„Schwebʼ wie ein Schmetterling, stich wie eine Biene!“ Zum Tod Muhammad Alis

Jede Legende wird irgendwann gefällt. Vom Schnitter. Natürlich sind da seine Boxkämpfe und vor allem dieser Stil ist bemerkenswert, aber genauso, daß Muhammad Ali sich dem Vietnamkrieg verweigerte. Das ist nicht selbstverständlich, zumal dieser Mut zunächst seine Karriere ruinierte. Ihm wurde der Titel aberkannt. Ein Staat ist gnadenlos, wenn einer sich nicht fügt und als Menschenmaterial und Schlachtabfall in Staatsauftrag nicht zur Verfügung stehen mag, während Westmoreland im Sessel Champagner trinkt, Haliburton gute Geschäfte macht und Bush jr versucht, bei der Heimatverteidigung Texas unterzukommen. Was ihm dank guter Vernetzungen auch gelingt. Mit den Menschenrechten ist es immer so eine Sache. Wie war das noch mit dem Splitter und dem Balken im Auge? Für die USA sind Menschenrechte eine geopolitische Spielmarke, die bei Bedarf strategisch abgerufen wird, wie man ansonsten mit härterer Bandage die B-52-Bomber aufsteigen läßt.

„Nein, ich werde nicht 10.000 Meilen von zu Hause entfernt helfen, eine andere arme Nation zu ermorden und niederzubrennen, nur um die Vorherrschaft weißer Sklavenherren über die dunkleren Völker der Welt sichern zu helfen.“

Den Satz allerdings „Kein Vietcong nannte mich jemals Nigger“ stammte nicht von ihm.

Auch Intellektuelle (und Künstler oft sowieso, man denke an Hemingway oder den wunderbaren Wolf Wondratschek) sind vom Boxsport fasziniert. Jan Philipp Reemtsma schrieb seinerzeit einen Essay zu Ali: „Mehr als ein Champion: Über den Stil des Boxers Muhammad Ali“. Genau das zeigt sich beim Boxen: man muß auf engem Raum agieren und ein Zuschauer kann auf einen Punkt fixiert viel beobachten. Strategie, Taktik, Körper, Tricks, Stärke. Es ist ja nicht bloßes Zuhauen und Herumhämmern mit Fäusten. Boxen ist in diesem Sinne ein lyrischer Sport, weil er verdichtet sich abspielt, in einem abgezirkelten, kleinen Bereich, während Fußball oder Tennis auf endlos gedehnten Plätzen ausgetragen werden. Ich selbst muß gestehen, daß ich Frauenboxen mir gerne ansehe.

Mit Muhammad Ali verband ich, wie die Mondlandung und die frühe RAF, meine Kindheit: die ausgehenden 60er und die 70er Jahre, als ich im „Weltspiegel“ die Bilder aus Vietnam sah. Verbotenerweise durch die Wohnzimmertür linsend, die landenden Hubschrauber, Rotoren und Bordwaffen, Helme, schwarze oder weiße Gesichter, verschwitzt, schmutzig, und einen brennenden Dschungel beobachtete, Menschen mit Gewehren und in Uniformen. Ich konnte meine Augen nicht abwenden, wurde elterlicherseits entdeckt und an meinen mir zugedachten Platz verfrachtet: Das Bett mit der Decke, darauf hundertfach in Spiegelung und Reproduktion eine bunte Entenfamilie spazierte. Ein paar Jahre später spielte ich mit den Airfix-Soldaten und besaß Rocco- und Roskopf-Panzer.

Genauso aber gab es da, wenn der Vater Sport schaute, Berichte und Bilder zu den Box-Kämpfen, und manchmal spielte Vater mit mir auf zärtliche Weise Boxen, machte dazu den Ansager, mimte den Boxer oder summte zu seinen tänzelnden Fausten spannungsgeladene Revue-Musik. Das geschah im Wohnzimmer. Aber Vaters Sohn hatte im Gesamt für Sport nicht viel übrig. Die Bilder aber in der Glotze von diesem großen schwarzen Mann vergesse ich nicht. Tänzelnd, biegsam, klug, ästhetisch. Körper, reiner Körper und eine Geist, der taktisch denkt. Der Mythos, der sich im Erzählen um Ali verbreitete: im Kindergarten, in der Schule, zu Hause. Seine große Klappe, wie es hieß. Seine unschlagbare Faust. „Wer nur davon träumt, mich zu schlagen, sollte aufwachen und sich dafür entschuldigen.“ (Muhammad Ali)

