Bezüglich Derridas Philosophie, die zuweilen unter dem Begriff der Dekonstruktion gefaßt wird, was diese Philosophie freilich unzureichend charakterisiert, läßt sich zunächst festhalten, daß es bei Derrida kein Hauptwerk in einem klassischen Sinne gibt. Seine zahlreichen kurzen oder längeren Texte stehen (meist) im Bezug zu anderen Texten – und sei dies der Großtext der abendländischen Metaphysik. Es werden in diesen Lektüren bestimmte, für Derrida zentral erscheinende Passagen gegengelesen und dabei Aspekte gesichtet, die abseits vom Strom des eigentlichen Textes liegen – Nebenaspekte, die sich bei genauer Lesart für Derrida nicht als nebensächlich erweisen, sondern das verborgene Zentrum eines Textes und zuweilen sogar das seiner Epoche bilden, von dem aus eine Sicht erfolgt, ohne daß dieser Punkt selber in den Blick gelangen kann.
In der „Grammatologie“ unternimmt Derrida eine solche Lektüre einerseits anhand des Begriffs der Humanwissenschaften, indem er fragt, wie sich der Diskurs über das Humane konstituiert und wie es um das Verhältnis von Sprache und Schrift bestellt ist. Grob gesprochen geht es um den Gebrauch des Zeichens „Mensch“. Eine solche zukünftige Lehre der Schrift wird als Grammatologie konzipiert.
„Die Konstituierung einer Wissenschaft oder einer Philosophie der Schrift ist ein notwendiges und schwieriges Unterfangen. Aber ist man einmal bis zu diesen Grenzen vorgestoßen und geht sie unermüdlich wieder an, dann muß ein Denken der Spur, der *Differenz und des Aufschubs einmal auch über den Bereich der episteme hinausreichen.“ (J. Derrida, Grammatologie, S. 169 f., Ffm 1983)
Diese „Grammatologie“ stellt Derridas umfangreichstes und sein wohl systematischstes Werk dar. Es werden darin die auf vielfache Weise verschränkten Aspekte des Eurozentrismus, der Präsenz, der Metaphysik und das Denken der différance, die dort noch unübersetzt *Differenz heißt, ausgeführt werden. Wesentlich ist ihm ein Denken der Schrift, das den Rahmen der Wissenschaft, den der Metaphysik übersteigt.
„Die Schrift ist die Bedingung der episteme, ehe sie ihr Gegenstand ist; (…)
Die Wissenschaft von der Schrift hätte also ihren Gegenstand an der Wurzel der Wissenschaftlichkeit zu suchen. Die Geschichte der Schrift hätte auf den Ursprung der Geschichtlichkeit zurückzugehen. Wissenschaft von der Möglichkeit der Wissenschaft? Wissenschaft von der Wissenschaft, die nicht mehr die Form der Logik, sondern die von der Grammatik besäße? Geschichte von der Möglichkeit einer Geschichte, die nicht mehr Archäologie, Philosophie der Geschichte oder Geschichte der Philosophen wäre?“ (Grammatologie, S. 50)
In seiner Weise knüpft Derrida einerseits an die Kantische Frage aus der „Kritik der reinen Vernunft“ nach den Bedingungen der Möglichkeit von Wissen an, und die Ausführungen des 2. und 3. Kapitels der Grammatologie stellen in diesem, man kann fast sagen transzendentalphilosophischen Sinne systematische Überlegungen dar, wie eine künftige Wissenschaft von der Schrift wird auftreten können. Er entwirft Züge dieser Wissenschaft mit Ausflügen in die Ethnologie, die Psychoanalyse, die Linguistik und die Zeichentheorie. Wobei – dies sei am Rande bemerkt – in der Lesart Derridas auch dieser Begriff von Wissenschaft Beschränkungen unterliegt. Es ist kein Begriff, der sich positiv fassen läßt. Und damit kommt andererseits jener Begriff des Überbordens einer Epoche ins Spiel, denn die Grammatologie ist die paradoxe Bewegung, innerhalb dieses Systems der Wissenschaften operieren zu müssen und zugleich diese zu überschreiten. Von dieser paradoxen Bewegung des Denkens Drinnen und Draußen zugleich zu sein, ohne dabei auf eine dialektische Struktur zurückzugreifen, welche hier vermittelt, werden fast alle Texte Derridas getragen. Es ist ein Denken an der Grenze. Es ist bei Derrida ein textuelles, teils vom Zufall gesteuertes Spiel, das sich in eine Leerstelle einschreibt und sich im Spannungsfeld und im Zwischenraum von Schrift (Schreiben) und Wissenschaft austrägt. In der „Grammatologie“ verfährt Derrida jedoch noch weitgehend diskursiv und hält das überbordende Spiel durch dieses gleichsam transzendentale und explikative Moment im Zaum.
In dieser Entwicklung von Theorie zeichnen sich, so Derrida, „Umrisse einer Grammatologie ab, von der sich sagen läßt, daß sie ihren Leitbegriff nicht mehr den Humanwissenschaften oder, was nahezu auf dasselbe hinausläuft, der traditionellen Metaphysik entnimmt.“ (S. 148) Denn die Frage nach dem Zeichen „Mensch“ muß anders ausformuliert werden, und es müssen für diese „Verwindung“ der Epoche neue Begriffe gefunden bzw. die überkommenen strategisch besetzt werden. Einer der Gründe, diese Epoche der Metaphysik zu verwinden, und hier liegt sicherlich der Aspekt, von wo die Philosophie Derridas ihr politisches Motiv bezieht, ist die grundsätzliche Gewalttätigkeit, das Gewaltverhältnis, das diesen Diskurs der Metaphysik resp. des metaphysischen Denkens prägt. Ein Humanismus, welcher das Andere in den Bereich des Eigenen überführt, aneignet und enteignet, stellt einen Begriff dar, welchen es zu überwinden gilt. Aber nicht einfach im Akt bloßer Entgegensetzung. Fast dialektisch läßt sich sagen, daß ein solcher Humanismus seinem eigenen Begriffe bzw. seinem Ansinnen widerspricht und deshalb auf seine Grundlagen und seine Ansprüche hin befragt wird. Insofern meint „Dekonstruktion“ zugleich eine Auseinanderlegung bzw. Analyse von Begriffen, so daß diese eine andere Fahrt- und Stoßrichtung erhalten.
Eine solche Lektüre der Umpolung, die zugleich diese (notwendige) Gewalt aufzeigt, geschieht in der „Grammatologie“, etwa wenn Derrida Rousseaus (relativ unbekannten) Aufsatz „Essai sur l‘origine des langues“ im Zusammenschluß mit den Texten des Ethnologen Lévi-Strauss liest, um innerhalb beider Texte den Diskurs einer Humanwissenschaft nachzuweisen, die auf Strukturen von Ausschluß und des Ethnozentrismus im Sinne einer aufs Eigene gerichteten Kultur beruht. Insbesondere bei Lévi-Strauss zeigt Derridas Text, daß hier der Blick des rousseauisch durchdrungenen Europäers waltet. Rousseau und Lévi-Strauss sind im Diskurs der Authentizität (des Eigenen als Bei-sich-sein und Anwesenheit gedacht) Komplizen. Derrida führt dies exemplarisch etwa an Lévi-Strauss‘ Kapitel „Schreibstunde“ aus „Traurige Tropen“ vor.
Das läßt sich an folgender kurzen Passage aus „Traurige Tropen“ relativ paradigmatisch verdeutliche. In einer der nächsten Lektüren Derridas komme ich auf die Auseinandersetzung mit Lévi-Strauss zurück, insofern ich es mir nicht anders überlege, denn der Gang des Begriffes ist in dieser Lektüre offen und kann genauso ganz fremde Bahnen nehmen. Da das Zitat der Illustration dient, spare ich die Vorgeschichte, die Lévi-Strauss dazu schreibt.
„Die Schrift hatte also bei den Nambikwara ihren Einzug gehalten (da der Ethnologe Stifte an die Nambikwara verteilt hat, Anm. Bersarin); aber nicht, wie man hätte annehmen können, am Ende eines mühsamen Lehrgangs. Sie hatten ihr Symbole entlehnt, während ihre Realität ihnen fremd blieb. Und zwar eher im Hinblick auf ein soziologisches als auf ein intellektuelles Ziel. Es ging nicht darum, etwas zu wissen, zu behalten oder zu verstehen, sondern darum, Prestige und Autorität eines Individuums – oder einer Funktion – auf Kosten der anderen zu vermehren. Ein Eingeborener, der noch dem Steinzeitalter anzugehören schien, hatte erraten, daß das große Verständigungsmittel, auch wenn er es nicht verstand, anderen Zwecken dienen konnte.“ (Traurige Tropen, S. 292 f., Fft/M 1989)
Viele dieser Kritikpunkte Derridas lassen sich zwar nachvollziehen, aber die „Grammatologie“ enthält trotz allem – insbesondere zum einleitenden Beginn – manche problematische Stelle, was unter anderem daran liegt, daß die Kritik Derridas als eine generalisierende, totalisierende auftritt. Als Stichworte hierzu seien Begriffe wie Logo- und Eurozentrismus genannt. Denn zur Disposition steht bei Derrida die Epoche der als Präsenz gedachten Metaphysik [das Sich-(selbst)-Vernehmen in der Stimme], welche er – analog zu Heidegger – von Platon bis Hegel und darüber hinaus reichen läßt. Derrida kritisiert eine Zeichenkonzeption, die der gesprochene Sprache (als phone, Stimme oder parole) gegenüber der Schrift als Abgeleitetem den Vorrang einräumt. Auch sein Konzept von Schrift ist zunächst ungewohnt und wird sich denjenigen, welche lediglich Passagen aus der „Grammatologie“ lesen, nicht erschließen.
