „Die Ordnung der Dinge“:
„In der Tiefe des abendländischen Wissens hat der Marxismus keinen wirklichen Einschnitt erbracht (…) Der Marxismus ruht im Denken des neunzehnten Jahrhunderts wie ein Fisch im Wasser. Das heißt: überall sonst hört er auf zu atmen. Wenn er sich den ‚bürgerlichen‘ Theorien der Ökonomie entgegenstellt, und wenn er in dieser Opposition eine radikale Wende der Geschichte entwirft, haben dieser Konflikt und dieser Entwurf als Bedingung ihrer Möglichkeit nicht die Wiederingriffnahme der ganzen Geschichte, sondern ein Ereignis, das von der ganzen Archäologie mit Präzision eingeordnet werden kann und das gleichzeitig auf die gleiche Weise die bürgerliche und die revolutionäre Ökonomie des neunzehnten Jahrhundert vorgeschrieben hat. Ihre Auseinandersetzungen werfen vergeblich einige Wogen auf und zeichnen an der Oberfläche einige Falten ab: Es sind lediglich Stürme im Wasserglas.“
Nun meint das zwar nicht direkt die Theorie von Marx, sondern Foucault schreibt. Marxismus. Doch implizit bezieht er diesen Vorwurf ebenso auf den Text von Marx, vor allem vermittels seiner Kritik der neuzeitlichen Subjektphilosophie. Insbesondere mit der KPF hat Foucault bereits in den 50er Jahren gebrochen. Was an deren Denkstrukturen lag. Das Problem, das bis ins Heute reicht. Haupt- und Nebenwidersprüche. Für Foucault war das Schwulsein weder ein Nebenwiderspruch noch eine bürgerliche Intellektuellengesinnung, wie es die KPF annahm, die sich nach der Revolution und unter anderen Produktionsverhältnissen wieder auswüchse. In diesem Sinne, che, denke ich könnte auch das Buch von Didier Eribon Dich interessieren, weil es solche Widersprüche zum Thema macht: Kind der Arbeiterklasse, das in den intellektuellen Milieus Schwierigkeiten hat, weil es nicht deren Codes beherrscht. Dazu dann auch noch schwul.
Was den sogenannten Poststrukturalismus betrifft (ein freilich unglücklicher Oberbegriff, aber das ist der der Metaphysik auch und der befaßt eigentlich noch viel differentere Denker unter sich): Das Spannende an ihm ist die Tatsache, daß er ganz unterschiedliche Aspekte unter sich befaßt: Von Kant, über Hegel, Marx, Nietzsche, Husserl, Freud, Heidegger bis hin zu den strukturalen Lehren von Lévi-Strauss und Barthes. Und dies, ohne in die strikte Oppositionsbildung zu verfallen.
Wobei man sagen muß, daß dieser Marx-Bezug bei Foucault changiert; er andererseits aber in den 70er Jahren zu den Intellektuellen gehörte, die Marx das Gulag-System anlasteten. (Diese ganze Marx-Kritik fällt in die Phase der sogenannten Nouvelle Philosophie wie Glucksmann oder Bernard Henri-Lévy., die Marx von einer nichtlinken Seite hier kritisierten. Während Foucauls Kritik eher von links kam.) Stellen kann ich dazu bei Foucault nicht finden. Ich beziehe mich hier auf den Foucault-Band von Urs Marti bei Beck. Wahrscheinlich wird man dazu in den „Dits et Ecrits“ der 70er bei Foucault etwas finden.
Ein zentraler Text für Foucaults Auseinandersetzung mit Marx ist sicher der von 1964 stammende „Marx, Nietzsche, Freud“, in dem diese drei „Diskursbegründer“ als Ausgangspunkt jeder möglichen Methodologie charakterisiert werden, da sie den „Primat der Interpretation über das Zeichen“ begründeten. Das ist eine Variante des ‚Marxismus‘, die Foucaults früherer Lehrer Althusser damals in seinem berühmten Marx-Seminar an der ENS mit Studenten wie Balibar und Ranciere detailliert ‚ausbuchstabierte‘, wovon das daraus entstandene Buch „Marx: Das Kapital lesen“ zeugt, das unlängst auch wieder in einer neuen und mustergültigen Edition auf deutsch erschienen ist.
Diese Lesart eines ’strukturalistischen‘ Marx, die eben nicht oder kaum noch eine des historischen Materialismus oder gar einer schematischen Dialektik ist, ist für Foucault etwa zehn Jahre prägend. Erst ab seiner Antrittsvorlesung am Collège de France und seiner danach dort gehaltenen Vorlesung zur „Strafgesellschaft“ von 1972/73 geht Foucault dann andere Wege. Die Distanzierung von Marx aus den 50ern und 60ern ist also mehr eine von der KPF und der orthodoxen Parteiinterpretation.
Auf diese zeitgeschichtlichen Debatten, die bei Foucault immer mitzulesen sind, spielte Che wohl an, wenn ich ihn richtig verstanden habe. Das m. E. beste Buch dazu ist die Studie von Ulrich Brieler „Die Unerbittlichkeit der Historizität“ (1998), die den Argumenationen Foucaults akribisch über die Jahrzehnte folgt und sie in die Debatten und Diskurse der intellektuellen und politischen Szene einbettet, der Foucault angehörte.
Das ist richtig. Insbesondere die Distanzierung Foucaults vom orthodoxen Marxismus der KPF, der vielfach nichts mehr mit Marx‘ Text zu tun hat. Es gibt – wie so oft bei Foucault, nicht nur im Blick auf Marx – verschiedene Stränge von Lektüren, die man bei ihm verfolgen kann. Konsequent textimmanent hat sich Foucault allerdings nie mit Marx auseinandergesetzt. Wobei man Foucault das nicht als Mangel vorwerfen kann, denn solche textimmanenten Lektüren von Philosophen hat er in seinen Hauptwerken nie vorgenommen – wie das überhaupt Philosophen selten tun. Die wenigsten sind Hermeneutiker. Nicht einmal für die Namen, die Foucault wichtig waren und die man wohl zentral mit seinem Denken und seiner „Methode“ in Verbindung bringt, tätigte er eine solche immanente Lektüre: Kant, Nietzsche und Heidegger.
