Beschlagnahme des Fleisches: dieses eine Mal. Theorie des Abschieds. Karfreitag

OLYMPUS DIGITAL CAMERAFassen, tief ins Blut greifen. Ortswechsel. Leib und Instrument. Dieses eine Mal, dieses letzte Mal saßen dreizehn und später dann, nach Aufbruch des einen, dem das Brot gereicht wurde, zwölf Personen versammelt. Es gibt für uns alle ein letztes Mal. Ein Buch von Karl Heinz Bohrer, das Ende der 90er Jahre erschien, heißt „Der Abschied. Theorie der Trauer“ Bohrer ist, was seine politischen Statements zur sogenannten Lage der Nation betrifft, fragwürdig und reaktionär in einem. Dennoch enthalten seine Bücher interessante Aspekte zur Literatur- und Kunsttheorie. So setzt Bohrer z.B. den Abschied als eine der entscheidenden Reflexionsfigur der Moderne. Dabei gibt es von der Theologie und der griechischen Tragödie herkommend die Figur des objektiven Abschiednehmenmüssens und die subjektive Figur des Abschieds. Für dieses gilt: „Was sich auch im Falle der seelischen Katastrophe nicht übersehen läßt: Abschiednehmen heißt nicht, die Zeit als verlorene Zeit zu verwerfen.“ Aber als Zeit ist sie doch vergangen und lediglich in die Erinnerung gebannt. Eine Aufhebung der Zeit findet nicht statt. Erlebtes hebt sich einzig im Gedächtnis auf und kann in literarischen Bildern bewahrt werden. Prousts Recherche zeugt souverän davon und liefert auf vielen tausend Seiten das literarische Bild von jener Zeit, die bleibt und die doch vergeht, die wiederauftaucht bei einer Tasse Tee und einem Stück feinen Gebäcks.
 
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Im Rahmen des Subjekts bzw. des Subjektiven, ist der Abschied meist unwiderruflich – sei er nun heilsam sowie reinigend und gut oder schmerzlich betrieben. Die Literatur zeigt das in ihren Texten vielfach. Im Fall des subjektiven Abschieds verläuft die Zeit linear. Das Wiedersehen, wie etwa des jungen Werthers mit Charlotte oder das von Hyperion und Diotima liegt nicht mehr in dieser Welt, sondern andernorts Werther setzt auf die unmögliche Kontinuität von Diesseits und Jenseits, die aber weder in seiner Macht noch in seiner Möglichkeit steht, einzig der Metaphysik oder genauer dem, der die Heilsgeschichtliche bringt, ist sie möglich: „Wir werden sein! Wir werden uns wiedersehen!“ Doch diese Hoffnung Werthers dürfte mehr als trügerisch sein, denn das als Möglichkeitssinn gesetzte transzendierende Bewußtsein bleibt diesseitig gerichtet.

Es gibt aber neben der literarischen Form, in der Abschied als jene moderne Reflexionsfigur gesetzt ist, in der heilsgeschichtlichen Perspektive noch eine andere Weise, wie Zeit sich strukturiert. Bohrer macht das an zwei unterschiedlichen Formen des Abschiedes fest, die jedoch von ihrer Struktur dennoch zum selben Zeit-Typus gehören. Einmal dem Abschied des Hektors von Andromache in der Illias bzw. der Didos von Aeneis sowie der Abschied Jesu von seinen Jüngern, dieser liegt zwar in einem anderen Zeithorizont, zentral ist aber in allen drei Fällen die Figur der Rettung bzw. eine heilsgeschichtliche Perspektive. Insofern ist dieser Abschied kein endgültiger, „sondern der der Beginn einer Wiederkehr. Jesus versichert die zeitliche Perspektive zweimal nachdrücklich (…) bevor der die berühmten Worte ausspricht: ‚Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich ncht mehr sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen‘ (Johannes 16,16). Der Abschied ist hier die Voraussetzung einer Rückkehr. Die heilsgeschichtliche Zeit kennt also gar keinen Abschied im Sinne eines endgültigen Bruchs zwischen zwei Zeitphasen: das Präsens wird nie zur endgültigen Vergangenheit, sondern ihm entspringt immer die Zukunft.“

Wer diese eigentümliche Zeitstruktur anhand von Gemälden illustriert sehen möchte, der betrachte sich, sofern er einmal nach Colmar reisen sollte, Matthias Grünewalds Isenheimer Altar und auch die Kreuzigungsszene von Lucas Cranach dem Älteren. Ich schrieb hierüber verschiedentlich an diesen Stellen.
 
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