Solchen Großtheorien begegnet man zunächst mit Vorsicht und Skepsis, zumal manches bei Derrida als Postulat und Proklamation auftritt. Form und Inhalt entsprechen hier nicht ganz dem notwendigen Stand und der erforderlichen Vermittlung, die in späteren Texten Derridas (aber auch schon in der Aufsatzsammlung „Die Schrift und die Differenz“) durchgeführt ist.
Es erweist sich zudem häufig als problematisch, etwas auf eine solche Art von Großkritik und Großgeschichte des abendländischen Denkens zu entgegnen. Andererseits ist es an den Details leicht, eine Widerlegungen solcher totalisierender Kritik zu bringen, weil sich in verschiedensten Texten immer Aspekte oder Passagen zeigen lassen, die einen anderen Blick öffnen und zum Text Derridas im Widerspruch stehen. Die Texte Hegels und auch der Romantik, insbesondere Novalis, aber auch der vormals brillante als Reaktionär endende Friedrich Schlegel, lassen sich stellenweise wie frühe Manifeste des Poststrukturalismus und verborgenes Denken der Differenz lesen. Man muß es dann nur noch freilegen.
Bei solchen Großtheorien, die aufs Ganze wollen, verhält es sich ähnlich wie in Heideggers Kritik der abendländischen Metaphysik als seinsvergessen oder – in ganz anderer Weise – wie bei den Kapiteln „Der Begriff der Aufklärung“ und „Odysseus oder Mythos und Aufklärung“ aus Adornos/Horkheimers „Dialektik der Aufklärung“, wo der Begriff Aufklärung über 2500 Jahre der Philosophie abdeckt. Wobei man hier festhalten muß, daß Adorno/Horkheimer ihren Text als „Philosophische Fragmente“ und als „Flaschenpost“ verstehen. Es handelt sich bei diesen Passagen sozusagen um Kulturdiagnosen, die aus einer Makroperspektive vorgenommen werden. Diese strukturiert sich naturgemäß anders als ein mikrologischer Blick oder als eine Detailuntersuchung des Historikers, des Sozialwissenschaftlers oder des Philosophen, der skrupulös vorgehend die Texte analysiert.
Ein weiterer Grund für das Befremden, was sich einstellt, wenn man die „Grammatologie“ heute liest, rührt – unter anderem – daher, daß manche dieser Fragestellungen und Probleme der 60er Jahre nicht mehr die von heute sind und Derrida insbesondere auf die seinerzeit in Frankreich herrschenden Diskurse reagiert, die in den 60er Jahren der BRD andere waren. Derrida bezog sich, so schriebt François Dosse in seiner „Geschichte des Strukturalismus“, auf eine inflationäre Flut von Schriften und Auseinandersetzungen zur Theorie der Sprache, insbesondere von Sprachwissenschaftlern, auf die Derrida als Philosoph reagierte. Und so unternimmt er insbesondere in der Grammatologie einen fast schon systematisch zu nennen „historischen Aufweis der Verdrängung der Schrift durch die abendländische Zivilisation zugunsten der phonè.“ (Dosse, Bd. 2, S. 41) Diesen Zusammenschluß von Zeichentheorie, Strukturalismus und Metaphysikkritik (vermittelt über Nietzsche, Freud, Heidegger) sollte man bei Derridas Begriff der Schrift im Hinterkopf behalten. Derrida versucht – eben als Philosophie und nicht als Linguist oder sprachanalytischer Philosoph – eine grundsätzlich wirkende, jedoch verdrängte Struktur freizulegen, die die abendländische Philosophie bestimmte bzw. bestimmt. Diese Schrift versteht Derrida nicht als die phonetische Schrift (etwa die Buchstabenschrift), sondern der Schriftbegriff umfaßt generell Zeichen und Ausdrücke des Graphischen. Hierunter fallen für Derrida Hieroglyphen genauso wie jene (für den Europäer zusammenhanglosen) Gravuren, welche die Nambikwara, fertigen.
„Wenn man aber die Schrift nicht mehr nur in ihrer strengen Bedeutung linear und als phonetische Aufzeichnung begreift, dann muß es erlaubt sein, jede Gesellschaft, die in einer Lage ist, ihre Eigennamen hervorzubringen, das heißt auszulöschen und mit klassifikatorischen Differenzen zu spielen, als Gesellschaft zu bezeichnen, die die Schrift im allgemeinen praktiziert. Dem Ausdruck ‚schriftlose Gesellschaft‘ würde also weder realiter noch auf der Ebene des Begrifflichen etwas entsprechen. Dieser Ausdruck stellt vielmehr, indem er den vulgären, das heißt ethnozentrischen Begriff der Schrift mißbraucht, den ethnozentrischen Onirismus wieder her. Die Geringschätzung der Schrift, das sei am Rande bemerkt, paßt sich sehr wohl diesem Ethnozentrismus an. Wir bewegen uns in einem nur scheinbaren Paradox, in einem jener Widersprüche, in denen ein vollkommen kohärenter Wunsch geäußert wird und in Erfüllung geht. Mit ein und derselben Geste verachtet man die alphabetische Schrift, serviles Instrument eines gesprochenen Wortes, das seine Fülle und Selbstpräsenz erträumt, und verweigert den nicht-alphabetischen Zeichen die Ehre, überhaupt Schrift zu sein. Diese Geste können wir bereits bei Rousseau und Saussure feststellen.“ (Gramm. S. 192 f.)
Diese „Grammatologie“ tritt dabei – zunächst – als Wissenschaft von der Schrift bzw. als eine „Anspielung“ (S. 13) auf die Bühne. Wobei die Fesseln derselben an die Metapher, die Theologie, die Metaphysik nicht einfach abzustreifen sind. Sich ihrer zu entledigen kann nicht im Akt der bloßen Opposition erfolgen, sondern bedarf der Strategien. In späteren Werken wird Derrida häufig von der „Strategie der Dekonstruktion“ sprechen. In der „Grammatologie“ spricht er von diskreten und verstreuten Anstrengungen (S. 14). Insofern ist hier auch mein Hinweis auf eine Philosophie an der Grenze und am Rahmen zu verstehen:
„… die Geschichte der Metaphysik von Platon (über Leibniz) bis Hegel und, jenseits ihrer scheinbaren Grenze, von den Vorsokratikern bis Heidegger. Eine Geschichte, die trotz aller Differenz den Ursprung der Wahrheit im allgemeinen von jeher dem Logos zugewiesen hat. Die Geschichte der Wahrheit, der Wahrheit der Wahrheit ist, bis auf die verschwindende, aber entscheidende Differenz einer metaphorischen Ablenkung, immer schon Erniedrigung der Schrift gewesen, Verdrängung der Schrift aus dem ‚erfüllten‘ gesprochenen Wort.“ (Gram. S. 11 f.)
Daß dieser Prozeß nicht umkehrbar, sondern ein notwendiger ist und daß es keine Idylle vor dieser Epoche gab, wird Derrida nicht müde zu betonen. Es gibt keinen Ursprung, an den es zurück ginge. Was bleibt, ist die Erfahrung einer ursprünglichen Teilung, gewissermaßen ein nicht-ursprünglicher Ursprung, ein immer schon geteilter Ursprung, für welchen Derrida den Begriff der différance prägen wird, der die Projektionen omnipotenter Ganzheit und die Fixierungen aufbricht bzw. subtil hintertreibt.
Danke für diese ausführliche Darstellung! Vor allem in den ersten Abschnitten wird auch deutlich, wieso die Erben Luhmanns, Dirk Baecker und solche, so auf Derrida abfahren – bei denen fragt man sich ja auch immer, wie das Subsystem Soziologie des Subsystems Wissenschaft die immanente Systemlogik und die Beobachtungen des Subsystem Wirtschafts beispielsweise beobachten können sollen. Die Antwort, die Derrida gibt, scheint da ja auch nicht wirklich befriedigend zu sein, aber er versucht sie wenigstens.
Bei dem sehr allgemeinen Schrift-Begriff musste ich schon auch an Cassirers Philosophie der symbolischen Formen denken, auch, weil man ahand derer evtl. die Wahrheitsfrage wie auch jene des Ethnozentrismus präzisieren kann: Bei dem ist der Weg vom z.B. magischen Symbol, Dreieck mit Auge drin, hin zur wissenschaftlichen Formmel der hin zur Abstraktion, zum Prinzipiellen und somit auch zur Wahrheit. Nun kann man eine Abfolge chinesischer Schriftzeichen zu e = mc hoch 2 in Beziehung setzen und könnte dann behaupten, daran sähe man ja wohl die kulturelle Überlegenheit der westlichen Wissenschaft gegenüber dem Maskentanz, Maske hier als Schrift verstanden. Diskutiert Derrida so was? Wenn nicht, ist die Zurückweisung des Ethnozentrismus ja auf den Hinweis beschränkt, dass alles Symbolische Schrift sei, und und das ist ja ein bißchen wenig.
Ich finde es auch plausibel, die Schrift als Möglichkeitsbedingung im von uns verwendeten Begriff von Geschichtsschreibung anzusehen und dieser Schriftlichkeit eine von der Analyse gesprochenen Wortes unabhängige Analyse angedeihen zu lassen. Auch, den vermeintlich schriftlosen Völkern die Geschichtslosigkeit zuzuweisen ist geschehen und geschieht: Schwarz = Natur = das Rohe, weiß = Kultur = das Gekochte, so ungefähr. Und Platon hat auch ganz auf den Dialog gesetzt – aber ansonsten finde ich die These von der Schriftvergessenheit völlig unplausibel. Das Wiedererzählen von ein paar Grundtexten bei den Chinesen, das Auslegen der Heiligen Schriften, bei Luther dann noch mal pointiert, der ganze Islam, die Literaturwissenschaft – und dass Geschichtsschreibung Quellenarbeit ist, ist ja sogar trivial. Woran macht Derrida das fest? Philosophisch-immanent an der Subjektphilosophie?
Danke Jungs, hab mich wieder mal köstlich amüsiert.