Diese ganze Schiene der Marx- und Hegelrezeption sowie der Interpreten Althusser, Foucault, Derrida (beide waren mit Althusser befreundet) sowie das intellektuelle Szenario an der ENS kann man ganz gut in der Derrida-Biographie von Peeters nachlesen. Ebenso bei Eribon. Wie man überhaupt noch einmal die Hegel-Rezeption der so unterschiedlichen französischen Philosophien wie Barthes, Foucault, Derrida, Sartre und Lacan in den Hegelvermittlungen durch Kojève als Basis nehmen muß für den Bruch mit der Dialektik. Am meisten hielten Sartre und Derrida an dieser Dialektik fest.
Foucaults Text erschien gedruckt zuerst 1967, unter diesem Jahr ist er dann auch in den „Dits et Ecrits“ im Band 1 zu finden. Allerdings geht es darin in der Tat weniger um den Marx der Politischen Ökonomie, also die ökonomischen Strukturen des Kapitalismus, die zugleich das Denken selbst formatieren – man nehme das zentrale Fetischismuskapitel (worauf freilich man Marx nicht reduzieren sollte). Sondern Foucault stellt den von Dir genannten, anderen Aspekt der Zeicheninterpretation heraus und damit verbunden die „Neue Möglichkeit für Interpretation und die „Neue Möglichkeit einer Hermeneutik“, die alle drei gleichermaßen geschaffen haben. Ob Foucault freilich über den Begriff des Zeichens Marx überhaupt angemessen in den Blick bekommt, darüber läßt sich streiten.
Zumindest zeigt dieser Text: Foucault ist bereits in diesen frühen Jahren – der 1967 publizierte Text beruht auf einem Vortrag von 19964 – bei seinem Thema: der Erforschung von Denksystemen. Und dabei spielen Marx (und damit eben auch Hegel) dann wieder eine untergeordnete Rolle. Sie sind, wie auch Freud und Nietzsche eher Stichwortgeber für den eigenen Ansatz.
Natürlich sind – wie bei jeder Philosophie – die zeitgeschichtlichen Debatten mitzulesen. Sie sind gleichsam das Salz in der Suppe, vor deren Hintergrund sich manche Texte besser erschließen. Adornos „Dialektik der Aufklärung“ ist ohne den historischen Kontext nicht zu denken und in ihrer Apodiktik auch kaum zu verstehen.
Festzuhalten bleibt auf alle Fälle, daß Marx als Unterströmung des Foucaultschen Textes mitläuft. Wieweit das jeweils in den einzelnen Phasen seines Denkens geschieht, müßte man konkret herausarbeiten und bei Brieler schauen. In „Die Ordnung der Dinge“ scheint mir zunächst ein kritischer, abwehrender Bezug zu Marx vorzuliegen. Etwas verkürzter, so für Auf-die-Schnelle, Auf-die-Hand, gibt es von Brieler einen Text in dem (vergriffenen) Sammelband „Geschichte schreiben mit Foucault“. „‚Erfahrungstiere‘ und ‚Industriesoldaten‘: Marx und Foucault über das historische Denken, das Subjekt und die Geschichte der Gegenwart“. Verschweigen sollten wir diesen Aspekt freilich nicht: Zum Marxbezug gehören in Foucaults genealogischen und archäologischen Grabungen ebenfalls Heidegger und Nietzsche. Im Kontext dieser drei, sowie Freud, entwickelte Foucault seine Methode und richtet seine Instrumente aus.
Überhaupt in diesem Zusammenhang von Poststrukturalismus und Kritischer Theorie – ich wollte das Buch schon im ersten Kommentar heute nennen – ist der Sammelband „Kritische Theorie und Poststrukturalismus. Theoretische Lockerungsübungen“ von 1999 wichtig und wegweisend. Er geht auf die jour-fix-Initiative hier in Berlin zurück. Leider vergriffen. Brieler nennt ihn ebenfalls in seinem Aufsatz.
In solchen Positionen zeigt sich eine grundsätzliche Neubestimmung des Foucaultschen Denkens als Bestandteil einer Kritischen Theorie von Gesellschaft. Anders etwa als in der Diktion von Habermas 1985 in seinem Buch „Der philosophische Diskurs der Moderne“ und auch als Honneth in seinem Buch „Kritik der Macht“ von 2000.
Viel zu lesen also.
Wenn wir es ganz genau nehmen, dann stimmt es nicht, dass Foucault sich nie in einem hermeneutisch-akademischen Sinn mit für ihn zentralen Denkern auseinandergesetzt hat. Seine Abschlussarbeit in Philosophie schrieb er über Hegels Phänomenologie bei seinem wichtigsten Lehrer Jean Hippolyte. Dieser ist als Übersetzer Hegels ins Französische und als sein Interpret viel wichtiger als Kojeve, dessen gewissermaßen esoterische Interpretation natürlich trotzdem nicht zu unterschätzen ist. Auch an Hippolyte, dessen Nachfolger am Collège Foucault später wurde, lassen sich schöne Verästelungen dieser besonderen Ära aufzeigen, denn er besuchte später auch Lacans Seminar und hat dort mit seinem Vortrag über die Negation bei Hegel ganz entscheidende Akzente gesetzt.
Foucault hat seine Abschlussarbeit später vernichtet, insofern bleibt es unbekannt, inwiefern wir schon in seinen frühen Lehrjahren eine ‚eigene‘ Rezeption feststellen können. Anders ist es später mit dem zweiten Teil seiner akademischen Thèse – der erste ist „Wahnsinn und Gesellschaft -, die er bei Canguilhem einreichte. Dieser ist eine Übersetzung und ein einleitender Kommentar von und zu Kants „Anthropologie in pragmatischer Hinsicht“. Der Foucaultsche Text ist inzwischen auch auf deutsch publiziert. Trotz des akademischen Charakters ist der Stil des späteren Foucault schon gut zu erkennen und es lässt sich mit etwas Freiheit aber nicht ganz unbegründet ein Bogen schlagen zu seiner letzten Vorlesungsreihe am Collège, in der Kants Begriff der Kritik noch einmal diskutiert wird.