11 Gedanken zu „„Schwebʼ wie ein Schmetterling, stich wie eine Biene!“ Zum Tod Muhammad Alis

  1. Damit bei all der Lyrik des Boxens auch die Prosa der geschwollenen Nasen, der fehlenden Zähne, der aufgsprungenen Lippen, der gebrochenen Kiefer zur Sprache kommt, hier ein Lektüretipp:
    Leonard Gardner, Fat City (1969). Ein Boxer-Roman? Ja, aber nur für solche, die „Mobby Dick“ als einen Roman lesen, der vom Walfang handelt.

    Ansonsten ein schöner Nachruf mit persönlicher Note.

    Gruß, Uwe

  2. Berührend. So oder so ähnlich, habe ich Muhammad Ali in meiner Kindheit auch erlebt. Und ich sehe im Bücherregal meines Vaters „Ich bin der Größte“ vor Augen und den Kommentar meiner Mutter „Der Ali ist größenwahnsinnig“.

  3. „Foremann ist der stärkste Mann der Welt, der macht Ali platt.“ so ein Mitschüler vor mir in der Schulbuswarteschlange. Ich wusste damals gar nicht, wovon der redet. Bis ich die balkendicken Überschriften am nächsten Tag las…

  4. @ Uwe: Daß Boxen ein harter und auch brutaler Sport ist, sollte nicht vergessen werden. – in der Tat. Danke auch für den Buchtip, das klingt interessant

    @ohneeinander: Ha! Genau wir bei uns, der Satz „Großmaul“. Das Buch hatte mein Vater jedoch nicht.

    @ Herwig: Die Jungssprüche „stärkster Mann der Welt“ kenne ich auch noch. Ja, es hängt an all diesen Menschen aus Sport und überhaupt mit der Prominenz aus den 70ern – egal ob A, B, oder Z, von Rudi Carell bis Uwe Seeler – manche Erinnerung aus der Kindheit und Schulhofszenen.

  5. Ich kam in der vierten Klasse in eine neue Grundschule. Dort sprachen sie über Rumble in the Jungle und dass sie das nachts gucken dürften. Andere Stadtteile, andere Sitten – mich schüchterte das ein. Aber auf der alten Grundschule auch schon außen vor gewesen, was Raumschiff Enterprise anging. Weltspiegel hab ich damals nicht geguckt, Vietnam mir nicht bewusst, nur die Golanhöhen sich mir ins Gedächtnis gebrannt – und dann die Passfotos in den Postfilialen. Bettwäsche weiß ich nicht mehr.

  6. Ich habe als Kind altersbedingt auch nur am Rande von Muhammad Ali gehört und leider gar nichts über seine beeindruckende politische Haltung, aber von seiner Namensumbennenung hatte ich damals durch meine „Mopsy Mops“ Kinderschallplatte erfahren:

    (Minute 7:50 – 8.10)

  7. @ holio: Raumschiff Enterprise durfte ich sehen. Sendungen, die nach 20 Uhr kamen, aber nicht. Da ging es ins Bett, alles ganz automatisch. Keine Arien, keine strapaziösen Kinder oder übermotivierte Erwachsene.

    @ Partyschreck: Für Möpse habe ich viel übrig.

  8. Um es klarzustellen. Mich hat dieser Mann fasziniert. Aber Ali war eben auch ein aufrührerischer Rassist (was er später, zumindest teilweise, bereut hat). Während der 10 Jahre als Gesicht der „Nation of Islam“ hat er Dinge losgelassen, die heute für jeden weißen aber wohl auch schwarzen Sportler das Ende seiner Karriere bedeuten würden. Zumal neben dem offenen Rassismus noch Antisemitismus, Sexismus und Homophobie dazukommen.