Ich finde vor allem auch den Hinweis auf die Philosophie Hegels und die Überlegungen der Frühromantiker Novalis und Schlegel sehr interessant. So hat Derrida in einem seiner letzten Texte implizit zugegeben, dass er Hegel lange Zeit missverstanden habe und dass sein Begriff der differance der hegelschen Dialektik sehr nahe kommt.
An welche Texte von Novalis und Schlegel wäre denn da zu denken? Bzw. hat sich Derrida in einem Text einmal explizit mit der dt. Romantik auseinandergesetzt?
Nur aus diesem Grund machen wir das hier.
Vorschläge zur Übersetzung von différance:
1. différance
2. Differens
3. Differanz
4. Differunz
Offtopic: Sollte nicht mal etwas zu Terry Eagleton geschrieben werden? Oder irre ich mich?
Ich habe letztens in seiner Ästhetikgeschichte („Ästhetik : die Geschichte ihrer Ideologie“) gelesen und wüsste gern, was der Autor dieses Blogs dazu denkt.
Ich finde es interessant, von Büchern zu lesen, die ich teilweise besitze, deren Einbandtexte mich jedoch schon abschrecken. Ich bin abgestoßen von der Formlosigkeit dieses Textes und gleichzeitig angezogen von der Unmittelbarkeit. Es wirkt uneditiert, es fehlt Revision; dieses wilde Denken bleibt nur Vorstufe zum vernünftigen Denken. Beispielsweise ist die Adorno/Horkheimer-Assoziation ein Kurzschluss, die beiden wollten etwas ganz anderes, und die DdA ist etwas anderes, als du unterstellst.
El_Mocho, neben dem Blogtitel bei Momorulez drüben steht ein sehr schönes Motto geschrieben. Ob Du wohl errätst, von wem es ist?
@ Momorulez
Auch ich danke Dir für Deinen ausführlichen Kommentar. Die Nähe Derridas zu Luhmann sehe ich bei einigen Figuren seines Denkens genauso. Das kann man dann auch noch einmal am Begriff der Differenz (bzw. différance) zeigen. Ein Neologismus, der Luhmann vom Konzept des Denkens her entgegenkommt und auf den er zudem in seinen Büchern verwiesen hat, wenn ich mich recht erinnere.
Was die Systemebenen betrifft: Dieses Verhältnis von Beobachtung erster und zweiter Ordnung und die Unabschließbarkeit, die dann eben zu einem unendlichen Regreß führen kann, wird bei Luhmann ja über den Begriff der Re-Entry wieder aufgelöst. Es gibt auch bei Luhmann kein Außen. Jeder Beobachter ist prinzipiell wieder beobachtbar. Die Entparadoxierung geschieht zum einen dadurch, daß man dieses Paradox anerkennt, es ist unaufhebbar, da es keinen höheren Ort, kein Draußen gibt, und zudem über den besagten Begriff der Re-Entry. (Ich verweise zur Erklärung ausnahmsweise einmal auf Wikipedia.)
(Diese Beobachter erster, zweiter Ordnung geht dann ja auch noch einmal in die Richtung der 1.,2., 3. Person.)
Cassirer ist mir nicht vertraut. Da kann ich leider nicht viel zu schreiben, inwiefern es da Korrespondenzen zu Derridas Begriff von Schrift gibt.
Um Begriff der Kultur: Derrida nimmt in der „Grammatologie“ eine intensive Lektüre von Lévi-Strauss vor. Es geht ihm insbesondere darum, diese Konzepte von (kultureller) Überlegenheit durch Wissenschaft in Frage zu stellen, gleichzeitig aber auch gegen eine Verklärung bzw. Idealisierung von anderen Kulturen als der Alternative zum Abendland zu arbeiten. In einer solchen Skepsis steht er sicherlich Adorno sehr nahe: daß man nicht plötzlich anfängt, sich als Bewohner des Amazonas, als Konfuzianer oder Buddhist zu fühlen, was schlechterdings auch gar nicht geht. Wichtig für Derrida ist jedoch, diese Sprache des Anderen ernst zu nehmen.
Derrida zeigt diese Präferenz des Gesprochenen (im Sinne von Anwesen, Präsenz, Sich-im-Sprechen-Vernehmen) vor der Schrift als generellen Zug der abendländischen Philosophie auf und macht dies z. B. an einige Stellen bei Rousseau, aber auch bei Platon und Aristoteles fest. Ich müßte diese Details im Grunde noch einmal nachlesen. Es geht nicht nur um den Akt des Zeichengebens, sondern auch um das Schreiben (die Schrift in ihrer Materialität) als Hinterlassen einer Spur. Das gesprochene Wort, was sich selbst vernimmt, steht dabei im abendländischen Denken, so Derrida, für einen Ausdruck reinster Reflexionsstruktur. Davon ist die Schrift lediglich abgeleitet. Dieses Abhängigkeitsverhältnis (so es überhaupt existiert, das wäre die Frage) problematisiert Derrida. Aus dieser Oppositionsbildung leitet Derrida seinen generellen Vorbehalt gegen Oppositionen ab.
Auch ich sehe beim Schriftbegriff Derridas einige Schwierigkeiten, denn die abendländische Philosophie steht ja wesentlich in einer Tradition der Schriftlichkeit. Ich versuche Derrida zwar zu verstehen, müßte dazu aber noch einmal die „Grammatologie“ durchgehen. Ich denke, daß ich irgendwann, allerdings nicht in nächster Zeit, weil ich momentan wieder sehr eingebunden in anderes bin, einen Extrabeitrag nur zum Begriff der Schrift machen muß. Das heißt dann jedoch, die „Grammatologie“ neu zu lesen. Die Fragen, die Du aufwirfst, sind damit allerdings noch nicht beantwortet. Zudem muß man diesen Schriftbegriff mit seinem Buch „Die Stimme und das Phänomen“ lesen, das ja eine Auseinandersetzung mit Husserl und der Phänomenologie ist, grob gesprochen.
@ msmd
Von Novalis wären seine theoretischen Schriften wie das Allgemeine Brouillon, Blüthenstaub, Philosophische Studien, Dialogen und Monolog zu nennen. Darin einfach ein wenig lesen. Gleichfalls bei F. Schlegel in den Fragmenten über die romantische Poesie (Athenäums-Fragmente etwa oder seine Schriften zur Poesie: Über das Studium der griechischen Poesie)
Eine Auseinandersetzung Derridas mit der Romantik findet nicht direkt statt, aber man müßte da wohl in seinen Texten zur Metapher (aus „Randgänge“ etwa) oder den Aufsatz „Der Entzug der Metapher“ lesen. „Falschgeld“ kann man da womöglich auch noch positionieren. Aber das sind alles keine direkten Auseinandersetzungen. Vielleicht finde ich aber noch etwas.
@ Bechstein
différance ist leider nicht übersetzbar. Ein solches einfaches Verfahren widerspräche auch dem Denken Derridas.
Die Assoziation zu Adorno/Horkheimer ist kein Kurzschluß, sondern – bei allen Unterschieden zwischen ihnen und Derrida – getragen von einer grundsätzlichen Kritik, die radikal ist, d.h. an die Wurzel des Übels herangeht. Daß nämlich bestimmte Denkstrukturen Mechanismen der Präformierung und der Zurichtung und damit auch bestimmte Weisen des Weltzuganges erzeugen. (Bei Derrida fehlt in der „Grammatologie“ sicherlich der Aspekt der Ökononie, obwohl dieser Begriff dort durchaus gestreift wird. Das muß ich jedoch nachlesen.)
Wieweit die Gemeinsamkeiten über den Begriff des Nichtidentischen bei Adorno und der différance reichen, ist dann noch einmal eine Sache für sich. Gemeinsam ist ihnen jedoch die Kritik und ide Kraft derselben gegen das zu wenden, was der Fall ist.
Adornos Philosophie der DA ist eine Kulturkritik, die aufs Ganze geht und hier sicherlich auch von Lukács‘ Begriff der Totalität borgt, obwohl der Terminus Kulturkritik dann auch wieder nicht stimmt, denn er erschleicht sich etwas, das eigentlich noch gar nicht ist. Adorno selbst thematisiert in seinem Aufsatz „Kulturkritik und Gesellschaft“ das Ärgernis, das diesem Terminus anhaftet, sowie das Problematische dieses Begriffes.
Ich weiß nicht, was Du mit dem ganz anderen meinst, auf das Adorno/Horkheimer hinauswollen. Natürlich wollte ich keine Parallele zum Begriff der Schrift ziehen, das wäre wohl ein Mißverständnis und diesbezüglich sind beide Ansätze völlig verschieden und aus einem ganz anderen Rahmen von Theorie her kommend. Allenfalls über die Phänomenologie läßt sich ein gemeinsamer theoretischer Strang, der kritisiert wird, ausmachen.
Eagletons Buch habe ich zwar vor langer Zeit gelesen, aber darüber schreiben wollte ich hier nichts, allenfalls es benutzen. Eine Kritik des Buches muß ich vertagen, weil es zu lange her ist, um ernsthaft und kompetent etwas dazu zu schreiben. Ich habe es jedoch nicht so in Erinnerung, daß es mein Denken tief bewegt hätte. Im Rahmen meines Postmoderne-Projektes plante ich jedoch auf Frederic Jamsons Buch „Spätmarxismus“ einzugehen. Ob das etwas wird? Ich weiß es nicht.
Laß Dich bei der „Dialektik der Aufklärung“ bloß nicht vom Einbandtext abschrecken! Was danach kommt, ist schon ganz ordentlich.
:D ifférance
Die Dialektik der Aufklärung wird meiner Erfahrung nach sehr seltsam rezipiert. Zuerst ist es, wie du ganz richtig schreibst, keine große Schrift sondern eine Samlung von Fragmenten. Dann schreibst du aber, dass dieser Entwurf aufs Ganze ginge und gleichzeitig an die Wurzel. Adornos Kritik ist hier aber nicht eine radikale, sondern eine rettende. Wenn es darauf hinauslaufen würde, dass Vernunft auf ewig identisch mit Herrschaft ist, hätte Adorno sich die ganze Dialektik ja sparen können.
