„Ich mußte also den Glauben aufheben, um zum Wissen Platz zu bekommen.“
(Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft
in einer geringfügigen Abwandlung durch Bersarin)
Bereits der Titel dieses Beitrags erzeugt einen so fragwürdigen wie hilflosen Anklang. Er riecht nach Didaktik, und in der oktroyierten Frage scheint die Antwort bereits mit- und vorausgesetzt zu sein: „Ja, wozu eigentlich?“‘ Zudem steckt in dieser Art des Fragens die latente oder auch manifeste Sicht, in den Kategorien des Nützlichen bestehen und sich dabei ausweisen zu müssen. „Nur wer arbeitet, soll auch essen“, liegt solchem Denken nicht fern. Ein Slogan, der von Stalin bis zu den Hartz IV-Machern reicht und dort reichliche Kraft durch reichliche Freude auslöst.
Da diese Überschrift aber zugleich einem Sammelband zur Ästhetik entliehen ist, der 2001 bei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft erschien, bin ich zumindest teilweise entlastet. Und wie wir im Verlaufe der Texte sehen werden, geht es bei der Kunst zu einem guten Teil ja genauso um diese Entlastungsleistungen.
Ganz gleich, welchen Titel ich wählte, unter dem die Angelegenheit läuft: Das Problem der Kunst: ihrer Vernutzung, ihre Anpassung an das monetäre System, an die Logik der Verwertung bleiben trotzdem bestehen. Sicherlich, die Klagen darüber sind nicht neu und reichen bis ins konservative Lager, wenn sie ihm nicht sogar entstammen, aber allgegenwärtig gerät der Begriff der Kunst und nicht nur der, sondern die Kunst selbst massiv in die Kritik und kommt unter Beschuß. Die umfassenden Stichworte dazu seien: Spaßgesellschaft und Kultur des Spektakels.
Die sogenannte Massenkultur bzw. später dann die Pop-Kultur öffnete zwar seit den 30er/40er Jahren die Kunst für Menschen, die bisher nicht mit ihr in Berührung kamen, zog jedoch, wie von Adorno in der „Dialektik der Aufklärung“ im Kapitel zur Kulturindustrie und in zahlreichen anderen Texten beschrieben, das Phänomen nach sich, daß die Werk weichgespült wurden und ihr Gemachtsein wesentlich auf die Rezipienten ausgelegt war. Die massenhafte Verbreitung erkaufte sich um den Preis der ästhetischen Form.
„Die Kulturindustrie hat sich entwickelt mit der Vorherrschaft des Effekts, der handgreiflichen Leistung, der technischen Details übers Werk, das einmal die Idee trug und mit dieser liquidiert wurde. Indem das Detail sich emanzipierte, war es aufsässig geworden und hatte sich, von der Romantik bis zum Expressionismus, als ungebändigter Ausdruck, als Träger des Einspruchs gegen die Organisation aufgeworfen. Die harmonische Einzelwirkung hatte in der Musik das Bewußtsein des Formganzen, die partikulare Farbe in der Malerei die Bildkomposition, die psychologische Eindringlichkeit im Roman die Architektur verwischt. Dem macht die Kulturindustrie durch Totalität ein Ende. Während sie nichts mehr kennt als die Effekte, bricht sie deren Unbotmäßigkeit und unterwirft sie der Formel, die das Werk ersetzt. Ganzes und Teile schlägt sie gleichermaßen. Das Ganze tritt unerbittlich und beziehungslos den Details gegenüber, etwa als die Karriere eines Erfolgreichen, der alles als Illustration und Beweisstück dienen soll, während sie doch selbst nichts anderes als die Summe jener idiotischen Ereignisse ist. Die sogenannte übergreifende Idee ist eine Registraturmappe und stiftet Ordnung, nicht Zusammenhang. Gegensatzlos und unverbunden tragen Ganzes und Einzelheit die gleichen Züge. Ihre vorweg garantierte Harmonie verhöhnt die errungene des großen bürgerlichen Kunstwerks. In Deutschland lag über den heitersten Filmen der Demokratie schon die Kirchhofsruhe der Diktatur.“
(Th. W. Adorno, Dialektik der Aufklärung, S. 146-147, in: GS 3)
Zum Ende des letzten Jahrhunderts erreichte diese Umpolung der Kunst einen neuen qualitativen Sprung: Ein Madonna- oder Rammstein-Muskvideo sind, was die Bildästhetik betrifft, manchem herkömmlichen Film um einiges voraus. Die schnellen Schnitte, das Rasante eines Musikvideos hat Eingang in den Mainstream-Film gefunden und dort Änderungen im Konzept bewirkt. Wobei diese Musikvideos, was die Montage und die Szene betrifft, ihre Vorbilder im russischen Film oder in den Avantgarden der Weimarer Republik fanden, und auch Jean-Luc Godard gab einen der (unfreiwilligen) Ahnherren ab. Und insofern handelt es sich nur bedingt um neue Formen. Doch das Thema des Pop ist noch einmal ein zu großes Feld, um es in einem Nebensatz abzuhandeln. Bei aller Kritik daran, müßte man gleichfalls, über die Möglichkeit des Ausdrucks, auch sein emanzipatorisches Potential deutlich machen, das – residual zumindest – in diesem Phänomen eingekapselt liegt. Ich will mich deshalb da gar nicht nur negativ äußern, wenngleich mir eine größere Euphorie und die Hoffnung doch fernliegt.
Daß insbesondere die bildende Kunst auf den Hund gekommen ist und zum Anlageobjekt für Hedge-Fond-Manager wurde, ist mittlerweile ein Gemeinplatz, der es bis in die bürgerlichen Feuilletons geschafft hat. Und auch das (mißlungene, weil feuilletonistisch plaudernde) Buch des Zeit-Journalisten Hanno Rauterberg „Und das ist Kunst?! Eine Qualitätsprüfung“ operiert zum Auftakt mit einer Sichtung diese Phänomens und verschont weder die Rezipienten, noch die Galeristen, die Museen oder die Auktionshäuser sowie den ganzen daran hängenden Kulturbetrieb vor der Kritik. Doch wie immer und wie so häufig – trotz des richtigen Reflexes, der darin aufscheint: es bleibt bei der bloßen und damit der Sache äußerlichen Kulturkritik; zur Gesellschaftskritik langt es nicht mehr hin. Die Macht des Marktes und wie diese Macht die Kunst veränderte, wird als fait accompli genommen. Und momentan, so muß man illusionslos bekennen, bleibt das auch so. Im Falschen scheint sogar ein Moment von Wahrheit auf.