Es wurde in der Diskussion über Postmoderne, Poststrutkuralismus und in Vorwürfen wie „Fog Frog“ häufig nicht verstanden, auf welcher Grundlage einer exzellenten Textkenntnis der gesamten Philosophiegeschichte Foucault sein eigenes Denken entwickelte. Dies zu berücksichtigen ist nicht unwichtig.
Und hier knüpft der Neue Antiimperialismus – also die Denkschule, in der ich beheimatet bin – in ganz anderer Weise an. Der ursprüngliche Ansatz der Schriftenreihe Autonomie – Neue Folge war eine Verbindung aus italienischem Operaismus und Dependenztheorie. Operaismus meint eine nichtmarxistische unmittelbare Anwendung des Marx´schen Entfremdungsbegriffs auf die Situation der IndustriearbeiterInnen zunächst bezogen auf die sizilianischen oder eingewanderten Arbeitskräfte bei Fiat, später ausgeweitet auf MigrationsarbeiterInnen aus durch Subsistenzgesellschaften geprägte Ursprungslebenszusammenhänge an sich. Diese verstanden Arbeitskämpfe nicht als Partizipationsprozess, schon gar nicht als Sozialpartnerschaft, sondern als Kampf gegen entfremdete Arbeit an sich: Kampf gegen Disziplinierung, Leben als Sabotage, Sabotage als Sich-Wehren gegen Arbeitsdrill. Mensch gegen Maschine, rage against the machine. Diese Grundausrichtung bezeichnet eigentlich das politische Selbstverständnis „autonom“.
Die Dependenztheorie beschäftigt sich mit der Abhängigkeit von Dritte-Welt-Gesellschaften und Gesellschaften von Schwellenländern von Industriegesellschaften und der Widerstandsperspektive dagegen.
Neuer Antiimperialismus bedeutet das Zusammenbringen dieser Ansätze mit der Kritischen Theorie und mit bestimmten Axiomen der Theorien von Foucault, nämlich den Dispositiven der Macht und Bio-Macht. Die ganze Analyse des NS-KZ-Systems von Heim und Aly ist ohne diesen Hintergrund nicht zu verstehen, Vernichtungskrieg und Lagerwirtschaft sind in diesem Kontext eine Zuspitzung kapitalistischer Ökonomie an sich und heutige Entwicklungspolitik deren Fortschreibung unter anderen Vorzeichen. Was auch bedeutet, dass es aus linker Perspektive niemals einen Frieden mit diesem System geben kann. Mein eigener Ansatz ist wiederum die Verbindung des Neuen Antiimperialismus mit Bourdieu und Baudrillard. Ja, ich weiß schon, nach Baudrillards Diktum „Oubliez Foucault“ erscheint das schwierig, ich halte das trotzdem für kombinierbar.Was ich hingegen als katastrophal ansehe ist die Tatsache, dass ich diesen Kontext, vgl. die total entgleisten Diskussionen etwa mit Momorulez, in 14 Jahren Blogdiskussionen niemandem adäquat vermitteln konnte, während sie in meinen Zusammenhängen absolut selbstverständlich sind.
Was die Kombinationen von Denkern und Texten betrifft, sollte man sich nie an die Vorschriften oder die Selbstaussagen halten. Foucault, Bourdieu und Baudrillard (zumindest den frühen(, kann man gut in eine Konstellation bringen. Für mich sind ebenso Marx und Nietzsche kombinierbar. Und sogar aus dem arg faschistischen Heidegger lassen sich noch Funken und Ideen schlagen. Seine Seyns-Mystik ist Philosophie und Kritik, die als eine Art von Literatur zu lesen wäre. Nicht uninteressant.
Zentral ist die Aussage, keinen Frieden mit diesem System zu machen. Am Ende ist dies eine Haltung des Denkens. Und damit dann auch eine Praktik. Unmittelbare Umbrüche stehen ja nicht bevor, und nach einer Revolution stehen wir ja immer wieder vor diesem Dilemma, das uns schön Goethe und Bücher in ihren Varianten vor Augen führten. Sei es in den „Unterhaltungen“, in „Hermann und Dorothea“ oder in Bücherns Danton. Auch Schillers Skepsis nicht zu vergessen. Dennoch: Im Denken den Widerstand zu bewahren, und wo es irgend geht das auch praktisch werden zu lassen.
Zentral bleibt das System Kapitalismus. Die Verwertung von allem und jedem. Abschätzen nach dem, was es oder er einbringt.
Da bin ich vollumfänglich bei Dir. Um meinen eigenen Faden noch einmal aufzugreifen: Das Strikende an diesen Debattenschlachten war, dass etwa Detlef Hartmann, einer der pronociertesten Theoretiker dieses auch von mir vertretenen Ansatzes für einen Reaktionär irgendwo zwischen Botho Strauß, Oswald Spengler, Sloterdijk und Fleischhauer gehalten wurde, Götz Aly hingegen für einen Antideutschen. Die Antideutschen wiederum halten den ganzen Neuen Antiimperialismus für antisemitisch, und ein Buch wie die „Ökonomie der Endlösung“ sei geschrieben worden, um den Juden ihren Sonderstatus als Opfer zu nehmen. Gegen soviel Blödheit musste unsereins andiskutieren.