Ich kenne Derrida nicht gut genug um große Vergleiche ziehen zu können, aber bis jetzt erscheint er mir als bloßer Skeptiker, der versucht hat, die Grundlagen der Aufklärung anzunagen.
Mein Interesse ist nicht philologisch, ich bin kein Adornit, aber es ist doch ein fundamentaler Unterschied, ob über die Aufklärung mit ihren eigenen Begriffen und Konzepten aufgeklärt wird oder die Begriffe und Konzepte selbst Ziel der Kritik werden.
Mitnichten schrieb ich, daß die DA keine große Schrift sei – das Gegenteil ist der Fall -, sondern „daß Adorno/Horkheimer ihren Text als ‚Philosophische Fragmente‘ und als ‚Flaschenpost‘ verstehen“. Dies ist dann doch etwas anderes.
Adornos Kritik ist eine Rettende, dies schließt freilich nicht aus, radikal zu sein. Eine nichtradikal-rettende Kritik stellt zudem eine Contradictio in adiecto dar.
Es mag einen Unterschied abgeben, ob über die Aufklärung mit deren eigenen Begriffen aufgeklärt wird oder ob diese Begriffe selbst zur Kritik stehen. Andererseits: Auch bei Adorno steht dieser Begriff in der Kritik, weil Aufklärung in ihr Gegenteil umschlägt. Insofern kommt bei Adorno/Horkheimer auch das Konzept der Aufklärung zur Kritik. Und man kann Derrida in der guten Tradition einer aufklärerischen Aufklärungskritik lesen. Zur Gegen- oder besser zu bezeichnen als Antiaufklärung (im Sinne des Reaktionären) gehört Derrida nicht. Ich würde diese Aspekte gerne noch weiter ausführen, habe heute aber keine Zeit mehr.
:-)
Ich finde in Bersarins Ausführungen keine Kritik der Aufklärung im so allgemein verstanden Sinne. Allenfalls in der nicht weiter ausgeführten „Logozentrismus“-Kritik, ein Begriff, der sich auch bei Ludwig Klages findet, aber im Text oben nicht weiter ausgeführt wird.
Das sind so habermasianische Standardkritiken, dieses „Adorno hat ja noch, aber der Derrida dann erst!“, die ich angesichts von Bersarins Unternehmung, mal Butter bei die Fische zu geben, etwas sehr weit von außen an den Text heran geteagen sehe. Es sei denn, man glaubt, Aufklärung sei mit Humanismus identifzierbar, was eine spannende Debatte ist, aber da wird Derrida vermutlich analog zu Foucault (und mit Heideggers Erwiederung auf Sartre) eine dezidierte und gut begründbare Gegenposition beziehen. Oder man bildet sich ein, die europãische Kultur sei einzig möglicher Träger der Aufklärung, um das Eurozentrismus-Thema anders zu pointieren, eben posituv wertend. Dann muss man sich aber schon im klaren darüber sein, dass Sklavenhalter und Kolonisatoren das auch so gesehen haben. Und Derrida begann mitten in den Ausläufern des Algerien-Krieges zu philosophieren, wurde er da nicht sogar geboren, in Algerien?
Und natürlich totalisieren Horkheimer und Adorno, indem sie die Gattungsgeschichte als Geschichte der Naturbeherschung verstehen, die sich noch in jeder individuellen Sozialisation wiederhole. Und natürlich verbleiben sie dabei im Eurozentrischen, weil sie das an Homer exemplifizieren und nicht an den Upanishaden oder den Hieroglyphen der Mayas. Und auch bei einer Vorstellung von wie auch immer vermittelter Natur würden sich Differenzen heraus arbeiten lassen – ich vermute, dass es bei Derrida das Eingedenken der Natur im Subjekt als zeitralen Topos nicht geben wird. Der verulkt in dieser Hinsicht den Lėvy-Strauss ja nachhaltig bei dessen Unuversaliensuche.
Und an solchen Punkten wird die Diskussion dann interessant, nicht jedoch anhand dieser Unterstellung der Gegenaufklärung.
Die ‚europãische Kultur‘ ist deshalb einzig möglicher Träger der Aufklärung, weil die Aufklärung (auch) die Begleitmusik zum Handeln des bürgerlich konkurrierenden Marktsubjekts ist und dessen Selbstbewußtsein formuliert. Ohne durchgesetzten Spätkapitalismus keine Aufklärung. „Eurozentristisch“ wird es erst, wenn daraus auf eine kulturelle Überlegenheit über andere geschlossen wird. Der Überlegenheitsgedanke steckt freilich im Konkurrenzbewußtsein selber drin, weil die Konkurrenz zur Durchsetzung gegen andere zwingt. Der Rassismus der Aufklärer ist darum nicht verwunderlich, sondern liegt in der Sache selbst begründet.
Sehr erhellend ist der Kommentar von Anthony Kenny zu Derridas Begriff „différance“ in seiner “NEW HISTORY OF WESTERN PHILOSOPHY“
“One can see what he means. If I say to the breakfast waiter ‘bacon and eggs’,
the meaning of what I say depends on the fact that at the moment when
I utter the word ‘and’ the word ‘bacon’ is in the past, but remains related to
it; moreover the ‘and’ is also related to the word ‘eggs’ that has not yet been
uttered, but is about to be related to it. Very true. And if that is what
deferrence means, then what Derrida says of it is perfectly correct: ‘it is not
the name of an object, not the name of some ‘‘being’’ that could be present.
And for that reason it is not a concept either.’ But that cannot be all
‘deferrence’ means, because we know that some of Derrida’s readers have
taken it to be a name of God—though Derrida reassures us that it ‘blocks
every relationship to theology’ (P 40). The various paraphrases we find of
‘deferrence’ in his texts are perhaps themselves an instance of deferrence:
IOUs that are quite distinct from a definition and which put off to an
indefinite future an actual conferment of sense.” (IV p. 93f.)
IOU ist übrigens die englische Abkürzung für “Schuldschein”.
Von eurem Oberguru, weiß ich doch. Und es beeindruckt mich auch wenig.
@ElMocho:
Wer sich definieren lässt, hat schon verloren … da reicht als Antwort eigentlich schon die Wittgensteinsche Kritik an sich selbst. Bemerkenswerterweise kommt es dann auch in der Analytischen Philosophie zu Aussagen wie „Die Grammatik eines Wortes ist …“, weil diese seine Verwendungsweise im Sprachzusammenhang bestimmt. Wenn Du das nun im Textganzen, nicht im Sprachzusammenhang, analysierst, dann stößt Du auf unverrückbare Voraussetzungen, textimmanent. Wenn Du diese angreifst und in sich als Unsinn entlarvst, indem Du zudem auf die unaufhebbare Differenz zwischen Signifikat und Signifikant verweist z.B. im Falle des Begriffs „Natur“, wo ja jeder immer zu wissen glaubst, was damit gemeint ist, wenn er in Kulturlandschaften wie Weizenfeldern herum läuft, dann bringst Du die Sprache ins Schwingen, weil die Reation zu „Welt“ jeweils eine andere ist, je nachdem, in welchem Text-Zusammenhang Du solche textimmanenten Verweisungszusammenhänge analysierst. So habe ich Derrida immer verstanden, haut das hin, Bersarin?
@Nörgler:
Ich vermute mal, dass Derrida exakt dem widersprochen hätte … was ja nicht heißt, daß er damit recht behält. Vielleicht kann da Bersarin da ja mehr zu sagen. Für mich ist tatsächlich immer schon schwierig zu verstehen, was überhaupt Gegenstand der Derridaschen Philsophie ist. Die Auseinandersetzung mit Rousseau, Lévy-Strauss, okay. Mit Texten als solchen, ja. Die Kritik der Humanwissenschaften und eines Philosphierens, das am Sprechen fest hät, ja. Aber darüber hinaus kann man ja gar nicht sagen, was Ökonomie ist, in diesem Denken, sondern nur auseinander nehmen, was darüber geschrieben wurde.
@ Bersarin:
Vielleicht nehme ich Metaphern zu ernst, ich habe einen anderen Begriff von radikaler Kritik.
Radikale Kritik der Religion schafft beispielsweise die Religion aus der Welt, weil sie die Wurzel der Religion freilegt, die dann verfault.
Aufklärungskritik, die radikal ist, erledigt nach meinem Begriff die Aufklärung, indem sie sie bloß stellt.
Nun ist radikale Kritik nicht zwingend materialistisch (ja, da holt die Haselmaus die Nüsse). Ich kann ja die Konzepte der Aufklärung (wie Naturrecht) als philosophischen Unfug betrachten (was Adorno mit Sicherheit tat), aber gleichzeitig hoffen und etwas dafür tun (wie eine Flaschenpost schreiben), dass sie überflüssig, also positiv aufgehoben wird.
Ich nicht, dass Derrida reaktionär ist, er ist sicher progressiv, die Frage ist nur, in welche Richtung.
@momorulez:
„Und an solchen Punkten wird die Diskussion dann interessant, nicht jedoch anhand dieser Unterstellung der Gegenaufklärung.“
„Ich finde in Bersarins Ausführungen keine Kritik der Aufklärung im so allgemein verstanden Sinne. Allenfalls in der nicht weiter ausgeführten ‚Logozentrismus‘-Kritik, ein Begriff, der sich auch bei Ludwig Klages findet, aber im Text oben nicht weiter ausgeführt wird.“
Na darum geht es doch auch.
„Das sind so habermasianische Standardkritiken, dieses ‚Adorno hat ja noch, aber der Derrida dann erst!‘, die ich angesichts von Bersarins Unternehmung, mal Butter bei die Fische zu geben, etwas sehr weit von außen an den Text heran getragen sehe.“
Jetzt mal ganz abgesehen davon, dass Adorno ja noch kein Volltrottel war, aber Habermas dann:
Ist es Ihnen entgangen, dass Habermas und Derrida am Ende dicke Freunde geworden sind?