Das Falsche an diesem Verhältnis wird jedoch nicht vornehmlich als das Falsche des Systems gesehen, welches zu negieren ist, sondern bloß unter dem Aspekt, daß dieses Beschmutzen und Besudeln der Kunst mit dem Geld, das Wesen der wahren Kunst verunreinigend berührt und auf ihr einige unangenehme Spritzer hinterläßt. Insofern müsse nicht der Markt verändert, sondern lediglich die Stellung des Systems Kunst um ein Winziges verrückt, die Stellschrauben nur ein wenig anders justiert werden, so die Freunde der Kunst, um den ästhetischen Eigenwert des Systems Kunst wieder freizuschalten. Kunst: Ein Refugium, das unvernutzt zu sein hat und damit als Beruhigungsraum für die Widrigkeiten und Anmutungen der Moderne fungiert, wie das schon Arnold Gehlen in rein affirmativer Absicht formulierte. Es soll ein Medium zur Komplexitätsreduzierung geschaffen werden. Und alle Ästhetiken, die darauf abzielen, daß Kunst Welt- und Selbstverhältnisse zur Darstellung bringt, sind – unbewußt oder bewußt – Komplizen dieses System der Beruhigung. Und insofern ist deshalb den ästhetischen Theorien von Arthur C. Danto über Albrecht Wellmer oder Martin Seel nur bedingt zu folgen. (Angebracht wäre aber, wenn man sich einmal wieder auf die Texte Peter Bürgers besinne, zu dem ich demnächst und hoffentlich etwas schreiben werde.)
Ein wenig ist dieser Text zur Kunst – unter anderem – auch eine langgezogene Antwort auf Momorulez, und es sind dies Debatten, die wir lange und häufig führten, die nicht ganz unwichtig sind – insbesondere was die Vernutzung der Kunst und ihren Stellenwert anbelangt. Aber auch auf einige kürzlich geführte Diskussionen in Weimar nimmt dieser Text explizit Bezug, vor allem im Hinblick auf die Frage der praktischen Bedeutung, der praktischen Relevanz von Kunst. Hintergrund und Spur bleibt in diesen Dingen – ausgesprochen oder unausgesprochen – die adornosche Autonomieästhetik, die freilich von einem staigerschen oder ingardschen Immanentismus sich abhebt, und zwar wesentlich durch das vermittelte Moment des Gesellschaftlichen, welches das Kunstwerk immer mitkonstituiert. Freilich nicht gedacht wie bei Brecht, sondern sozusagen paradigmatisch läuft da immer der unnachahmliche Samuel Beckett mit.
Zunächst jedoch zum Verhältnis von Kunst und Ästhetik (als Philosophie der Kunst gedacht).
Es ist dies eine triviale Einsicht: Keine Ästhetik ohne die Kunst, aber Kunst funktioniert durchaus und ganz gut auch ohne die Ästhetik. Andererseits kann eine gelungene, sozusagen ästhetische Ästhetik eine Form der Kunst sein, Ästhetik fällt qua eigener Praktik in den Bereich der Kunst. Über den Begriff des Essays in der Konzeption Adornos (siehe sein Text Der Essay als Form, in: Noten zur Literatur) läßt sich das sehr gut verdeutlichen. Und es muß nicht bei diesem Gegensatz von Ästhetik und Kunst bleiben, den Paul Valéry einmal beschrieb: der Ästhetiker, selbst von Gestalt äußerst häßlich, predigt in einem dunklen und kahlen Raum über die Farben. Mehr Licht, so möchte man doch wünschen und fordern. Ästhetik und Kunst sind Begriffe, die – so oder so – aneinander gebunden sind. Ein Kunstwerk ohne ästhetische Kritik und Kommentar (die ja zur Ästhetik gehören) bleibt zwar ein Kunstwerk, doch es fehlt etwas, und im Hinblick auf den Rezipienten bleibt es beim bloßen meinenden Geschmacksurteil des „Es gefällt mir.“ Was über die Beliebigkeit des Meinens hinausgehen soll, muß im Modus der ästhetischen Kritik formuliert sein. Ästhetik und Kunst sind deshalb – wenn man beide emphatisch verstehen will – aufeinander verwiesen. So heißt die Stelle in der Ästhetik Adornos dazu:
„Die Werke sprechen wie Feen in Märchen: du willst das Unbedingte, es soll dir werden, doch unkenntlich. Unverhüllt ist das Wahre der diskursiven Erkenntnis, aber dafür hat sie es nicht; die Erkenntnis, welche Kunst ist, hat es, aber als ein ihr Inkommensurables.“ (Th. W. Adorno: Ästhetische Theorie, S. 191)
Es ist das Verhältnis von Sinnlichkeit/Anschauung und Begriff, das sich darin gleichsam spiegelt und analog zu Kants „Kritik der reinen Vernunft“ als Motiv aufgegriffen wird: „Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind.“ (B 76, A 52) Wobei zwar die Sprachkunstwerke wesentlich über die Begriffe gehen, aber auch die Literatur folgt, und dies würde auch Derrida einbekennen, einem anderen Modus als die Philosophie oder andere Arten von Text. (Die Durchdringungen und das Problem Philosophie als Literatur lasse ich draußen.)
Momorulez, dem ich an dieser Stelle noch einmal für seine zahlreichen Einsprüche danke, schrieb in einem Kommentar hier im Blog: „‚Ästhetik‘ ist aber schon der weitere Begriff und ‚Kunst‘ immer an ein Instituionengefüge gekoppelt, das u.a. auf Distinktionskriterien aufbaut. Je länger ich mich damit beschäftige, desto entbehrlicher, ja hinderlicher finde den Kunstbegriff, weil er Barrieren in Wahrnehmung und ästhetischer Praxis aufbaut. Das ist ein wenig wie das Verhältnis von Glaube und Religion ;)“
Diese Form der Distinktion, dieses Moment des Ausschlusses, den Kunst produziert – mit Bourdieu gesprochen, um die feinen Unterschiede zu markieren – muß unbedingt in den Blick genommen werden. Die Frage ist natürlich, wie das geschieht, ohne dadurch den Begriff der Kunst auszuhebeln, dem Ikonoklasmus zu huldigen, das beste fortzuwerfen – aber nicht, um dabei zu gewinnen. (Allenfalls ließe er sich aufheben, in jenem dreifachen Wortsinne.) Kunst nur als reine Maschinerie der Ausschlußproduktion, als Ideologie zu sehen, greift zu kurz.