@ Serge. Dein Kommentar ist im Spam gelandet. Weshalb weiß ich nicht. Deshalb wird er erst jetzt freigeschaltet. Egal wie: Unbestreitbar ist, daß Foucault von bestechender, scharfer Intelligenz und ein sehr genauer Leser ist – was freilich auch Derrida war, auf dessen Stil jedoch eher die Bezeichnung frog fog paßt. Ihm würde das vielleicht gefallen. Von den Rändern und dem Entzug her zu sprechen. Und aus dem Nebel sowieso, um sich nicht identifizierbar zu machen. Wenn wir es genau betrachten, Foucaults Studium und seine intensive Lektürearbeit nehmen, dann stimmt es natürlich nicht, daß er sich nicht explizit mit jenen Denkern auseinandergesetzt hat. Aber es ging mir in diesem Kontext eher um Foucaults eigene Texte. Die freilich ohne eine intensive Kenntnis der Philosophie von Kant, Hegel, Marx, Nietzsche et al. nicht denkbar gewesen wären. Von der Kenntnis der Antike ganz zu schweigen, in seinem Spätwerk, vor allem im 2. und 3. Teil von Sexualität und Wahrheit. Ähnlich ist es übrigens bei Adorno. Die Lektüre der „Negativen Dialektik“ fällt vielen deshalb so schwer und anderen wieder aus genau dem gleichen Grunde viel zu leicht, weil übersehen wird, daß in diesem Text die gesamte Tradition der abendländischen Philosophie steckt. Nur buchstabiert sie Adorno in den seltensten Fällen explizit aus.
Wie geschrieben: diese ganzen akademischen Sozialisationen und diese Epoche kann man gut bei Eribon, Peeters und auch bei F. Dosse in dem Junius-Band zur Geschichte des Strukturalismus nachlesen. Alles freilich auf Einführungsniveau. Auf die Barthes-Biographie von Samoyault bin ich gespannt, sie harrt noch. Aber doch, ja, eine spannende Zeit und viele Verquickungen wie auch Grabenkämpfe. Peeters zeigt das insbesondere an der Tel Quel. Traurig, daß es zu dieser Gruppe meines Wissens keinen guten Text auf Deutsch gibt, der sich explizit damit auseinandersetzt. Solltest Du an Lacan interessiert sein, empfehle ich übrigens das Buch von Alain Jurainville: Lacan und die Philosophie.
@ che. Bei Sloterdijk weiß ich gar nicht mal, ob der wirklich reaktionär ist. Er ist manchmal seltsam. Aber ich denke, daß Ansichten gegen den Strich auch die festgefahrenen Diskurse beleben können. Ich bin kein Freund von Lagerdenken. Und schon gar nicht würde ich alle vier in die gleiche Schublade stecken. Botho Strauß ist in seinem „Anschwellenden Bocksgesang“ problematisch. Aber er ist zugleich, unabhängig von seinem politischen Denken, ein begnadeter Autor, Schriftsteller, Beobachter. Seine Beobachungen zum Verlust des Tragischen muß man sehr genau lesen. Ich würde das nicht nur als reaktionär deuten. An seinen kulturkritischen Befunden ist was dran, nur die Ableitungen, die er vornimmt, halte ich für grundfalsch. In seinem letzten Essay zu den Deutschen hegt er einen verengten Kulturbegriff. Dennoch sehe ich es ebenso, daß mir Goethe, Kleist, Büchner, Novalis, Tieck näher sind als irgendein Syrischer Lyriker aus dem 19. Jahrhundert. (Wobei der eben auch nicht uninteressant sein muß. Wichtig ist doch die intellektuelle Offenheit und sich auf Neues und Texte einzulassen.)
Ich meinte damit auch mehr dass ich nur äußerst schwer nachvollziehen kann wie ein Vertreter einer Verbindung aus sozialrevolutionärer Marxinterpretation, Kritischer Theorie und Poststrukturalismus mit einem der Genannten identifiziert oder aber für einen Antideutschen gehalten werden kann. So viel Unverständnis muss man erst mal hinbekommen können.
Nein, diese Identifikation ist auch mir ein Rätsel. Aber es war das eine andere Zeit. 80er Jahre, BRD, Habermas, SPD. Und dann dieser seltsame Begriff der Kommunikation. Sabbelkommunismus nannten wir damals diese ThdkH nur verächtlich. Vernunftsoperationalismus. Daß Habermas Foucault so null und gar nicht verstehen konnte, lag fast schon nahe bei diesem Vernunftsfetischismus. Wobei Habermas ja im „Philosophischen Diskurs der Moderne“ einerseits eine immanente, gerechte Lektüre versucht. Aber seine Lektüre rauschte volle Kanne und ich Schußfahrt an Foucault vorbei. Ich weiß nicht, was Habermas gelesen hat. In der Widmung zu diesem Werk heißt es (sinngemäß) Für Rebekka, die mir den Strukturalismus nahegebracht hat. Das zumindest schien gründlich schiefgegangen zu sein.
Rebekka Habermas kritisierte in einer Diskussion an der Uni Göttingen ihn mal als Einen, der nichts begriffen hätte, und darauf erwiderte Bernd Weisbrod, der höchst autoritäre, stets Bildungsbürgerkinder gegenüber Studierenden aus Arbeiterhaushalten bevorzugende Machtmensch, der darüber entscheidet, wer in Niedersachsen gute Stellen bekommt und wer nicht: „Rebekka, wie kannst Du das nur sagen? Er ist Dein Vater.“ Das sagt Alles.
…. dass ein Osho-Clown wie Sloterdijk immer wieder in solchen Diskussonen auftaucht, spricht nur für den Referenzraum, dem er zugeordnet wird.
J.G. Merquior schreibt in seinem Foucault-Buch:
„His kind of analysis tends constantly to be circular; its conclusions are already present at the beginning. In other words, the method is eminently question-begging. Jon Elster has shown that Foucault slips into that ‚obsessional‘ search for meaning‘ which often underpins pseudoexplanations couched in terms of consequences. … The point is, teleological explanations of this kind do not, of course, qualify as genuine causal analysis; they just assume causes without demonstrating any causal mechanism; hence the circularity and the question-begging.“
Klicke, um auf Merquior_JG_Foucault.pdf zuzugreifen
Sehe ich auch so. Foucaults Frage nach den „untergründigen Mechanismen, weshalb es von den Folterstätten des Mittelalters zu den Gefängnissen und den modernen Strafpraktiken kam?“ setzt eben die Existenz solcher Mechanismen schon voraus, und dann wird nach Belegen dafür gesucht.
Die Frage, ob es solche Mechanismen überhaupt gibt, wird gar nicht erst gestellt. Und was er stattdessen liefert, sind Pseudo-Erklärungen, die eben keine echte Kausalität nachweisen
@ che: In der Tat ist das bezeichnend und eine ehrliche Aussage von Rebekka Habermas.