Und natürlich ist es an den Text heran getragen, weil das genau mein Interesse ist. Herauszufinden, was es mit Derridas Denken auf sich hat. Und ich denke, dass eine Diskussion über Aufklärung sehr gut passt. Schließlich gab es für Derrida auch eine Notwendigkeit, überhaupt eigene Begriffe zu entwickeln, es ist ja nicht intentionslose Sprachphilosophie.
„Es sei denn, man glaubt, Aufklärung sei mit Humanismus identifzierbar, was eine spannende Debatte ist, aber da wird Derrida vermutlich analog zu Foucault (und mit Heideggers Erwiederung auf Sartre) eine dezidierte und gut begründbare Gegenposition beziehen.“
Aufklärung heute ist strenger Kommunismus, d.h. Aufklärung über die politische Ökonomie mit dem Ziel, die
derzeitige Form in einer höheren aufzuheben. Was das wiederum mit Humanismus zu tun hat, oder wo dieser im Wege steht bevor er ins Recht gesetzt wird, wäre die richtige Frage.
„Oder man bildet sich ein, die europãische Kultur sei einzig möglicher Träger der Aufklärung, um das Eurozentrismus-Thema anders zu pointieren, eben posituv wertend. Dann muss man sich aber schon im klaren darüber sein, dass Sklavenhalter und Kolonisatoren das auch so gesehen haben.“
Sklavenhalter können keine Aufklärer sein und waren es auch nie. Kolonisatoren schon eher (s. Noergler).
„Und natürlich verbleiben sie dabei im Eurozentrischen, weil sie das an Homer exemplifizieren und nicht an den Upanishaden oder den Hieroglyphen der Mayas.“
Also das ist jetzt kompletter Unfug. Welche Hieroglyphen meinen Sie? Und die Upanishaden sind doch kein Epos. Ich habe den Verdacht, dass Sie das Kapitel entweder nicht verstanden oder nicht gelesen haben; es ist doch offensichtlich kein beliebiges Beispiel.
@Beckstein:
Na, Sie sind mir ja ein Oberschlauer! Doch, ich habe über die DdA u.a. meine Philosophie-Prüfung abgelegt, und dass die Wahl der „Odyssee“ keine Zufällige ist, sagt ja nicht, dass die Upanishaden nicht der adäquatere Ausgangspunkt wäre. Fragense mal Afrikanistik-Studenten, was die davon halten, wenn man mit der Odyssee, dem magischen Denken, dem Mythos usw. los legt und alles, was nicht der europäischen geschichte entspricht und deren kolonisatorischen Ablegern, als Ihre Vorgeschichte behauptet.
Ich habe den Verdacht, dass Sie gar kein Interesse daran haben, sich mit Derrida zu beschäftigen, sondern irgendwas, was Sie eh immer fanden, mal eben los werden wollten. Was die typische Monologstruktur weißer, heterosexueller Bildungsbürgermänner wäre, die man mit Derrida prächtig kritisieren kann.
„Doch, ich habe über die DdA u.a. meine Philosophie-Prüfung abgelegt, und dass die Wahl der ‚Odyssee‘ keine Zufällige ist, sagt ja nicht, dass die Upanishaden nicht der adäquatere Ausgangspunkt wäre. Fragense mal Afrikanistik-Studenten, was die davon halten, wenn man mit der Odyssee, dem magischen Denken, dem Mythos usw. los legt und alles, was nicht der europäischen geschichte entspricht und deren kolonisatorischen Ablegern, als Ihre Vorgeschichte behauptet.“
So genaue Auskunft über das Elend im Studentenmilieu habe ich nicht erwartet. Und niemand hat behauptet, dass alles außerhalb der Geschichte der alten Welt (ich schließe bewusst den Orient mit ein) bloß Vorgeschichte sei.
„Ich habe den Verdacht, dass Sie gar kein Interesse daran haben, sich mit Derrida zu beschäftigen, sondern irgendwas, was Sie eh immer fanden, mal eben los werden wollten.
Ich habe doch genau geschrieben, dass es mich freut von Büchern zu hören, dich ich in absehbarer Zeit nicht lesen werde. Für Irgendwas, was ich mal eben los werden möchte, habe ich ein eigenes Blog.
Tut mir übrigens leid, dass ich hier einfach Kommentare schreibe.
„Was die typische Monologstruktur weißer, heterosexueller Bildungsbürgermänner wäre, die man mit Derrida prächtig kritisieren kann.“
Dann kritisieren Sie mal prächtig los, Sie schwarzes, queeres Verblödungsproletarierkind.
Nee ich hab jetzt die Verfilmung von Miyazaki gesehen. Weniger Fremdwörter, mehr Action.
*
Claude Lévi-Straussens, Traurige Tropen (stw): „Er hat eine Gesellschaft vor Augen, die ihm immer zur Verfügung steht: seine eigene; warum beschließt er, sie zu verachten und sich anderen, weit entfernten und völlig anders gearteten Gesellschaft mit einer Geduld und einem Eifer zu widmen, die er seinen Mitbürgern versagt?“
Warum wohl??
Ach, bei Derrida ist die Action schon ganz ausreichend.
Im Wettbewerb der Klappentexte steht bei meinem Buch etwas anderes. Aber es gibt ja unterschiedliche Ausgaben. Aber wir machen hier ja keine Klappentextphilosophie und mit Adorno heißt es immer wieder aufs neue „Oberseminar, meine Herren!“
Lévi-Strauss: Warum wohl? Das weiß ich nicht. Zumindest richtet sich Derridas Kritik gegen die Projektion, daß es woanders eine ursprüngliche, reine Kultur gäbe, die nicht befleckt ist. Damit sind wir bei dem Aspekt der Aufklärung, den ich im nächsten Kommentar anschreibe.
So ähnlich kann man es lesen. Obwohl das eine sehr eigene Interpretation ist. Der Begriff des unendlichen Kontextes, der sich nicht ausschalten läßt, spielt für Derrida eine zentrale Rolle. Dieser Begriff ist ja in der Searle/Derrida-Auseinandersetzung auch zentral gewesen. Ähnlichkeiten zu Wittgenstein und Derrida sowie zwischen Derrida und Davidson werden zuweilen ja auch ins Spiel gebracht. Wobei ich denke, daß hier die Parallellektüre nicht so weit führt. Derrida und Davidson sind anderes Terrain. Allerdings kenne ich Davidson nicht gut genug. Da er den Hegelpreis der Stadt Frankfurt/M erhielt, könnte an ihm ja sogar etwas dran sein ;-) Aber was sind schon Preise?!
Ich glaube jedoch, daß El_Mocho für diese Dinge nichts übrig hat. Weshalb dort Erklärungen nicht ankommen.
§1 Aufklärung ist kein ewig feststehender Begriff sondern je nach gesellschaftlicher und wissenschaftlicher Entwicklung zu verstehen. Die „bürgerliche“ Aufklärung ist im 19. Jh. mit dem Liberalismus als Ideologie in Widersprüche geraten, Karl Marx hat das erkannt und weiter gedacht.
§2 Waren die Südstaaten im amerikanischen Bürgerkrieg aufklärerisch (liberal oder kommunistisch)?
§3 Entstand das Judentum in Europa? Wurde Jesus Christus in Rom ans Kreuz genagelt? Gab es Kreuzzüge? Gab es arabische Gelehrte, die antike Erkenntnisse aufgriffen und weiter entwickelten? Gab es eine muslimische Expansion bis Spanien und Wien?
Ich glaube ich habe mich missverständlich ausgedrückt ich meinte : „Und niemand hat behauptet, dass alles AN ÜBERLIEFERUNG [fehlte] außerhalb der Geschichte der alten Welt (ich schließe bewusst den Orient mit ein) bloß Vorgeschichte sei.“ Sorry, war schon auf Vergangenes bezogen.
„Dass Sie Kolonisation als ggf. von „Aufklärern“ durchgeführt begreifen, das ist zumindest ehrlich und hat viel mit Derrida zu tun.“
Letzendlich waren es genau die Menschen, die die Gegenmittel zur Unterdrückung gleich mitbrachten.
*
Davidson sehe ich da auch nicht, obwohl ich den auch zu wenig kenne – in der Auseinandersetzung mit Rorty wird aber sehr deutlich, wie wichtig für ihn Gegenstandsbezug und Wahrheit sind, was ja, wenn ich Derrida, so weit möglich, richtig verstehe, bei ihm eher ein ständiges Verschieben, intra- und intertextuell, von Zeichen ist, der „Gegenstandsbezug“.
Zu Wittgenstein gibt es ebenfalls erhebliche Differenzen, gerade dann, wenn man die „Gebrauchstheorie“ sprachpragmatisch auflöst, wie Searle das tat. Aber wenn man sie konextualistisch, sozusagen, liest, hilft mir das bei Foucault wie auch Derrida immer ein wenig weiter. Und der „unendliche Kontext“ ist beim Wittgenstein der PU auch gegeben. Allerdings beim Sprechen.
Inzwischen sind hier einige Kommentare aufgelaufen und ich weiß gar nicht, ob ich alle Aspekte und Fragen beantworten kann. Zunächst einige Punkte
@ momorulez
Richtig: Derrida wurde in Algerien geboren und das hat für ihn sicherlich eine Folie seines Denkens abgegeben, zumal er Jude ist, allerdings relativ säkular aufgewachsten und nicht praktizierend, wenn man das so sagen kann.
Ja, der Logozentrismus und Klages: sehr schön: dazu hatte ich mir Notizen gemacht. Ich habe dann aber vorgesehen, dies für einen der nächsten Teile zu nehmen und kurz auf die Differenz hinzuweisen. Es besteht bei Derrida ein ganz anderer Ansatz. Die Differenz Körper/Geist ist völlig anders situiert und steht ja in der Kritik der Dekonstruktion.