Der Begriff der Kunst befaßt vieles unter sich – sowohl rein Ästhetisches als auch Gesellschaftliches, mithin genauso Aspekte, welche die Ökonomie betreffen. Das macht es in bezug auf diesen Terminus einfach und schwierig zugleich. Und brächte einer den Mut auf und würfe den Kunstbegriff samt seinem Anhang und dem Ballast über Bord, so fände sich ein neuer Begriff, der das Phänomen der Kunst sprachlich darstellte. Und auch durch die Abschaffung der Kunst per ordre wäre nicht viel getan. Die Barrieren bleiben, die Vernissagen bleiben, das Gebrabbel bleibt, die Künstler bleiben. Daß es kein richtiges Leben im falschen gibt, erweist sich auch im System Kunst, insofern sind die konservativen Klagen, die des Hanno Rauterberg und des Feuilletons, welche die gesellschaftlichen Bedingungen, die Produktionsbedingungen nicht reflektieren, ein wenig hilflos und in ihrem Kern halbherzig.
Daß mit der Kunst etwas Umfassendes gemeint sein kann, welches bis in den Alltag hineinragt und Praxis, Theorie sowie Wahrnehmungsbezug (als Phänomen der Massen- und Pop-Kunst) durchdringt, mag man exemplarisch an der Reichstagsverhüllung des Künstlerpaares Christo und Jeanne-Claude aufzeigen, die 1995 in Berlin als Spektakel über die Bühne ging. Ex negativo präsentiert sich innerhalb dieses ästhetischen Aktes – gleichsam auf den Punkt gebracht – jedoch die Tücke des erweiterten Kunstbegriffs und damit die Vorwegnahme der Eventkultur in heutigem Stil. Wesentlich ist diesem Ereignis, neben der veränderten Wahrnehmung eines Gebäudes, das in einen anderen Kontext gestellt wird, das Happening. Die Grenze, was genau hierbei die Kunst ausmacht, das Changieren zwischen dem Werk, der Wahrnehmung, den Rezipienten und dem sonstigen Drumherum, den Situationen, dem Lichtfall auf den Stoff und das Schimmern desselben, je nach Wetterlage, läßt sich in diesem Rahmen und auch bei anderen Verhüllungsprojekten von Christo und Jeanne-Claude so leicht nicht mehr ziehen. Das Ereignis spielt sich ab zwischen Würstchenbuden, Kleingewerbetreibenden, die kunsthandwerkliche Produkte feilbieten, professionellem Marketing, flanierenden Menschen, auf der Wiese vor dem Reichstag picknickenden Familien und Kunstsinnigen. Was Christo und Jeanne-Claude im späten Werk betreiben, ist ein erweiterter Begriff von Kunst, der in seinem Wesen jedoch nicht mehr weh tut. Kunst ist der Stachel gezogen. Als Gegenpart zu solch schönen Schein kann man hier Christoph Schlingensiefs Kunstaktionen und Performances setzen, die mir zuweilen zwar etwas platt (oder besser: naiv) vorkommen, aber eines Witzes und des so notwendigen Furors jedoch nicht entbehren.
Bei Christo und Jeanne-Claude geraten die Werke über die Jahre hin, im Akt der Wiederholung, zum Zierat. Was anfangs neu war, was vermittels des Werkes diesen anderen Blick öffnete, was sich in der Objektkunst hermetisch entzog und verschloß – eben verhüllte –, das nutzte sich im Gang der Zeit ab. (Jenes „Altern der Moderne“ von dem Adorno spricht.) Die Verhüllung von Materialien besaß vermittels des Spiels von Anwesenheit und Abwesenheit, von Da und Nicht-ganz-da, zum Beginn Ausdruck und Sprengkraft. Und an bestimmten Landschaften, die mit einem Schlag im anderen Kontext standen und wo Weisen der Wahrnehmung geändert wurden, besaß dieses Verhüllen oder dieses Umpolen mittels fremder Objekte, die seriell in die Landschaft kamen (bspw. The Umbrellas), einen Reiz, weil das Alltägliche eine Umstrukturierung erfuhr. Als ich 1985 im Herbst nach Paris reiste – meine Mutter brachte mich mit ihrem Auto zum Bahnhof, sie fuhr, wie immer, zu schnell, wurde polizeilich angehalten, und aus dem Autoradio kam gerade die Nachricht, daß Axel Springer verstorben sei; ich jubelte, Muttern sagte, ich sei herzlos –, spazierte ich am ersten Tag meines Aufenthaltes vom Hotel aus an die Seine, um die verhüllte Pont Neuf zu sehen. Und es war, wie ich es mir dachte: Eine Stoffbrücke, über die ich mich ärgerte. („Die Verhüllung begann am 25. August 1985 und wurde am 22. September beendet.“ heißt es bei Wikipedia. Das ist leider falsch, die Verhüllung endete Anfang Oktober.) Um den Begriff der Kunst und um das Feld der Wahrnehmung zu erweitern, hätte man die Brücke nicht mit Stoff einkleiden müssen, sondern es wäre Aufgabe gewesen, sie im Rahmen einer Teilsprengung zu reduzieren. Oder zumindest den Seineübertritt für die Bewohner von Paris zu erschweren.
Muß insbesondere die bildende Kunst wieder politisch werden, und auf welche Weise? Ein Rückfall in den Agitprop oder in die engagierte Kunst, die in gutem Vorsatz operiert, ist zumindest nicht wünschenswert. Wie solche politische Kunst in einem guten Sinne aussehen kann, mag der Blick in Länder außerhalb Europas zeigen. Paradigmatisch sei hier Ai Weiwei genannt. Was einem dabei jedoch widerfahren kann, zeigen die Vorgänge in China, wo Menschen auf gut südamerikanische Weise für einfach so verschwinden. Sowieso wird dieses Land für uns maßgeblich sein, weil es antizipiert, was uns noch bevorsteht: eine Melange aus Kapitalismus und einer Form von neuem Totalitarismus, für welchen die Begriffe europäischer Faschismus und Ostblock-Kommunismus eher hilflos wirken.
Mittendrin den Schnitt machen. Den Einschnitt vornehmen. Nächste Woche geht es mit einem zweiten Teil weiter.