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Das ist leider falsch, El Mocho. Denn wenn Du Dir „Überwachen und Strafen“ durchliest, wirst Du bereits auf den ersten 50 Seiten feststellen, daß Foucault diese Mechanismen von Folter und Strafe anhand der Empirie aufzeigt. Zudem begibt er sich zu den Textquellen und eruiert dort die Praktiken des Strafens. Foucault betrachtet sich durch die Geschichte hindurch die unterschiedlichen Formen des Strafens. Von der Folter, über die Guillotine bis zum modernen Gefängnis. Die Crux ist ja, daß bei der Marter und noch bis zur effizienten Guillotine hin es der öffentlich ausgestellte Körper ist, der traktiert wird, während es im Gefängnis der eingesperrte und versteckte Körper ist, der gestraft und überwacht wird.
Mit untergründig meine ich übrigens nichts Mystisches, sondern daß diesen unterschiedlichen Systemen des Strafens unterschiedliche Prämissen zugrunde liegen. Nur als Beispiel ein Satz:
„Bis dahin hatte jedoch die Praxis der peinlichen Strafen nicht auf einer Ökonomie des Exempels im Sinne der Ideologen beruht (wonach die Vorstellung von der Strafe das Interesse am Verbrechen überwältigen sollte), sondern auf einer Politik des Schreckens: am Körper des Übeltäters sollte allen die entfesselte Gegenwart des Souveräns spürbar gemacht werden. Nicht die Gerechtigkeit, sondern die Macht wurde durch die Marter wiederhergestellt.“
Foucault zeigt anhand der Praxis die unterschiedlichen Paradigmen, die dem Strafen zugrunde liegen. Dabei deutet Foucault dieses System des Strafens machttheoretisch. Was schon deshalb nicht ganz falsch ist, weil es der Souverän ist, der über die Formen und Praktiken des Strafens bestimmt.
Jeden Empiriker müßte das Buch freuen, denn es beginnt mit einem Beispiel, das das Grauen einer Strafe als Folter, die öffentlich ausgestellt wird, uns aufzeigt.
Methodisch ist dieser Vorwurf von insofern Merquior unzutreffend.
Läge übrigens dem Strafen kein Mechanismus zugrunde, und das ist der zweite logische Einwand gegen Deine Kritik, dann wäre die Strafe eine zufällige, regellose, willkürliche Veranstaltung ohne System, subjektive Willkür mithin. Das aber gilt nicht einmal für rechtsfreie Räume im Bürgerkrieg. Auch dort haben Strafen bzw. Folter eine Funktion und ihnen liegen Mechanismen zugrunde und Strafen folgen bestimmten Ritualen.
Dazu der Kommentar des Historikers: Im eigentlichen Mittelalter galt neben dem positiven Recht das Gewohnheitsrecht. Nach Gewohnheitsrecht war es z.B. möglich, dass ein Mörder nicht hingerichtet wurde, wenn er den Hinterbliebenen des Opfers eine Abfindung zahlte und diese sich damit zufrieden gaben. Bei Zahlungsunfähigkeit konnte er hingerichtet oder aber zur Zwangsarbeit als Knecht der Hinterbliebenen gezwungen werden. Es gab aber auch die Möglichkeit, dass er den Hinterbliebenen ausgeliefert wurde, die ihn mit eigener Hand töten durften (Feme). Die unbedingte Anwendung positiven Rechts und die ausnahmslose Vollstreckung öffentlicher Strafen ohne Freikauf ist erst ein Ergebnis der Krise des Spätmittelalters mit der Ablösung der Lehnsherrschaft durch einen dynastischen Feudalismus und des Personenverbandsstaats durch einen Zentralstaat. In dieser Zeit wurden die Halsgerichtsordnungen wie z.B. die Carolina erlassen, benannt nach Karl V. Das war nicht mehr Mittelalter sondern Frühe Neuzeit, die Zeit der Hexen- und Ketzerjagden und Glaubenskriege.
VOR dem Mittelalter, nämlich im alten Rom, wurden öffentliche Hinrichtungen als fantasievoll inszenierte Schauspiele in der Arena vollstreckt. Was dahinter steckte war die Auffassung, dass Verbrecher nicht nur den Tod verdient hätten sondern ihr Vergehen an der Gemeinschaft dadurch wieder gut machen sollten dass sie mit ihrem Tod die Gemeinschaft wenigstens bestens unterhalten sollten – wobei wiederum Kaiser, Senatoren, Konsuln, Prätoren und Ädilen als Herr der Veranstaltung ihre eigene Macht inszenierten. Im Fall der Gladiatoren wurde diese Macht an das Volk delegiert, wenn dieses über Spitz und Knopf entschied.
Btw. und das ambivalente Verhältnis von Gefängnis und Psychiatrie spielt bei Foucault ebenfalls eine extrem empirisch begründete Rolle.
ich darf mich vielleicht zum jetzigen Stand Stand der Diskussion etwas weniger clownesk einschalten. Denn, wieder, scheinen die Positionen recht unvermittelt nebeneinander zu stehen. Ich habe also vor, lediglich zu konstatieren. Ich möchte vorausschicken, dass anglophone Texte bei mir immer einen Heimvorteil (Kredit) haben, hängt zusammen mit weiteren Verwandschafts- und Freundeskreisverbindungen von Oxford bis Arizona. Der Vorwurf der Zirkularität scheint besonders beliebt zu sein; seitdem „verlässliche“ Adorno-Übersetzungen vorliegen (seit den 90ern), haben wir hier ebenfalls eine eifrige Rezeption; dann kommt aber der Vorwurf der Zirkularität … aber das nur neben bei.
bersarin erklärt den Begriff der untergründigen Wirkmechanismen anhand zweier Termini. Zuerst „Prämissen“, zweitens „Praradigma“. Hierzu ist zu bemerken, dass kausale Regularitäten logisch entlang einer einfachen Wenn-dann-Beziehung modelliert werden. (Es ist schon etwas komplizierter, schließlich will man ja herausfinden, welche Bedingungen in welchen Verbindungen (unter ihnen) notwendig oder auch hinreichend sind.)