Zur Aufklärung:
Bezüglich der europäischen Kultur sowie der Aufklärung würde Derrida dies einerseits ähnlich wie Nörgler formulieren. Er sieht diese Entwicklung als notwendige an, die nicht durchzustreichen ist oder hinter die man zurückfiele. Sie hätte auch nirgendwo anders stattfinden können. Andererseits wird der Aufklärungsbegriff als Epochenbegriff bei Derrida ähnlich problematisch gesehen wie bei Adorno in der DA. Insofern ist der Ansatz, daß das Bewußtsein der Überlegenheit (ökonomisch, kulturell, technisch) bereits im Konkurrenzgedanken steckt ein Aspekt, dem Derrida wohl folgen würde, wenn ich es mir erlauben darf für ihn zu sprechen. Vermutlich würde er allen diesen Überlegungen aber noch einmal eine ganz anderen Drehung geben, die ich leider nicht liefern kann.
„Der Rassismus der Aufklärer ist darum nicht verwunderlich, sondern liegt in der Sache selbst begründet.“ (Nörgler) Ja, das ist schon fast eine Derridasche Figur. Und insofern war der Hinweis von msmd auch auf Hegel sehr richtig. Derrida schätzte Hegel in seinen frühen und in seinen späten Schriften, Hegel und die Dialektik gehören zur Epoche der Metaphysik und zugleich stehen sie auf deren Grenze, so Derrida
Das Problem bei Derrida hinsichtlich der Aufklärung ist, wie bei vielen Begriffen, daß er selten explizit etwas dazu schreibt. Es gibt keine Schrift, keinen Text, wo er direkt die Aufklärung in den Blick nimmt.
Derrida weiß und sieht sich selber als Bestandteil dieser Kultur der Aufklärung, aus der es kein einfaches Herausspringen gibt. Wenn der den Blick des Anderen, die Sprache des Anderen ins Spiel bringt und als gleichberechtigte Stimme setzt, so bedeutet das nicht dieses Andere zu hypostasieren. Es geht Derrida dabei nicht um die Verklärung von „Natur“-Völkern (was schon an sich ein widersinniger Begriff ist) als Instanz des Besseren, denn diese Verklärung übersieht genau den ökonomischen Aspekt, so Derrida: daß diese Kulturen prinzipiell der kapitalistischen Ökonomie und der damit korrespondierenden Gewalt anheimgegeben sind. Derrida registriert – ähnlich wie Levi-Strauss, aber anders motiviert –, daß diese Kulturen verschwinden werden.
Die Positionierung Aufklärung (in einem weit verstanden Sinne, als systematischen Begriff genommen) und andere Kulturen als die westliche: das ist sicher eine spannende Perspektive.
Aber womöglich lese ich Derrida sehr von der Dialektik her.
Auch das Thema des Antihumanismus müßte man wohl noch angehen. Derrida steht dabei sicherlich stärker in dieser französischen durch (französischen) Hegel, Nietzsche und Heidegger geprägten Tradition. Deshalb, so denke ich in den 80ern diese Differenz zu Habermas.
@ bechstein
Zum Radikalen: Falsch: Eine radikale Religionskritik schafft die Religion nicht ab, sondern hebt die Religion auf. Gleiches gilt für die radikale Kritik der Aufklärung (man beachte dabei auch den amphibolischen Genitiv).
Adorno würde das Naturrecht nicht als kompletten Unfug abtun – darin Ernst Bloch ganz ähnlich, für den das Naturrecht eine bedeutende Rolle im Prozeß der Emanzipation spielte –, sondern diesen Begriff in seiner jeweiligen Situation und in seiner Anwendung und Entwicklung verorten. Adorno lehnt selten Begriffe rundheraus ab. (Vielleicht und allenfalls den des Sein, der Ontologie und der Anthropologie.)
Auch ich sehe, wie Momorulez dies zurecht schreibt, in meiner und Derridas Positionierung keine Kritik der Aufklärung im Sinne ihrer Nichtigkeit und ihrer Beseitigung. Und nebenbei gesprochen, was dabei herauskommt, wenn man Dinge, Theorien oder Menschen für einfach so beseitigt, daß sehen wir ja seit ewigen Zeiten: kulminierend im letzten Jahrhundert.
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Soviel zunächst kursorisch bemerkt. Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich nicht auf jeden Punkt eingegangen bin. Aber wer sich in bestimmten Aspekten nicht beachtet fühlt, der kann hier ja entgegnen. Alles geht nicht, und schon hier, in diesem schmalen Bereich erweist sich Derridas Theorie des unendlichen, unabschließbaren überschäumenden Kontextes als richtig.
Abschließend noch zu Derrida, ganz allgemein geschrieben: Dieses Thema kann man nur auf einem sehr langen Wege mit langem Atem angehen. Beim Lesen von Passagen aus der „Grammatologie“ kamen auch bei mir vielfache Zweifel auf; da muß man dann die Lektüre intensivieren, andere Texte mit hinzunehmen. Ich hoffe, daß ich diesen Pfad ein wenig beschreiten und hier einige Dinge den Leserinnen und Lesern nahebringen kann, die ein gewisses Interesse dafür aufbringen.
Derrida ist mit Hegel einer der schwierigsten Philosophen. Getoppt wird dies allenfalls noch von Lacan, dem man beim ersten Lesen gar nicht oder kaum versteht. Man muß sich also auf den Text einlassen. Dabei sind natürlich Hinweise, Kritik und Kommentar hilfreich.
Da bleibt mir nur übrig Dank zu sagen, für die Aufklärung ;-)
Auch Rorty muß ich da noch einmal lesen. Wobei ich für die Verbindungen zur sprachanalytischen Philosophie nicht so sehr der Experte bin.
Davidson wird, so wie ich das seinerzeit gelesen habe, immer als Beispiel für das Mißverstehen gebraucht. Man kann das am Beispiel der Malapropismen festmachen: Wo ein falscher Begriff verwendet wird und man trotzdem versteht: „Über uns schwebt das Sophoklesschwert“ etwa. Hier wäre dann eben der Kontext entscheidend, weshalb man den Satz dennoch versteht.
Glaube eher, dass Davidson eine pointierte Gegenposition bezieht, die in all den Light-Versionen der Postmoderne-Kritiker durchschimmert, habe jetzt selbst noch mal nachgegoogelt:
Klicke, um auf davidsons-bedeutungstheorie.pdf zuzugreifen
Es gibt allerdings diesen berühmten Aufsatz zur „hübschen Unordnung von Epiphanten“ oder so ähnlich, der eine darüber hinaus gehende Pointe hat, die ich aber wieder vergessen habe ;-) …
Dieses pdf ist aber ganz interessant, weil deutlich wird, wie völlig anders die am Elementarsatz bzw. dem Propositionalen – es ist der Fall, daß p – orientierte Analytische Philosophie operiert als die ganzen Text- und diskursanalytischen Verfahren. Da ist ein Dialog kaum möglich. Außer, wie gesagt, beim Wittgenstein der Philosophischen Untersuchungen.
Da waren ja die Kolonisierten ganz hilflos ohne die Kolonisatoren, wenn es darum ging, sich gegen diese zu wehren, diese dummen Dinger …
Genau diesen Aufsatz meinte ich. Sehr gut von Dir. Die Pointe wiedergeben, kann ich leider auch nicht mehr, weil die Lektüre Davidsons zu lange her ist. Danke auch für den Link. Wobei: wenn ich da hineinlese, werde ich gleich wieder krank ;-) (Man möchte doch bloß ein wenig Brot haben und erhält in der PDF trockene sprachliche Steine zum Lohn.)
Aber ich will jetzt gerade keine Debatte zur Sprachanalytischen Philosophie lostreten. Ich freue mich, daß es die gibt und daß kompetente Leute mir das erklären und nahebringen können.
Vielleicht probiere ich es irgendwann mit Tugendhats Vorlesungen. Wobei: das Blättern im Davidson-Text war schon ganz interessant. Aber solche Lektüre von Positionen der Sprachanalytischen Philosophie macht sich nicht nebenbei. Deshalb werde ich die Searle/Derrida-Debatte auch vor mich hin (oder heißt es her?) schieben.
Sehr schön auch diese Bemerkung von Anthony Kenny zu Derrida:
“Like the skilful rhetorician that he is, Derrida keeps his readers awake by
bringing in sex and death. We have already met death haunting the
performatives; we meet sex in equally irrelevant places. Talking to oneself,
we are told, stands in the same relation to talking aloud as masturbation
stands to copulation. No doubt it does. A no less apt comparison would
have been with solitaire vs. whist; but that would not have tickled the
reader in quite the same way. Again, at the end of the book of Revelation,
we read: ‘And the Spirit and the bride say Come! And let him that heareth
say Come!’ (22: 17). Derrida has written at length on this text, making great
play with the double entendre that attaches, in French as in English, to the
word ‘come’. If one were churlish enough to point out that the Greek
word translated ‘come’ cannot possibly have the sense of ‘achieve orgasm’,
one would no doubt be told that one had missed the whole thrust of the
exercise.“ (a.a.o., p. 95)
Gut beobachtet. Die meisten Anhänger Derridas können eben kein Griechisch.
Zusammenfassend sagt Kenny dann noch:
„It may appear unseemly to criticize Derrida in the manner just illustrated.
The reason for doing so is that such a parody of fair comment is precisely the
method he adopted in his own later work: his philosophical weapons are the
pun, the bawdy, the sneer, and the snigger. Normally, the historian tries to
identify some of the major doctrines of a philosopher, present them as
clearly as he can, and then perhaps add a word of evaluation. In the later
Derrida there are no doctrines to present. It is not just that an unsympathetic
reader may fail to identify or understand them; Derrida himself rejects
the idea that his work can be encapsulated in theses. Indeed, sometimes he
even disclaims the ambition to be a philosopher.