Ich war ja – was ich nicht oft tue – letzten Donnerstag auf einer Vernissage. Den Künstler, Rolf Hambrecht, kenne ich schon seit Jahren, weil er früher eine Kneipe betrieben hat, ein kleines, dunkles, verrauchtes und nach Bier stinkendes Loch, den Rattenspiegel, kurz: die beste Kneipe Freiburgs. Im Halbdunkel hingen dort immer ein paar seiner Bilder, wenn er Lust hatte, wechselte er sie aus. Ich glaube, viele der Besucher haben gar nicht realisiert, daß die Bilder von dem Mann hinter der Theke gemalt worden waren. Der Rattenspiegel mußte dann der Geldgier der Besitzer weichen, weil diese sich einbildeten, aus Büroraum mehr Miete herausschlagen zu können.
Warum ich das erzähle? In den Jahren nach dem Tod des Rattenspiegels war ich auf einigen Vernissagen von Rolf, an verschiedenen Orten. Rolfs Bilder wurden, da er keine Kneipe mehr führen mußte und mehr Zeit zum Malen hatte, von Ausstellung zu Ausstellung besser. Aber irgendwie habe ich mich bei den Vernissagen trotzdem immer nicht ganz wohl gefühlt. Bis auf letzten Donnerstag: Die neue Ausstellung ist im Slowclub, einem kleinen, dunklen, verrauchten und nach Bier stinkenden Loch, kurz: dem aktuell besten Club in Freiburg. Es spielte kein Pianist Chopin, sondern es lief, wie früher im Rattenspiegel Lou Reed und die Friends of Dean Martinez, es wurde gequalmt und gequatscht, über Kunst und den Zwang, Geld verdienen zu müssen, über alberne Blog-Nicknames wie „Alter Bolschewik“, über dies und jenes, dabei das Bier aus der Flasche getrunken, in summa: ein rundum gelungener Abend. Und man hatte das Gefühl: Nicht nur die Besucher, sondern auch die Bilder haben sich zum ersten Mal seit Jahren wieder wohlgefühlt.
Worauf ich hinauswill: Ich verstehe sehr wohl den kritischen Impetus von Adornos rein immanenter Kunstbetrachtung und habe selbst oft genug seine Behauptung verteidigt, das gesellschaftliche Moment sei aus der Immanenz des Werkes zu entwickeln, aus dem bereits gesellschaftlich präformierten Material (wobei ich, dies nur nebenbei, glaube, daß das bei Musik besser funktioniert als bei bildender Kunst). Und die Relevanz eines Kunstwerkes bemißt sich ganz sicher nicht darin, wie viele den „like“-Button drücken. Aber ich glaube inzwischen dennoch, daß „das Werk“ eine schlechte Abstraktion ist – noch die hermetischsten Werke stehen in einem sozialen Zusammenhang, der ihnen wesentlich ist. Sie sind in gesellschaftliche Praktiken eingebunden, und sei es die Praxis, sich von der Gesellschaft zurückzuziehen.
Das, was Du an der Reichstagsverhüllung kritisierst („Das Ereignis spielt sich ab zwischen Würstchenbuden, Kleingewerbetreibenden, die kunsthandwerkliche Produkte feilbieten, professionellem Marketing, flanierenden Menschen, auf der Wiese vor dem Reichstag picknickenden Familien und Kunstsinnigen.“), ist meiner Meinung zufolge der Form nach genau das, was Kunst ausmacht: Sie stiftet neue soziale Zusammenhänge, die ohne sie nicht existieren würden. Und somit ist sie grundsätzlich und immer politisch. Inhaltlich stimme ich Deiner Kritik an der Reichstagsverhüllung allerdings völlig zu: Die Macht der Kunst, neue soziale Zusammenhänge zu stiften, wurde von der Gesellschaft des Spektakels an sich gerissen und zum folgenlosen Event neutralisiert. Da unterscheidet sich dann die Reichstagsverhüllung nicht mehr von einem Tokio Hotel-Konzert. Politische Kunst wäre in diesem Sinne eine Kunst, die es schafft, Begegnungen zu provozieren, die nicht folgenlos blieben.
hallo,
danke. ist ein guter text, habe ihn gern gelesen und bin gespannt wie es weiter geht.
eine anmerkung eventuell zu den aktionenen von Christo und Jeanne-Claude. ich denke man unterschlägt einen bedeutenden teil der arbeit, wenn man den fokus zu sehr auf die verhüllungen legt. imho gehört auch der jahre – teilweise jahrzehnte – lange diskussions- und planungsprozess bereits zu den projekten und zur arbeit der beiden. ob nun bewusst oder unbewusst, die damit verbundenen prozesse wirken über lange zeiträume und sind in ihrem ringen mit den bürokatischen monstren dieser welt, aber auch mit den damit verbundenen öffentlichen debatten durchaus politisch zu werten.
so gesehen sind die endergebnisse in form von verhüllungen oder ähnlichem eventuell (mittlerweile) nur noch notwendige pflicht um die legitimation durch die kunst zu erhalten.
aber auch ihren text möchte ich hier nicht auf den punkt Christo und Jeanne-Claude reduzieren. manchmal packt man sich eben das am einfachst zu fassende und erweckt den eindruck die anderen dinge würden nicht interessieren. dem ist nicht so.
wie eingangs gesagt, ich bin gespannt wie es weiter geht, da mich viele der gestellten fragen ebenso beschäftigen.
alles gute und mit den besten grüßen
fk
@ alterbolschewik
Zunächst einmal danke für Deinen ausführlichen Kommentar. Was diese gelungene Vernissage betrifft, so sind das genau die Veranstaltungen, die ich auch schätze, weil – um es etwas emphatisch zu sagen – Kunst und Leben noch halbwegs korrespondieren und so etwas wie ein Unverstelltes zumindest aufscheint. Ich denke, dies sind die Veranstaltungen, die ich sowie mancher der hier Mitlesenden durchaus mag und wo wir gerne verweilen.
Zu Galerievernissagen in den hübschen weißgestrichenen, reinlichen Räumen gehe ich nicht mehr, weil mir das Geschnatter und das bedeutungsvolle Getue gehörig auf die Nerven geht, und für solch eine Veranstaltung wie Du sie beschriebst, nehme ich es dann sogar in Kauf, Bier zu trinken. (Denn meist gibt es Wein bei mir.) Gerade jetzt in Berlin ist wieder „Galerie Weekend“. Manches Interessante wurde zwar gezeigt, am meisten faszinierte mich eine realistische Photographie von László Moholy-Nagy. Am Ende gehen mir aber die dort aufkreuzenden Leute auf die Nerven.