    1971 sagte er in einem BBC-Interview: „Every intelligent person wants his child to look like him. I’m sad because I don’t want to blot out my race and lose my beautiful identity? Chinese love Chinese – they love their little slanted-eyed, pretty brown-skinned babies. Pakistanis love their culture. Jewish people love their culture. Lotta Catholics don’t wanna marry nothing but Catholics, they want their religion to stay the same. Who wanna spot up yourself and kill your race? You a hater of your people if you don’t want to stay who you are.“

    „All Jews and gentiles are devils“, sagte er zum Thema Juden. „Blacks are no devils. Everything black people doing wrong comes from the white people: Drinking, smoking, prostitution, homosexuality, stealing, gambling. It all comes from the white people.“ Er setzte sich für eine komplette Rassentrennung ein. „Integration is wrong“, so sagte er, „we don’t want to live with the white man. I’m sure no intelligent white person in his or her right mind wants black men and women marrying their white sons and daughters and in return introducing their grandchildren to half brown, kinky haired people. I want to be with my own. No women on this whole earth can please me and cook for me and socialise and talk to me like an American black woman. You can’t take no Chinese man and give him no Puerto Rican woman and talking like they’re in love and emotionally in love and physically.“

    Ali erklärte auch, warum er alle weißen Menschen für Teufel hielt. „I’ve heard Elijah Muhammad say that many white people mean right and in their heart want to do right. But if 10,000 rattle snakes were coming down the aisle right there and I had a door I could shut, and one thousands of those snakes meant right, they didn’t want to bite me and I knew they were good. Should I let those rattle snakes come down, hoping those one thousand get together and form a shield? Or should I close the door and stay safe?“

    „White people“, so behauptete er, „kill our men…and rape our women daily.“ Schwarze, die Sex mit Weißen hatten, sollten seiner Meinung nach umgebracht werden. Im Playboy sagte er: „A black man should be killed if he’s messing with a white woman. And white men have always done that (…) And not just white men – black men, too. We will kill you, and the brothers who don’t kill you will get their behinds whipped and probably get killed themselves if they let it happen and don’t do nothin’ about it. Tell it to the president – he ain’t gonna to do nothin‘ about it. Tell it to the FBI: we’ll kill anybody who tries to mess around with our women.“ Und falls eine schwarze Frau mit einem weißen Mann Sex hatte? „Then she dies. Kill her too.“

    Warum diese Vergötterung auch und insbesondere von linker Seite in den Nachrufen? Und dies während man im gleichen Atemzug AfD und Trump verteufelt?

  9. Wie immer muß man zwischen dem Sportler und dem Menschen trennen. Sein Protest gegen ein weißes, rassistisches Amerika und einen völlig unsinnigen Krieg in Vietnam, vor dem sich Bush jr dank politischer Protektion gut zu drücken verstand, ist zu teilen. So etwas wie „Nation of Islam“ klingt auf den ersten Blick unerfreulich, ich kenne aber deren Inhalte zu wenig. Vermutlich muß man diese Organisation sowie in anderer Hinsicht die Black Panther als Reaktion auf eine zutiefst rassistische Gesellschaft nehmen, die das Wort Demokratie eher im Arsenal der Waffen verwendet, um unter dem Deckmantel von Moral und guter Sache, an anderen Orten der Welt zu intervenieren und die eigenen Ordnung durchzusetzen. (Da haben wir wieder den Nietzsche der „Genealogie der Moral“) Solche wie Ali, die in den USA Menschen dritter Klasse waren, verweigerten sich diesem Betrug. Manchmal mit Worten, die völlig unangemessen sind. Und leider schließen sich dumme Ansichten und dennoch ein guter Sportler zu sein, nicht aus. Franz Beckenbauer wäre da im deutschen Raum ein gutes Beispiel.

    Bei Ali und Afd/Trump verwechselt Du die Ebenen. Ali war Sportler, kein Politiker, während es sich bei AfD und Trump um eine Partei bzw. einen Parteikandidaten handelt. Ali stellte sich nie zur Wahl. Täte er dies, wäre er bei jenen Linken genau über jene Zitate gestolpert, die seiner Karriere ein jähes Ende bereitet hätte. Es fänden ihn dann vermutlich plötzlich die Rechten ganz wunderbar.

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