Is it not unfair, then, to include Derrida, whether for blame or praise, in a
history such as this? I think not. Whatever he himself may say, he has been
taken by many people to be a serious philosopher, and he should be
evaluated as such. But it is unsurprising that his fame has been less in
philosophy departments than in departments of literature, whose members
have had less practice in discerning genuine from counterfeit philosophy.”
(a.a.o.)
Gilt ja auch für Foucault, dass sich Fachphilosophen eher weniger für ihn interessieren, als Soziologen oder Pädagogen usw.
„Was die typische Monologstruktur weißer, heterosexueller Bildungsbürgermänner wäre, die man mit Derrida prächtig kritisieren kann.“
Allmählich hat die Platte einen Sprung. Worin siehst du eigentlich den besonderen zusammenhang von weiß und heterosexuell? Gibt es auch einen zwischen schwarz und homosexuell? Nicht dass ich wüsste.
http://metalust.wordpress.com/2011/02/04/toleranz-schwatzern-ins-stammbuch-geschrieben/
Und zur Beantwortung der Frage, wo ich die Zusammenhänge zwischen „weiß“ und „heterosexuell“ hinsichtlich gesellschaftlich dominierender Perspektiven sehe, kannste ja einfach mal Derrida lesen und nicht nur dessen Kritiker, die exakt diese Perspektivenfrage ja zugunsten der weiß-männlich-heterosexuellen immer wieder als die Allgemeingültige behaupten.
Die Grammatologie ist in den 60ern geschrieben, oder? Kannst Dich ja zu Fragen wie der Möglichkeit für Frauen, eigene Bankkonten in Frankreich zu eröffnen, der Segregation in den USA oder dem Tanzverbot in Hmaburger Lokalen, da Männer mit Männern tanzen wollten, in Hamburg informieren zu jener Ära – und was zu letzterem Niki Lauda heute noch sagt. Mir ist zwar selbst nie ganz klar geworden, wie Derrida auf diesen Feldern so ungeheuer wirkungsvoll werden konnte, aber er wurde es. Dieses „Die Platte hat einen Sprung“ bestätigt nur die Relevanz solcher Einwürfe.
Letzteres ist grober Unfug – mir ist kaum eine fachphilsophische Diskussion in den letzten 20 Jahre unter gekommen, da Foucault KEINE Rolle spielte. Eher ist die Analytische Philosophie häufig verabschiedet worden. Und wenn Du das, was Du hier rein kopierst, nun auch noch mit Derrida- und Foucault-Zitaten belegst, anstatt Vorurteilspflege zu betreiben, kann man da inhaltlich auch drauf eingehen.
El_Mocho, Dein Ansatz in der Philosophie kommt über „Bacon and eggs“ leider nicht hinaus. Es wäre doch gut, wenn man Derrida qualifiziert auf der Ebene der Philosophie kritisiert, sozusagen von Philosoph zu Philosoph. Anthony Kenny ist leider keiner und von Deiner Positionierung schweige ich aus Höflichkeit. Und wenn man in der Philosophie nicht so gut zu Hause ist, da kann es dann natürlich auch nicht auf Augenhöhe abgehen und man sollte besser keine Geschichte der Philosphie schreiben, sondern den Grundkurs Philosophie besuchen.
Daß einer da nicht ganz zu Hause ist, macht ja nichts, aber dann soll man wie der bekannte Schuster auch bei seinen Leisten bleiben. Das Zitat von Kenny spricht da bereits für sich und zeigt, daß er Derrida nicht zusammenhängend gelesen hat.
@ momorulez
Dem ist nichts hinzuzufügen. Genau so ist es.
„Zusammenhänge zwischen „weiß“ und „heterosexuell“ hinsichtlich gesellschaftlich dominierender Perspektiven“
Das bringt mich ja nun nicht weiter, und erklärt vor allem nicht deine angemaßte Sprecherrolle für „die Schwarzen“. Du kennst nur ein paar Leute aus Migrantenorganisationen oder Afrikanistik-Studenten, das hat doch nichts zu sagen.
Wenn du mal authentische Afrikaner treffen willst, geh mal nächsten Sonntagvormittag in irgendeine Kirche in der Nähe, da triffst du sicher welche. Die meisten Schwarzafrikaner sind nämlich praktizierende Christen; sie werden in den Gemeinden auch gut aufgenommen (Deutsche kommen ja immer weniger). „Africans profess all sorts of religious crap even when they know it is all nonsense.” http://www.lusakatimes.com/?p=25840
Ich finde deine Haltung ihnen gegenüber auch ziemlich bevormundend, eigentlich in typischer Kolonialistenmanier, nur mit umgekehrten Vorzeichen. Für dich kommen Menschen aus der Dritten Welt eigentlich nur als Migranten oder als Opfer des westlichen Imperialismus vor. Es sind aber nur 3% aller Menschen Migranten, die allermeisten (auch Afrikaner, Latinos, Asiaten) emigrieren eben nicht. Und von denen, die es tun, interessieren sich die allermeisten nicht für Foucault oder Post Colonial Theory, denn sie haben ganz andere Probleme. Ob irgendwo ein Sarotti-Mohr abgebildet wird oder das berühmte N-Wort fällt, geht ihnen ziemlich am Allerwertesten vorbei. Es sind Leute wie du, die sie auf eine Rolle festlegen und sie in postmodernistische Verschwörungstheorien einbeziehen wollen.
Leo Igwe aus Nigeria sagt dazu sehr gut:
“Whenever I try to fault or expose the absurdity of witchcraft accusations or the persecution of alleged witches or wizards, many people often urge me to set aside this my oyibo(white man’s) mentality. As if critical thinking is the exclusive cultural preserve of white people while mystical thinking is for blacks and for Africans. Personally, I am aware that the white race and the western world have recorded significant achievements in the areas of science and technology, in rational and critical discourses. They also have their own share of dark age nonsense, dogmas and superstitions.
But that does not make the values of science, reason and critical thinking western or white. The values of science and reason constitute part of human heritage, which all human beings can lay claim to, exercise, access, express, celebrate, cultivate and nurture. The progress which the western world has recorded as a result of their institutionalization of reason and science is one which any society can realize and supersede if it wants. Africans should stop hiding behind this misrepresentation that reason and science are unafrican western values. Africans should embrace the enlightening matrices of critical mindedness and work to dispel the dark age and barbaric mentality that loom large on the continent.”
http://www.butterfliesandwheels.org/2010/critical-thinking-and-the-african-identity-2/
Glaub mir, ich weiß wovon ich rede. Ich bin mit einer farbigen Frau (aus Südamerika) verheiratet.
Kein Philosoph? Kenny war Philosophieprofessor in Oxford, was willst du mehr? Das zeigt zumindest, dass hochqualifizierte Leute diesen Derrida für einen Scharlatan halten. Ich kann hier natürlich nicht das komplette Derrida-Kapitel aus Kennys Philosophiegeschichte posten, aber ein bisschen weniger intellektuelle Inzucht (sprich: immer nur Autoren lesen, die man schon kennt und mag, oder solche, die von diesen empfohlen werden oder sich auf sie beziehen) würde dir vielleicht auch nicht schaden.
Ich lese dann mal nach, was andere über Kenny geschrieben haben … natürlich ausschließlich das, was andere über ihn schruben, niemals ihn selbst. Ich finde das, was Bersarin über Dich schreibt, auch erheblich aussagekräftiger als das, was Du schreibst und werde mich in Zukunft an ihn wenden, wenn ich was über Dich wissen will.
@ El mocho
Daß jemand eine Professur für Philosophie hat, erweist ihn nicht als hochqualifiziert, zumindest nicht auf jedem Gebiet. Das was ich von Kenny gelesen habe bzw. was Du von ihm gepostet hast, zeigt mir nur, daß Kenny von Derrida keine Ahnung hat. Mehr nicht. Macht ja auch nichts: Aber wovon man nicht sprechen kann, darüber sollte man dann doch besser schweigen. Dieses Motto sollte doch jedem (sprach-)analytischen Philosophen geläufig sein.
Da scheint mir die Kritik von Putnam, die Hartmut auf K & K brachte, schon lohnender, obwohl ich auch diesen Ansatz von Philosophie, den Putnam betreibt, eher kritisch sehe.
Kritik muß schon auf Augenhöhe stattfinden, ich habe nichts gegen eine Adorno- oder Derrida-Kritik, wie sie etwa Habermas betreibt, damit kann man sich auseinandersetzten. Aber diese In-Bausch-und-Bogen-Verdammung zeigt nur, daß da jemand keine Ahnung vom Thema hat.
Zum Kommentar von El_Mocho am 9. Februar 2011 um 13:49
El_Mocho, Du verwechselst die Ebenen: Adorno, Sartre, Foucault, Derrida geben das Moment der Theorie, und ihre Texte zeigen in unterschiedlichen Ausprägungen und Herangehensweisen, weshalb es Rassismus gibt, wie er funktioniert. In diesem Bereich geht es um Strukturen. Wieweit sich Schwarze, Migranten, Marginalisierte dafür interessieren, steht dabei auf einem ganz anderen Blatt und tut nichts zur Sache, gegen Rassismus innerhalb der BRD vorzugehen und die Mechanismen, denen ich, denen Du unterliegst, darzustellen. Was soll dieser eigenartige Einwand von Dir? Soll das jetzt diese Theorien widerlegen? Und nebenbei: jemand der gerade einem höllischen Inferno entkommen ist, dem steht der Kopf nicht unbedingt danach, nun Literatur über die verschiedensten Formen des Purgatoriums zu lesen.
Und wenn Du den Blog von Momorulez genauer lesen würdest, sähest Du, daß er diesen Blick auf sich, auf den alltäglichen Rassismus, den man unfreiwillig auch selber reproduziert, zum Thema macht.