Meine Beobachtung ist, daß gute und interessante Kunst (teils) dort stattfindet, wo der Künstler kaum oder wenig bekannt ist. Wenn überhaupt gehe ich am liebsten zu den kleinen Vernissagen, wie Du sie beschriebst.
„noch die hermetischsten Werke stehen in einem sozialen Zusammenhang, der ihnen wesentlich ist. Sie sind in gesellschaftliche Praktiken eingebunden, und sei es die Praxis, sich von der Gesellschaft zurückzuziehen.“ Das sehe ich genauso und es spricht nicht gegen Adorno. Daß er die Autonomie der Kunst als notwendig ansieht, heißt nicht, daß es eine rein hermeneutische Veranstaltung wird, wo, wie bei Staiger, die reine Immanenz zelebriert wird oder eben, da wir über Deinen Galeriebesuch ja auch in Freiburg sind, heidegger- und wesensmäßig geraunt wird. (Wobei ich dazu sagen muß, daß es Aspekte gibt, wo ich Heidegger durchaus verteidige, ihn gleichsam gegen ihn selbst lesen, weshalb ich hier im Blog im Grunde – irgendwann einmal – eine Heideggerlektüre machen müßte.)
Gerade bei der bildenden Kunst, die ja zumeist kollektiv rezipiert wird, würde ich der These zustimmen, daß Kunst neue sozial Zusammenhänge stiftet, sei dies auch, wie bei manchem Großprojekt oder wie bei der Kunst im öffentlichen Raum aus der Ablehnung heraus, also ex negativo, weil sich dadurch eben die Eventisierung zeigt. Oder aber Formen der Gentrifizierung. Ich habe das schon Mitte der 80er in Paris im Bastille-Viertel und um den Canal Saint-Martin gesehen. Und in Berlin und anderen Städten ja sowieso: wo Viertel durch Kunst aufgewertet werden. Nun ist hierbei natürlich nicht primär die Kunst zu kritisieren, sondern die Eigentumsverhältnisse und die Mietpraxis. Denn daß ein Viertel mit Kunst lebt: dagegen spricht im Prinzip nichts. Dennoch: auch mir als mittelaltem adornitisch geprägten Autonomieästhetiker sind die jungen Reclaim the streets-Bewegungen sympathisch.
Interessant dabei ist zudem, daß ich im Hinblick auf die Praxis der Kunst eine ganz ähnliche Diskussion kürzlich ein Weimar führte. Und insofern denke ich, daß dieser Aspekt des Gesellschaftlichen und einer eingreifenden Praxis in meinen folgenden Texten noch etwas mehr in den Blick genommen wird. Wieweit das am Ende doch wieder aporetisch ausfällt, vermag ich nicht zu sagen.
@ fk
Danke für Deinen Beitrag und für Dein Lob. Christo und Jeanne-Claude wollte ich nicht bloß auf ihre Verhüllungen reduzieren. Es ist dies sicherlich ein komplexer Akt und auch die Skizzen und Entwürfe, Ideen und Umpolungen im Vorfeld spielen in diesen Prozeß hinein. Insofern ist das, was Christo und Jeanne-Claude machen, keine statische Kunst. Diese Dynamik finde ich in viele Richtungen hin gleichbleibend spannend
Andererseits interessiert mich der frühe Christo sehr viel mehr, weil dort etwas ganz Basales wurzelt. Da ist es – freilich nur als Analogieschluß gedacht, nicht parallel – wie mit Dalí: bei den frühen Bildern ist Interessantes und Wichtiges dabei, weil der Surrealismus ernst genommen wurde. Die späteren Bilder Dalís sind leider keine Kunst mehr, sondern kunstgewerblich gefertigt.
Ja, ich will einmal sehen, wohin die Reise dieses Textes geht. Sicherlich, wie ich oben bereits alterbolschewik antwortete, auch in die Richtung der sozialen Praxis. Aber ich will nicht zu viel versprechen. Wenn mich in zwei Wochen die Lust verläßt und ich ein anderes Thema wichtiger, interessanter, besser finde, versandet das gerade bearbeitete womöglich.
Danke für die ausführliche Antwort! Habe sie gerade erst entdeckt, sie ist prima – muss jetzt jedoch zunächst Bier kaufen gehen ;D – und antworte später! Sind ja sehr viele Aspekte, vielleicht auch in einem eigenen Eintrag.
Ich hoffe, daß Bier hat gemundet und es war ausreichend.
Und natürlich bin ich auf Deine Antwort gespannt. Ich finde es gut, wenn sich aus einem Blogtext dazu auf einem anderen Blog etwas Neues entwickelt.
werter bersarin,
mach ruhig weiter, und wenn du keine lust mehr hast, dann hörst du auf. das ist doch selbstverständlich.
ich wollte nur kurz wissen lassen, auch wenn ich mich in den kommentaren kurz halte, lasse ich – und sicherlich auch andere – das gedanklich natürlich mit laufen.
und bei all dem geistigen brechmitteln die man derzeit medial zugeführt bekommt, ist eine solche debatte über etwas so herrlich unnützes und recht unbedeutendes wie kunst, doch etwas ganz wunderbares. freuen wir uns einen moment über die erstrittene autonomie, auch wenn die damit verbundene marginalisierung an anderen orten auch mal schmerzt, und verlieren uns in ihr, wenden uns der verseuchten welt ab und dem bißchen zu was geblieben ist zu.
mit den besten grüßen
fk
Was Kunst anrichtet, liegt auch am Rezipienten:
http://www.jungewelt.de/2011/05-03/031.php
Georg Schramm redet bei der 25. Verleihung des Kleinkunstpreises von Baden-Württemberg, die im Freizeitpart Rust stattfand, und wird ausgebuht. Der Freizeitparkchef: „Das war kein Kabarett, das war Klassenkampf!“
Womit ich sagen will, dass es doch ganz wesentlich ist, wo Kunst stattfindet. Wenn man davon ausgeht, dass es Kunst ohne Rezeption nicht gibt, ist es ein Unterschied ob Weiweis Stühle hier gezeigt werden (und niemanden provozieren) oder in China, wo er ihretwegen verschwindet, wie man das jetzt nennt.
Man sollte den Leuten in Rust dankbar sein, die nehmen Kunst noch Ernst.