Die Prämissen machen also keine Schwierigkeiten; exakt so, mit Prämissen, bastelt man sich, rein logisch betrachtet, eine kleine Kausaltheorie. Oder siehe auch Hempels Theorie der Erklärung.
„Paradigma“. Mich würde nicht wundern, wenn unterschiedlichen Paradigmen auch unterschiedliche Prämissen zugrunde liegen. Und wie sollten überhaupt Paradigmen aufgezeigt werden, wenn sich nie jemand auf irgendeine Praxis oder Gegenständliches bezieht? Wollen wir Foucauldt tatsächlich zugute halten, dass er sich empirisch befleißigte? Wohl kaum. Ich sehe keinen Grund, warum hier nicht mit dem Begriff des Paradigmas operiert werden sollte. Ganz unbenommen hätten wir ohne Probleme ne nette, kleine Kausaltheorie, sicherlich leicht machbar.
Die Frage war aber „…weshalb es von den Folterstätten des Mittelalters zu den Gefängnissen und den modernen Strafpraktiken kam?“ (Hervorhb. von mir) Und danach, welche Mechanismen bei dieser Entwicklung entscheidend eine Rolle gespielt haben könnten.
Will sagen: Wollte Foucauldt tatsächlich mehr als eine „Mikrophysik der Macht“? Gab es für ihn wirklich Wirkmechanismen, die durchgehend wirkten, oder die jeweils die Übergänge von einer Phase zur nächsten, von einem „Paradigma“ zum nächsten motiverten?
Fündig, so vermute ich, würden wir wahrscheinlich bei seiner „machttheoretischen Deutung“ der Strafsysteme werden.
Der Vorwurf Zirkularität müsste sich also auf jenen Fouauldt, der die Dinge in die Gesamtschau nimmt, der „globale“ Mechanismen auszumachen meint, beziehen. Und dies. so meine Vermutung, ist der Foucauldt, der machttheoretisch arbeitet.
Hier müsste, wenn, der Fehler liegen, wenn er ihn systematisch oder gehäuft oder mit schwerwiegenden sonstigen Folgerungen begeht. Inwiefern er als Historiker handwerkliche Fehler begeht, vermag ich nicht zu beurteilen. Offenbar weniger. Wenn eine Kausaltheorie eine gewisse Plausibilität nahelegt, wird sie von mir auch abgenickt, sozusagen. Scheint weitgehend der Fall zu sein.
Bei gleich- oder ähnlichbleibenden „Wirkungen“ dürfen wir auch ähnliche kausale Regularitäten vermuten. Es nicht zu tun, wäre etwas nachlässig. Je „globaler“, weitgreifender, allgemeiner eine Theorie jedoch ist, desto genauer müssen wir natürlich im Einzelnen nachprüfen, ob sie aufrechterhalten werden kann. Daher sehe ich kein wirkungsvolles Argument darin, zu sagen, dass wir immer irgendwelche Kausalitäten, Regularitäten auffinden werden (solange die Naturgesetze überall gleich gelten). Abgesehen davon, dass der Faktor der Willkür nie ganz außer Acht gelassen werden darf, ist eben die Frage, wieweit es mit Generalisierungen getrieben werden darf.
Allerdings: „Jon Elster has shown that Foucault slips into that ‚obsessional‘ search for meaning‘ which often underpins pseudoexplanations couched in terms of consequences.“ – Das scheint noch etwas weiter zu gehen als El_Mochos Kritik. Richtig begründet und ausgewiesen sehe ich die Kritik hier an Foucauldt noch nicht. Allerdings scheinen die Gegenargumente den Kern der Kritik, um die es vernünftigerweise nur gehen kann, ihrerseits ebenso zu verfehlen.
Wie gesagt: Wenn mir jemand zeigen kann, daß Martern und Strafen kein untergründiges System, kein Subtext, keine Regeln zugrunde liegen, so will ich das gerne glauben. Bisher sehe ich es leider nicht, und aus den Darlegungen von Foucault wie auch denen ches scheint es mir als Annahme gerechtfertigt, daß hinter diesen von einem Souverän qua Gesetzgebung verhängten Strafen/Martern ein System bzw. ein Komplex an Bezügen steckt, der qua Ausführung mit Breitenwirkung kommuniziert werden soll. Grob kann man wohl sagen, daß sich die Strafe vom Körper in die Seele des Gefangenen legt. Von der Marter des Körpers zu dem, was wir „humanen“ Strafvollzug nennen: der Einsperrung und Besserung des Gefangenen.
Foucault spricht in „Überwachen und Strafen“ von genau diesem Paradigmenwechsel – ohne allerdings das Wort Paradigma zu gebrauchen. Es liegen diesen Paradigmen zwei unterschiedlichen Weisen zugrunde, in denen der Körper behandelt wird. Diese Strafmechanismen stehen in Kontext mit gesellschaftlichen Prozessen. Klingt trivial, ist es aber nicht. So hat etwa der Panoptismus der Gefängnisse auch Auswirkungen auf die Gesellschaft insgesamt, wie auch umgekehrt der Panoptismus Ausfluß gesellschaftlichen Wandels ist: Ein Paradigma der Kontrolle, des Zählens, der Statistiken, der Bevölkerungskontrolle, der Biopolitik, der guten Polizey als Form des guten Regierens. Ich habe leider im Moment nicht die Zeit, hier ein Foucault-Referat zu halten und dezidiert die einzelnen Schritte in Foucaults Denken nachzuweisen. Ich verweise hier einfach mal auf die einschlägigen Einführungen.
Problematisch bei Foucault scheint mir für ÜuS ein frei im Raum schwebender Machtbegriff zu sein, der nicht mehr an politische und ökonomische Komplexe gebunden ist. Stichwort: Verabsolutierung der Macht unter Ausklammerung ökonomischer Prozesse. Andererseits geht es F. in ÜuS eben erst einmal konkret um die Strafsysteme. Insofern müßte man Fs Überlegungen zur Macht anhand anderer Texte prüfen.
