Treffende Sätze (3) – Kultur als Industriestandort, samt Tonspur zum Sonntag

 
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„Die ästhetische Barbarei heute vollendet, was den geistigen Gebilden droht, seitdem man sie als Kultur zusammengebracht und neutralisiert hat. Von Kultur zu reden war immer schon wider die Kultur. Der Generalnenner Kultur enthält virtuell bereits die Erfassung, Katalogisierung, Klassifizierung, welche die Kultur ins Reich der Administration hineinnimmt. Erst die industrialisierte, die konsequente Subsumtion, ist diesem Begriff von Kultur ganz angemessen. Indem sie alle Zweige der geistigen Produktion in gleicher Weise dem einen Zweck unterstellt, die Sinne der Menschen vom Ausgang aus der Fabrik am Abend bis zur Ankunft bei der Stechuhr am nächsten Morgen mit den Siegeln jenes Arbeitsganges zu besetzen, den sie den Tag über selbst unterhalten müssen, erfüllt sie höhnisch den Begriff der einheitlichen Kultur, den die Persönlichkeitsphilosophen der Vermassung entgegenhielten.“
(Th. W. Adorno/M. Horkheimer, Dialektik der Aufklärung)

Für die meisten Menschen sind solche Sätze mittlerweile nicht einmal mehr verständlich oder höchstens noch Ausdruck vermeintlich elitären Bewußtseins: Das Sinnieren des Snobs, der sich besser dünkt als die Masse. Denn Kultur für alle sei schließlich etwas Ehrbares, und ein Besuch im Museum stifte einen anderen Blick, bringe eine andere Zeit: die des Kontemplativen, wenn es gut läuft und niemand beständig die Bilder zuquatscht oder es ereignete sich die Zeit des gepflegten Austausches. Ambivalenzen der Kulturindustrie: Kunst, die sich nicht mehr an den Stand bindet und von einem erlesenen Kreis nur wahrgenommen werden kann, allgemeine Partizipation an Kunst ist in der Tat von Bedeutung für bestimmte Formen ästhetischer Erfahrung; es kommt allerdings darauf an, unter welchen Bedingungen und zu welchem Zweck das Kunstprogramm gefahren wird. Und um genau diese Analyse geht es Adorno in seinem Kapitel über die Kulturindustrie: die Funktionalisierung von Kunst unter die Herrschaft der Zwecke, Kunst als ein Faktor, der der Reproduktion der Arbeitskraft dient, Kunst als kultureller Mehrwert. Das Motto der kulturindustriellen Museumslandschaften lautet: für jede/n ist gesorgt und es ist etwas dabei und dabeisein ist alles. Der Unterschied zwischen Arbeit und Freizeit ist nur noch ein marginaler. Im Idealfall geht man nach der Arbeit als Firmenevent irgendeiner Agentur, Software- oder Internetbude in eine am besten interaktive Kunstschau. Kreativität und Selbstoptimierung stehen in einem unheilvollen Verhältnis.
 
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Kunst dient dabei zugleich der Distinktion, sie macht „Die feinen Unterschiede“ aus. Worüber die einen oberflächlich und im Gefühlsmodus salbadern, darüber können die anderen in der Tretmühlenhierarchie noch lange nicht sprechen. „Kunst? Was ist das? Du kunst mich mal am Arsch lecken.“ Wobei Pierre Bourdieu freilich den Fehler macht, die Logik des Kunstwerkes derart allgemein als bloßes Merkmal der Distinktion zu setzen, daß damit sowohl der Geschmacksbegriff als auch der des Kunstwerkes in die Eindimensionalität geraten, weil rein von den Rezeptionsweisen her gedacht wird. Die Struktur eines Werkes, das Gemachtsein des Kunstwerkes im Sinne des Poiesis-Begriffes gerät dabei aus dem Blick.

Denn in einem emanzipativ verstanden Sinne, falls Kunst noch so etwas wie einen Überschuß in der ästhetischen Erfahrung noch freizusetzen vermag, geht es ja gerade um den Eigensinn und die immanente Logik des ästhetischen Gebildes. Wer ungestört und mit dem sich vertiefenden Blick ein Kunstwerk betrachten will, der gehe in die beständigen Sammlungen der Kunsthallen. Die Galerien der Alten Meister in den Museen – solange es sich nicht um Dresden, Berlin oder München handelt – sind meist gähnend leer – insbesondere dann, wenn in einem dieser Museen wieder einmal eine Großschau des Künstlers x oder y läuft. Doch zugleich ist ein Kunstwerk der Todfeind des anderen. Adorno erläutert diese Konkurrenz der Kunstwerke in seinem Aphorismus „De De gustibus est disputandum“:

„Auch wer von der Unvergleichbarkeit der Kunstwerke sich überzeugt hält, wird stets wieder in Debatten sich verwickelt finden, in denen Kunstwerke, und gerade solche des obersten und darum unvergleichlichen Ranges, miteinander verglichen werden und gegeneinander gewertet. Der Einwand, bei solchen Erwägungen, die eigentümlich zwangshaft zustandekommen, handle es sich um Krämerinstinkte, ums Messen mit der Elle, hat meist nur den Sinn, daß solide Bürger, denen die Kunst nie irrational genug sein kann, von den Werken die Besinnung und den Anspruch der Wahrheit fernhalten wollen. Der Zwang zu jenen Überlegungen ist aber in den Kunstwerken selber gelegen. So viel ist wahr, vergleichen lassen sie sich nicht. Aber sie wollen einander vernichten. Nicht umsonst haben die Alten das Pantheon des Vereinbaren den Göttern oder Ideen vorbehalten, die Kunstwerke aber zum Agon genötigt, eines Todfeind dem andern. Die Vorstellung eines ‚Pantheons der Klassizität‘, wie noch Kierkegaard sie hegte, ist eine Fiktion der neutralisierten Bildung.“

 
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We like: Common People (am besten allerdings in der Version von William Shatner, zusammen mit Joe Jackson)

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