Was du, Bersarin, über die Pont Neuf schreibst, ja: Kunst gerät zu leicht zum läppischen Wohlfühl-Happening. Kunst am besten dort zeigen, wo sie aufregt, was ja daran liegt, dass sie dort ernstgenommen wird. Kunst in Metropolen dagegen verbieten, bis sich nach einigen Jahrzehnten die notwendige Sensibilität wieder eingestellt hat.
@ genova
Und für so etwas bewundere ich Schramm. Die Erkenntnis des Chefs vom Freizeitpark lobe ich allerdings gleichfalls, ein kluger Kopf steckt immer dahinter: Genau so ist es: Klasse gegen Klasse. Endlich, hoffentlich und mehr davon in allen Variationen. (Wobei über den Begriff der Klasse zu diskutieren ist, so ganz paßt er nicht, er nimmt zumindest eine neue Form von Komplexität an, ist (womöglich sogar durch andere Begriffe zu ersetzen, zumindest jedoch zu ergänzen. Die Klassenlage entscheidet sicherlich nicht mehr über den Stand des Bewußtseins.)
Was mit Ai Weiwei geschieht: dazu paßt das Wort „Verschwinden“ schon ganz gut, weil keiner weiß, wo er ist, ob er bereits tot ist, ob er in irgend einem chinesischen „Volks“-Gefängnis sitzt. Es weiß keiner. Allerdings: Man muß Ai Weiwei zugleich gegen seine „Freunde“ verteidigen: Wer Ai Weiwei sagt und wie Hans-Olaf Henkel so großspurige Reden führt, der sollte auch „Hier“ sagen. Denn der chinesische Kapitalismus mit seiner unendlichen Freiheit ist ja genau das, was sich Henkel et al. auch für Europa sehnlichst wünscht: Freiheit, die sie meinen.
Als Kunstprojekt die Kunst an bestimmten Orten zu verbieten, ist keine schlechte Idee, und damit verweise ich sogleich auf eines der Folgethemen, über das ich sicherlich auch schreiben werde: das unendliche Enden der Kunst.
die endlosen Enden habe ich mal auf einer Kugelschreiber-Zeichnung abgebildet; aber weil das ja keiner erkannt hätte, ich auf Nummer sicher gehen wollte und ja sowieso einen Kugelschreiber in der Hand hatte, habe ich halt (mit Pfeilen sogar, glaube ich) dazu geschrieben: „endlose Enden“ … im Moment weiß ich allerdings nicht mehr, was aus den geworden ist, ma sehen, vielleicht finde ich sie noch mal wieder ;-)
Ja, um das unendliche Enden der Kunst als eine Form der Selbstreflexion und der Selbstvergewisserung des Diskurses der Moderne wird es im zweiten Teil gehen.
Also, äh – ich habe den Text jetzt mehrfach gelesen, und ich werde das Gefühl nicht los, was vielleicht auch gar nicht anders geht, dass er der Brillianz dieses Adorno-Zitates wie auch dessen, was seine Pointe so seltsam macht, nicht ganz gerecht wird.
So als Teil der Kulturindustrie, der ich bin, gelegentlich auch jener Formen, bei denen Adornos Kritik besonders gut trifft – übrigens auch gerade hinsichtlich der läppischen Wohlfühlformen, die G-Punkt immer einfordert, wenn er meint, man müsse verständlicher schreiben und so „die Massen mit nehmen“, etwas, das z.B. Christo hervorragend gelungen ist, glaubt der ja gar nicht, wie intensiv ich das lernen musste – wundert mich, dass das, was Adorno mit der Vorherrschaft des Stils – „nur noch Stil“ – wie auch des Effekts treffend analysiert, dann z.B. bei der Thematisierung des Christo-Events zugunsten einer Beschreibung des Spektakel-Charakters weicht, anstatt es mal aufzugreifen.
Das ist ja schon dolle, was er da über das aufsässige Detail schreibt, gerade für kulturindustrielle Praktiker. Was meines Erachtens auch daran liegt, dass das im Verlaufe des weiteren Textes untergeht, dass man vor lauter Pop versus Kunst, Rauterberg versus Kapitalismuskritik, coole Vernissage im tollsten, verrauchten Club versus Massenveranstaltungen für die Dooferen vor lauter falscher Allgemeinheitsniveaus den Gegenstand buchstäblich aus dem Auge verliert.
Deshalb ist mir auch zu billig, den Seel, der mir auch Gesellschaft zu wenig thematisiert, mal eben so nebenbei abzuwatschen, weil keiner der hier Debattierenden in der Lage wäre, mal eben so raus zu hauen, was denn „Gesellschaft“ eigentlich sein soll. Und Leute wie Seel, aber auch die Phänemenologen, haben sich immerhin die Mühe gemacht, Dewey auch, über die Analyse dessen, was Erfahrung mit Kunst oder auch nicht sinnvoll heißen kann, diese grandiosen, oft aber ins Oberflächliche mündenden Großbegriffe gewissermaßen zu unterlaufen. Ja, ich kenne den Unterschied zwischen Aisthesis und Ästhetik.
Ich finde das insofern fruchtbarer als eine „Was ist Kunst?“-Diskussion, weil es sich auf den Gegenstand auch einlässt. Und weil es Fragen erlaubt wie jene, was eine Person, die sichda ran macht, ein Bild zu malen, ein Saxofon-Solo zu spielen oder ein Buch zu schreiben, macht und erlebt, während es das macht, überhaupt zu stellen. Dann kann man sich mühen und gucken, wieso wohl Effekt und Stil so dominant werden in kulturindustriellen Perspektiven, weil man fest stellt, dass das intervenierende, andere Logiken als jene sind, denen man folgt, wenn man daran scheitert, einen Schwarzen in Öl zu malen, weil man in seinem Blick in einer bestimmten visuellen Tradition gefangen bleibt.
Ähnliche Fragen kann man auch auf der Rezipientenebene stellen und landet gewissermaßen auf einem Umweg bei dem, was „Gesellschaft“ heißen kann. Spätestens dann – nein, ich habe das nicht versucht ;) -, weil man keinen Galeristen findet, weil man nicht aus der Meisterklasse X an der Kunsthochschule Y stammt.
Worin unterscheidet sich nun diese Frustration von jener, Schwarze nicht malen können?
Diese ganzen viel allgemeineren Fragen nach Begriff und Anschauung, Kunst und Ästhetik usw. umgehen solche Analysen und fallen da hinter Adorno, der das ja in vielen Passagen grandios betrieben hat, zurück.