Hier auch nochmal auf S. 37 ff bei F. verwiesen:
Klicke, um auf ueberwachen_und_strafen_i.pdf zuzugreifen
Und noch ein Aspekt: Selbst wenn Fs Argumentation zirkulär wäre, ist damit nicht seine Theorie und das, was er in ÜuS beschreibt, insgesamt hinfällig. Schließlich liefert uns F. keinen Syllogismus, sondern ein komplex gebautes philosophisches Werk. Die Intuitionen, Sätze, Einsichten, Überlegen bleiben selbst bei logischen Inkonsistenzen trotzdem diskussionswürdig. So ganz basal hermeneutisch gedacht.
Ganz gut wäre es, erst einmal überhaupt zu verstehen, was Foucault uns eigentlich sagen will. Und zwar unabhängig von pseudologischen Widerlegungen.Denn schließlich erschöpft sich Philosophie nicht in Logistik, sondern sie enthält ebenso und wenn nicht in stärkerer Ausprägung auch ein narratives Element. Und manchmal kann es sogar geschehen, daß richtige Überlegungen in falsche Argumente eingekleidet sind. Das aber entkräftet nicht die Überlegungen als solche.
„pseudologische Widerlegungen“ fände ich allerdings immer dann interessant, wenn es darum gehen sollte, eine Theorie oder einen Korpus an Theorien gewissermaßen „reduktionistisch“ oder heruntergekocht zu rekonstruieren. Wir hätten dann zwar vielleicht ein weniger komplex gebautes
System in Händen. Dafür aber möglicherweise eine Art Liste, die die unterschiedlichen Aspekte – jedenfalls in den Augen des jeweiligen Kritikers – „stimmig“ zur Darstellung bringt. Also vielleicht „die Verbindungen gekappt“, hätten wir immer noch einzelne Aspekte, die in sich schlüssig dargestellt werden könnten; und dann weitergesponnen, angewendet werden könnten, jew. auf begrenze Themenbereiche bezogen. Und es scheint, dass eben das vielleicht sogar von Historikern, wie Che einer ist, und der hier für eine gewisse dann auch durchgeführte Praxis unter Kollegen steht, so gehalten worden ist.
Nicht aus Prinzip bin ich gegen narrative Elemente. Im Gegenteil könnte man, das ist nur meine kleine private „Arbeitshypothese“, manchmal meinen, dass gerade von dort aus, wo eine Theorie auf einen Fluchtpunkt hinausläuft, oder sich radikalisiert – oder „zirkulär“ wird -, sie auf nicht uninteressante Weise unterschiedlichen erneuten „Durchführungen“ zugeführt werden könnte. (Den Begriff „Durchführung“ aus der Musiktheorie entlehnt: Ein Thema (eine Melodie) wird einer Durchführung zugeführt, wir haben dann Variationen, Kontrapunkte, Chanons, bis hin zur Fuge usw., bis es für diese Praxis „erschöpft“ ist – der gute Nörgler könnte das dann auch ohne Zweifel auch für die Sinfonie ausbuchstabieren). Beispielsweise schnurrt Adornos Ästhetik/Gesellschaftskritik zusammen in einer hoffnungslosen Schwärze. Von hier aus können wir jedoch immer noch und immer wieder Analysen diverser Phänomene vornehmen.
Obwohl ich befürchte, zu langweilen, hatte ich hier ein kleines Aha-Erlebnis bei meiner Beschäftigung mit einem monistischen Shivaismus. Moderne Analysen nehmen es als eine Selbstverständlichkeit hin, dass wir es mit Zirkularitäten zu tun bekommen. (Mein Problem mit der Hermeneutik ist immer gewesen, dass die Lektüre der betreffenden Texte immer schon bereits eine „hermeneutische Kompetenz“ vorauszusetzen schienen …)
Wir haben es also, so meine höchst unprofessionelle Idee, mit offenen Systemen innerhalb eines geschlossenen zu tun. Arten von Durchlauferhitzern. Wir gehen immer wieder „über ‚Los'“, ziehen immer wieder 400 Mark ein – um dann weitere und hoffentlich weitere Kreise zu ziehen. Ich denke an Bergson – dem dessen Zirkularität nachzuweisen eine Standardübung gewesen ist, als ich mich an Universitäten herumtrieb. Zirkularität nachzuweisen, muss also nicht unbedingt eine theoretische Praxis von vorneherein diskreditieren. Wir erleben immer wieder dasselbe Phänomen. Hegel, vielleicht auch Foucauldt, Bergson: Jedesmal erhalten wir einen kaum übersehbaren Reichtum an nicht uninteressanten Hypothesen, je öfter wir diesen Kreislauf durchlaufen.
Aber Schluss mit meinen mehr als anfängerhaften Versuchen in Hermeneutik.
Merquior gibt zwar vor, sich auf Foucauldt einzulassen versucht zu haben, sagt aber sogleich im Vorwort, dass er nicht überzeugt wurde. Sein Urteil ist jedoch, so muss es scheinen, bereits gefällt, wenn er etwa sagt: „We can see where Foucault is sailing to: the old Marxist ghost of a ‚power structure‘ feeding on a hypostatized set of class interests“. So unterstellt er ebenfalls eine Panik vor der Annahme eines „Subjekts“, die er als eine Anhänglichkeit zum „Strukturalismus“ diagnostiziert. Wir erhalten eben genau nicht eine Kritik eines „frei im Raum schwebenden Machtbegriffs“ (um bersarin zu zitieren) . Bei aller Sympathie für eine solche Argumentation, die Kritik steht bei ihm vorher fest – er sucht dann nur noch nach Belegen, die sie untermauern. Und damit begibt er sich der Möglichkeit, eine solche Theorie auf eine solche Weise zu rekonstruieren, damit wir überhaupt ermutigt werden, sie für einen Erkenntnisgewinn noch einmal versuchen würden, sie zu durchdenken. Was hilft mir eine zirkuläre Kritik angesichts einer möglicherweise zirkulären Theoriebildung? Genau meine Idee der „Rekonstruktion“ wird durchkreuzt.
Ich bleibe also unentschieden. Wir haben es mit einer mäßig interessanten Polemik zu tun.