Wenn man etwas bei ihm lernen kann, auch aus obigem Zitat, ist es das, dass das Besondere unter dem falschen Allgemeinen zerquetscht und deformiert nur in letzten Zügen liegt und röchelt, dass aber exakt jenes Röcheln das ist, was in Kunst zu erlauschen ist. Dazu braucht man nur gar keinen Begriff derer, wenn dieser selbst das macht, was auch Kulturindustrie vollbringt, eben das Röcheln der letzten Reste unreglementierter Erfahrung zu übertönen.
Ebenso macht es gar keinen Sinn, mit Adorno gegen ihn denkend, z.B. Madonnas „Justify my love“ nun das Kulturindustrie-Kapitel überzubügeln. Da muss man sich schon auf das einlassen, was man da sieht. Und hört.
Wir kabbeln uns meines Erachtens nicht darum, ob man nun engagierte Kunst betreiben sollte oder nicht. Wir kabbeln uns manchmal, genau so oft auch nicht, um das Allgemeinheitsniveau, auf dem man Fragen nach ästhetischer Praxis stellt und darum, welchen Rang man ästhetischer Praxis und ästhetischer Erfahrung dabei zuweist und wie man sie analysiert.
Und das nicht, um dem vorzubeugen, um ein Plädoyer für „falsche Unmittelbarkeit“ zu halten, ganz im Gegenteil: Ich glaube, man verfehlt die verschiedenen Vermittlungsinstanzen, wenn man in den großen Dichotomien verharrt. Mit Derida gedacht, sozusagen, und in voller Sympathie mit Deinem Text geäußert.
frühe Erinnerung an Turner, Rubens – aber dann irgendwann Bacon neben Picasso und div. Suprematisten, vor allem jedoch die Suprematistinnen! … wie auch immer, da fiel es mir aber wie die Schuppen vor den Augen: Der kann malen – endlich !! Welch eine Erholung für die Augen und Erinnerung an die Tate und die Erimitage! Unvergesslich! Nicht unbedingt: Kunst kommt von Können – Bacon jedenfalls konnte ….
Zunächst freut es mich, daß Du meinen Text mehrfach gelesen hast. Nein, der Brillanz dieses Adorno-Zitates in der Analyse und Bewertung kann man in einem kurzen Blogtext nur schwierig gerecht werden. Es ist jene Stelle eine der besonders gelungenen und pointierten in der DA, in welcher sich die Stränge der Entwicklung in der Kunst kondensieren, wo sie verdichtet und sprachlich auf die Spitze getrieben werden, weshalb ich diese Passage eben auswählte. Und es ging mir dabei auch vielmehr darum, dieses Zitat als Hintergrundfolie meines Textes anzuzeigen und zur Illustration einzusetzen, was als Theorie bei der Frage zur Kunst, zum Wozu, bei mir als Grundtext mitläuft. Natürlich und auf alle Fälle wäre diese Passage bei Adorno eine eigene Analyse wert, was dann aber mehr eine Auseinandersetzung mit der Ästhetischen Theorie Adornos, insbesondere im Hinblick auf die „Ästhetische Theorie“ selbst wäre. Die will ich hier aber gerade einmal nicht vornehmen. Auf die Entwicklungslogik der Kunst und auf den „Spannungsverlust“ der Kunstwerke im Laufe der Moderne, den Adorno feststellt, werde ich aber sicherlich in einem der nächsten Texte angehen.
Soviel nur: Gerade über die Kunst der Romantik läßt sich dieses Spannungsverhältnis gut aufzeigen: daß das Ganze eines Werkes sowie seine Organisation so recht nicht mehr funktionieren will, der organische Zusammenhang im Werk, nicht erst seit dem Ende der Goethezeit, sondern schon weit davor, jenen Bruch aufweist: Jenes aufsässige, sabotierende und störende Detail. Beispiel: Kleist (Wobei gegen Adorno auch wieder zu fragen wäre, ob diese Organisation im Werk selbst nicht immer schon sabotiert wird, und zwar durch das Werk selbst, das kein Homogenes ist. Dies müßte man einmal an den Werken der sogenannten klassischen Epochen untersuchen.)
Im Rahmen der klassichen Moderne und insbesondere bei Beckett wird Adorno dann vom Verlust des Sinnzusammenhangs im Werk sprechen. Um diese Passage Adornos noch einmal genauer zu analysieren, muß man sie mit seinen Ausführungen zu Kafka, Beckett, Hölderlin, Eichendorff gegenlesen. Ich würde dies auch gerne einmal machen, wenn ich es schaffe und ein wenig in Adorno „Noten zur Literatur“ graben.
Auch ich bin ein Teil der Kulturindustrie. Wir sind mit deren Produkten umgeben. Ein Draußen gibt es nicht.
„… weil keiner der hier Debattierenden in der Lage wäre, mal eben so raus zu hauen, was denn „Gesellschaft“ eigentlich sein soll.“
Also, also: ich kann das schon :-) Gesellschaft ist das jeweils größte, in sich funktionial differenzierte Sozialsystem, neben dem es nur noch Sozialsysteme gleichen Typs gibt. Oder: Gesellschaft ist diejenige Ebene der Systembildung, von der ab es funktionale Differenzierungen gibt. Oder noch schärfer: Gesellschaft ist dasjenige Sozialsystem, das die letzterreichbare Form funktionialer Differenzierungen institutionalisiert.
Der Spektakelcharakter bei Christo und Jeanne-Claude erweist sich ja als die Quintessenz der zitierten Adorno-Passage. Der Stil bei Christo und Jeanne-Claude, wenn man es so nennen mag, ist die Iteration des Gleichen und die Übertragung auf immer neue Objekte des öffentlichken Raumes oder auf Landschaften. Erst Seel oder Wellmer würden daheraus dann die Lebens- und Weltbezüge lesen und das womöglich noch verteidigen als eine Möglichkeit erweiterter Wahrnehmung, weil sie eben in der Rezeptionsästhetik verharren und weil bei ihnen die Geschichtsphilosophie bzw. die DA amputiert wurde. (Dies ist eine pauschale Kritik ich weiß, und Wellmer würde ich da auch noch ein wenig herausnehmen wollen. Aber nur ein wenig und nur deshalb, weil er ja hier an der FU lehrte. Seel ist ja nicht uninteressant, aber ich lese das – zum Teil zumindest – auch als so eine Art Wohlfühlästhetik.)