Hier würde ich doch ganz gern Leute wie Bruno Latour ins Spiel bringen. Vielleicht sind wir doch schon etwas weiter, als zu jenen Zeiten längst langweilig gewordener Polemiken !?
Das sind komplexen Ausführungen zur Philosophie. Vieles sehe ich ähnlich. Philosophie, die emphatisch betrieben sein will, ist immer auch ein Versuch. Sie setzt sich dem Scheitern aus, wie es Adorno an einer Stelle der ND schreibt. Und dies meint er nicht abwertend, sondern als Kompliment.
Schlecht ist in der Tat, wenn die Kritik schon vorher feststeht. Insofern ist die immanente Lektüre wicchtig. Andererseits gehört zur Philosophie freilich ein gewisses Maß an Polemik mit dazu – man denke nur an Schopenhauers Äußerungen zu Hegel. Aber auch an Adornos Sätze zu Martin Heidegger. (Seit ich Thomas Melles „Die Welt im Rücken“ lese, bilde ich mir immer mehr ein, ein Wiedergänger von Martin Heidegger und Ernst Jünger zu sein. Nein, kleiner Scherz. Gegensätze zusammenzudenken, kann ebenfalls spannend sein)
Hermeneutik, tja tja, schwierige Nummer. Als basic nicht ganz falsch. Ist Philosophie, die etwas verstehen will, nicht immer auch ein Stück weit Hermeneutik. Selbst Derrida ist zu einem Teil Hermeneutiker.
Die hoffnungslose Schwärze würde ich bei Adorno nicht unbedingt konstatieren, wenngleich er sicherlich keinen „fröhlichen Positivismus“ betreibt wie Foucault. Richtig ist allerdings, daß man auch bei Adorno weiterdenken kann. Mein Motto bei den interessanten Philosophen: Mit Adorno, über Adorno hinaus.
Den Reichtum einer Philosophie schürfen: das ist es, worum es dem Denken gehen sollte. hinab geht der Weg, wie es bei Novalis im „Heinrich von Ofterdingen“ heißt, und in solche Textbergwerke müssen und wollen wir zum Schürfen immer wieder steigen. Aber ich will nicht verstiegen werden, sonst spreche ich bald noch wie Ernst Bloch. (Wobei man auch den mal wieder aus der Versenkung befreien müßte. Herrjemine nochmal.)
nur kurz: da war neulich im dlf ein Übersetzer aus dem Chinesischen, der ein-eindeutig einfach nur feststellte, dass Heidegger über weite Strecken bei Lao-Tse oder andren Autoren des Dao-ism buchstäblich abgeschrieben hätte. Klang aber wirklich überzeugend. Für mich die Konsequenz, von der ich schon immer wusste, go back to Husserl, E. Stein.
Klingt auch für mich nicht wirklich überzeugend. Ich glaube nicht, daß Heidegger diese asiatischen Denker gekannt hat oder irgendwie darauf rekurrierte, als sich in den 20er Jahren sein Denken zu formen begann. Heideggers Seins-Denken entspringt einer abendländischen Tradition, die in den eigenen Anfang zurücksteigt. (Wobei es freilich unbewußte kollektive Unterströme und Verbindungen im Denken geben mag.) Erst später ab den 40er, 50er Jahren lassen sich Bezüge zu Asien nachweisen. Allerdings eher zu Japan und zum Zen. Es gibt z.B. einen Texte von Heidegger, ein Gespräch zwischen einem Japaner und einem Fragenden in „Unterwegs zur Sprache“. Und auch in Gesprächen äußerte sich Heidegger zum Zen und zu asiatischer Philosophie. Zudem gibt es in der Japanischen Philosophie eine intensive Heidegger-Rezeption.
o.k., das ist eine Frage nach den Fakten. Müsste ich also noch einmal nachrecherchieren, auf welche Heidegger-Phase sich dieser – für mein Dafürhalten doch sehr kompetente – Übersetzer aus dem Chinesischem bezog. – Ja, und Schnädelbach, ehemals Nachbar von mir, berichtete im Seminar von asiatischen Heidegger-Büchern, die ihm vorgehalten wurden (wir würden sagen, mit denen ihm vor dem Kopf herumgefuchtelt wurden) – tscha, er musste dann jeweils, wie er berichtete, jedesmal konstatieren, dass er diese Schrift einfach nicht lesen könne …
(ich weiß aus meinen unterschiedlichsten Jobs, dass Schnädelbach weiter mit Asien in Kontakt stand/steht. Mehr kann ich aber nicht verraten.)
… jetzt bringst Du mich aber in Verlegenheit, weil ich die Daoismus-Verbindung, prioritär zur Zen-Verbindung Heideggers verteidigen will. Denn hierzu muss ich Osho heranziehen. Der Zen ist „nur die letzte – und schönste – Blüte des Buddhismus“, Osho zufolge. Dem Inder – Osho – fehlte es ihm aber an inspirierenden „Gurus“. Um die Geschichte des Zen zu erzählen, mit all den Anekdoten, hat sich Osho c.a. 20 – 30 Jahre seines Lebens gewidmet (ja, er schickte kohortenweise Leute los, damit sie ihm neuen Stoff zum Erzählen nachlieferten, Recherchen in Archiven, alles inbegriffen …).
kurz erzählt musste der Buddhismus erst durch die Schule des chinesischen Humors gehen, bevor er jene letzte schönste – auch historisch letzte – Form des Zen erreichte. Eines manchmal drastischen Humors. Und jenen Humor, auch wenn Du meine Bescheidenheit fragst, jenen drastischen, beinahe volkstümlichen Humor, findest Du nur in China.
ich finde es also überhaupt nicht überzeugend, dass Heidegger seine Lehre gespiegelt gesehen haben könnte in einer vollkommen aufs Nichts konzentrierten Lehre des Zen. Das ist nur eine europäische Projektion. Wenn ein Übersetzer hier Entsprechungen gesehen haben könnte, dann doch nur in konkreten Geschichten. Und die liefert uns nur der Daoismus. (Und wie wundervoll sind sie, einmal genau nachgelesen !!)