Danto, Wellmer, Seel wollte ich aber nicht im ganzen abwatschen, dazu müßte ich verschiedenen Texte sichten, darstellen und in die Kritik nehmen. Und daß man nicht bei Adorno stehen bleiben kann, sollte klar sein. Bei allem Respekt für „Die Kunst der Entzweiung“ bleibt die Ästhetik Adornos jedoch das Gerüst, weil es nach ihm nichts Besseres gab, das aufs Ganze ging. Allenfalls einige Umjustierungen und Neupolungen wurden vorgenommen.
Die Frage ist allerdings nicht mehr – sozusagen vermittelt über Danto, aber auch die erfahrungstheoretischen und phänomenologischen Aspekte – „Was ist Kunst?“, sondern „Wozu Kunst?“. Das Heikle und Zweischneidige der Frage selbst muß man allerdings mitsehen.
Daß in der Kunst das Besondere, welches noch nicht vom falschen Allgemeinen zugerichtet wurde, aufscheint, ist richtig. Aber entgegen zu meinem sonstigen Vorgehen wollte ich in dieser Serie, die ja zugleich eine Antwort auf Deine Frage nach der Kunst sein möchte, nicht ins Detail des Kunstwerkes mich versenken oder in die einzelne Interpretation gehen, sondern aufs Allgemeine zielen und zudem auch auf das gesellschaftliche und politische Moment von Kunst.
Das Problem, den Gegenstand (also die Kunst selbst mit ihren Werken) vor lauter ästhetischer Theorie aus den Augen zu verlieren, ist dabei in der Tat gegeben, das sehe ich auch so. (Und beileibe soll nicht in der Differenz Vernissagegebrabbel und gelungene Veranstaltung verharrt werden.) Insofern muß dieser Text immer wieder zwischen Allgemeinem und Besonderem changieren: einerseits allgemeine Ästhetik, andererseits konkrete Kritik und Kommentar von Kunstwerken, wobei letzteres immer auf den ersten Aspekt bezogen bleiben sollte. Man müßte beiden Seiten gegeneinander stelle, daß sie sich in den Texten durchdringen. Dies wäre dann freilich ein Buchprojekt. (Oder aber als Blogarbeit über einen längeren Zeitraum laufend.) Andererseits: Über den Aspekt der Kunst von Christo und Jeanne-Claude habe ich das dann aber wieder versucht einzuholen. Christo und Jeanne-Claude sind ja deshalb so interessant, weil sie nicht einfach nur Mist oder „keine Kunst“ machen, sondern, weil sich in ihrem Werk die Aspekte verschränken.
Was das Madonna-Video betrifft: ja sicherlich muß man sich darauf einlassen, ohne gleich mit dem Reflex „Kulturindustrie“ drüberzuhauen. Ich bin nun jedoch eher Text- und Bildtheoretiker, weniger komme ich von der Musik her. Die Erfahrungsräume, die sich da öffnen, sind nicht gering zu schätzen. Aber die eröffnen sich eben auch in einem Gespräch oder in einer Blogdiskussion. Und die sind keine Kunst. Das stört mich dann insbesonder an Seels Texten, bei Wellmer weniger, der nimmt Adornos Ästhetik da noch genauer: was Seel – teils – zur Kunst schreibt, das kann man genauso über ein Abendessen im Freundeskreis im gemütlichen Rahmen schreiben. Mal etwas grob gesprochen. Aus diesem Grunde auch mein Festhalten an der Autonomie und sogar an der Abgezirkeltheit der Kunst. Und deshalb, aufgrund der gegenwärtigen Entwicklungen meine Frage: „Wozu eigentlich noch Kunst?“
Die Passagen zur Gesellschaft, das gebe ich um Schluß dann doch zu, entstammen einem Text von Luhmann aus dem Band (mit Habermas zhusammen): Theorie der Gesellschaft pder Sozialtechnologie – Was leistet die Systemforschung?. Die bekannte Habermas-Luhmann-Kontroverse. Insofern kann ich am Ende nicht bündig und in kurzen Sätzen sagen, was Gesellschaft sei: Diese Gesellschaft: eine Konstellation von Ausbeutungs- und Machtverhältnissen, die über das Medium Geld organisiert wird.
Recht hast Du sicherlich, daß die Dichotomien zu befragen sind und genauso das, was sie konstituiert. Ob sie sich jedoch dadurch bereits auflösen lassen, bezweifle ich (mit Derrida; insofern war dieser ja zuweilen im Ton der Texte sehr melancholisch gestimmt.) Vielleicht bin ich ja doch mehr Kantianer als mir lieb ist ;-)
Danke noch einmal für Deinen sehr ausführlichen Kommentar. Es sind darin, insbesondere auch über den Seel-Aspekt, Dinge, die abzuarbeiten und zu denken sind.
Diesem letzten Röcheln von Erfahrung zum Ausdruck zu verhelfen, wie Du das sehr schön geschrieben hast, dieses Residuale zum Sprechen, zum Klang, zum Bild zu bringen, darin sind wir uns allerdings sehr einig und dies ist das Ziel von Kunst und Philosophie (oder auch anderen Formen der Entäußerung). Und ich denke, daß wir, wenngleich zuweilen in andere Richtungen hin arbeitend, deshalb unsere Blogs betreiben. Über diesen Ausdrucksaspekt, der ja auch für Adorno an vielen Stellen zentral ist, bin ich völlig d‘accord mit Dir. Und insofern freue ich mich da auch immer über Deine Einsprüche.
Nur so als Anekdote am Rande: Ich habe heute Nachmittag bei Tee und Träubleskuchen (für Nichtschwaben: Johannisbeerkuchen) im Garten die Ausgabe 3/1966 der Praxis durchgesehen, ein Heft zur Ästhetik. Und wie heißt der programmatische erste Artikel von Danko Grlić, der zwischen der Autonomie des Kunstwerks und der gesellschaftlichen Notwendigkeit von Kunst oszilliert? Natürlich „Wozu Kunst?“
Thank’s für diesen Hinweis.
Du mußt ein sehr gutes Archiv der Texte haben.
Schlimm jedoch, wie wenig man kennt, denn der Name sagte mir nichts. Nach der Sicht auf Wikipedia scheint mir Danko Grlić aber sehr interessant. Viel mehr muß man solche Namen stark machen, als den Kram der postadornitischen ästhetischen Theoretiker, die wir hier haben. (Peter Bürger einmal ausgenommen.)
Tee und Träubleskuchen im Garten: dies kann man in Berlin leider nicht haben. Obwohl hier der Legende nach manche Schwaben wohnen, insbesondere im Prenzlauer Berg.
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