Afrika ist wohl etwas zu differenziert, um das auf Religion oder Hexerei zu reduzieren. Und auch bei diesem Denken spielt eben die kolonialen Struktur eine ziemlich große Rolle. Ein Stichwort hierzu mögen die Evangelikalen und ihr zunehmender Einfluß in verschiedenen Regionen in Afrika sein.
„Für dich kommen Menschen aus der Dritten Welt eigentlich nur als Migranten oder als Opfer des westlichen Imperialismus vor. Es sind aber nur 3% aller Menschen Migranten, …“
Ja und, was soll das jetzt aussagen? Deswegen geht es dann schon in Ordnung, diejenigen, welche hier Zuflucht suchen im Mittelmeer ertrinken zu lassen und sie unmenschlichen Prozeduren zu unterziehen? Du schmeißt alles in einen Topf, El_Mocho, rührst durch und dann gerät die Suppe in der Tat undifferenziert. Es geht um die Migranten hier, und es geht darum, daß sie eine Stimme haben und diese bekommen: nämlich ihre eigene. Anders habe ich die Texte von Momorulez nie gelesen. Es geht nicht um die gesamte Bevölkerung der Welt. Und in dem Zusammenhang, in welchem dieser Text Derridas steht, ging es um Strukturen des Ausschlusses und des Rassismus. Nicht um die Weltbevölkerung.
„Ob irgendwo ein Sarotti-Mohr abgebildet wird oder das berühmte N-Wort fällt, geht ihnen (den Schwarzen, Erg. v. Bersarin) ziemlich am Allerwertesten vorbei.“
Klar, es ist ihnen auch egal, wenn sie in einem Polizeirevier angezündet werden. Warum sollte sie für solche Dinge auch Interesse haben, wenn sie nicht gerade in der Nähe eines solchen Polizeireviers wohnen.
Man könnte hier eine Stunde lang und seitenlang schreiben, aber ich halte es fast für eine Verschwendung von Zeit, Dir diese Dinge erklären zu müssen. Erst meinte ich, Du willst, mittlerweile denke ich aber, Du kannst es nicht verstehen.
Ach, El-Mocho spielt hier einfach nur die üblichen Umkehr-Spielchen der Neuen Rechten, was sich schon daran zeigt, dass er von „authentischen Afrikanern“ schreibt, die natürlich allesamt christlich sind dann auf einmal. Ich schreibe zumeist über rassistische Stereotype in den Hirnen Weißer, weil ich mich da einigermaßen auskenne, bin ich ja auch, und mit denen bin ich schließlich aufgewachsen. Und beziehe mich im Falle afrikanischer Länder auf Bücher wie jene Frantz Fanons, die in antikolonialen Bewegungen eine ernst zu nehmende Rolle gespielt haben.
Und einen Schwarzen, dem das N-Wort am Arsch vorbei ginge, bin ich in unseren Breiten noch nicht begegnet. Und wenn ich auf sie treffe, dann halte ich schlicht die Schnauze und höre zu und sorge dafür, dass andere auch zuhören. In solchen Fragen, also wenn es über den Radius innerdeutscher Debatten hinaus geht, bin ich eh eher an Habermas orientiert und an einer Foucault-Lesart, die diskursive Gegenmacht verstärken hilft, um dominierende Deutungen, z.B. die, die Du hier produzierst, nicht allein im Raum rum stehen zu lassen. Dieses dämliche Argument, dass der Proletarier ja „Das Kapital“ gar nicht gelesen habe, kommentier ich noch nicht mal. Und meine Vorstellungen darüber, welche Rolle jemand seiner „farbigen“ Frau zuweist, der zugleich in anderen Zusammhängen emphatisch die Klitorisbeschneidung als urafrikanische Tradition feiert, behalte ich mal auch für mich, verletzend werden kann ich nämlich auch, gerade weißen, heterosexuellen Arschlöchern gegenüber – wer Adorno als solches tituliert, wird wohl damit leben können, dass man ihn auch so nennt.
Nun ja, ich kann wirklich nur empfehlen, mal in eines der Herkunftsländer der von dir so geschätzten Migranten zu reisen, da würden deine idelaisierten Vorstellungen sich in null komma nichts in Rauch auflösen. Dort interessiert sich niemand für Fanon oder Foucault, die interessieren nur hiesige Linke, denen das Proletariat abhanden gekommen ist, und die nun erwarten, dass die Menschen der dritten welt für sie den Kapitalismus abschaffen. Die denken aber garnicht daran und würden selber gerne funtkionierenden Kapitalismus in ihren Ländern haben.
ist ja immer ganz witzig, zu sehen, worüber sich du oder deine Freunde aus der Migrationsindustrie erregen, und es mit der Erfahrung meiner schwarzen Verwandten zu vergleichen. Mein Schwager studiert Medizin in Medellín in Kolumbien, und er muss immer mehr leisten als seine weißen Komilitonen, sagt er. Sowas gibt´s also nicht nur in Deutschland. dass Schwarze faul sind habe ich dort (von Weißen) schon mehr als einmal gehört, und niemand scheint ein Problem damit zu haben, sowas von sich zu geben. Für meine Frau ist das jedenfalls klar, dass die Latinos wesentlich rassistischer sind, als die Deutschen, zumindest kann sie hier in ein Geschäft gehen, ohne dass ständig ein Verkäufer hinter ihr steht und aufpasst, dass sie nichts klaut..
Die Schwarzen heißen übrigens im ganzen spanischen Sprachraum (400 Millionen Menschen) „Negros“, was soviel bedeute wie Schwarze. Sie nennen sich auch selber so, und im Grunde ist das ja nichts anderes als das berühmte N-Wort im Deutschen. Und die hier lebenden haben ganz andere Probleme, als sich darum zu kümmern, es ist für sie z.B. ziemlich wichtig, ihren Berufsabschluss anerkannt zu haben um qualifizierte Arbeit zu bekommen. Der Prozess ist ermüdend und dauer etliche Monate, Papiere übersetzen lassen, einschicken zur KMK in Bonn, usw. Und das ist nicht auf rassistische Diskriminierung durch deutsche Behörden zurückzuführen, schließlich kann man nicht jeden, der irgendein Diplom von Irgendeiner Uni vorweist, einfach so als Arzt praktizieren lassen, oder? Da bestünde wirklich Grund, sich zu beklagen.
Kurz: deine Vorstellungen sind fern der Realität, und dein moralisierender Habitus ist schlicht lächerlich, er läuft darauf hinaus, z.B. die Afrikaner auf eine angebliche Identität festzulegen, die sie garnicht wollen (wie sagt Leo Igwe: „As if critical thinking is the exclusive cultural preserve of white people while mystical thinking is for blacks and for Africans.“ Genau das sagst du auch: Wissenschaft und Rationalität sind eine Erfindung von Kapitalisten und Imperialisten, lasst lieber die Finger davon und wendet euch den Diskurstheorien (=wichtcraft) zu.
Übrigens bin nicht ich es , der „die Klitorisbeschneidung als urafrikanische Tradition feiert“, ich habe nur darauf hingeweisen, dass es Afrikaner gibt die das so sehen. Und das sind genau die Leute, die z.B. Leo Igwe in Nigeria verfolgen. Der hätte deine Solidarität verdient,nicht diese lächerlichen Berufsmigranten vom „braunen mob“ die in Deutschland geboren sind und sich an lächerlichen Spektakeln des Privatfunks wie „Popstars“ beteiligen (http://de.wikipedia.org/wiki/Noah_Sow).
Sowas wäre für dich unter anderen Umständen der allerletzte Pöbel.
Ich schrieb es schon einmal: Du verwurstet und vermengst verschiedene Dinge. Wenn ich bzw. wenn Migranten die Situation von Migranten in der BRD thematisieren, dann kann ich zwar mit Kolumbien oder mit verschiedenen afrikanischen oder asiatischen Ländern vergleichen; es ist aber unsinnig, das in eins zu setzen, weil die Repressionsmechanismen andere sind. Und es hat hier doch niemand behauptet, daß ab südlich von München und nördlich von Flensburg nur Unschuldsengel leben.
Zum Thema der Frauenbeschneidung müßte ich mich im Detail informieren: Was die Ursachen sind, wo das herkommt, in welchen historischen Zusammenhängen dies steht. Frauenbeschneidung ist zu verurteile ist, dies steht außer Frage; kaum jedoch ist sie genetisch angeboren.
Ein Begriff ist in seinem Gebrauch nie immer nur gleich, sondern steht in Kontexten seiner Verwendung. Dies solltest Du mit einer gewissen Affinität zur Sprachanalytischen Philosphie besser wissen. Wenn ein schwarzer Rapper „Nigga“ singt, ist das denn doch etwas anderes als wenn ich einen Schwarzen hier oder den US-Zöllner bei der Einreise in die USA so begrüße.
„Migrationsindustrie“, „Berufsmigranten“ – Noah, mit der ich befreundet bin, kommt aus Bayern.Nun kann man bayrische Einwanderung nach Hamburg auch als „Migration“ begreifen, das ist aber schon noch mal ein anderer Problemzusammenhang. Diese Affekte gegen schwarze Deutsche, dies es auch noch wagen, eine Selbstorganisation von Journalisten zu betreiben und durch die Kritik rassistischer Stereotype Völkischen wie Dir in die Suppe zu spucken, sind mir zwar bestens geläufig als Sympton dessen, was Scheiße ist in Deutschland, das macht Deine Ausführungen aber nicht besser.
Dein offenkundig trotz Ehefrau tief sitzender Rassismus zeigt sich doch schon an dieser Zuschreibung,“Berufsmigrant“, und das ist das, was ich in der Regel thematisiere: Die hiesigen Mechanismen. Falls in Südamerika – den bisher übelsten Rassismus, der mir so begegnet ist, habe ich unter Deutschstämmigen in Brasilien erlebt, nicht zufällig im Umfeld eines „Goethe-Instituts“ – irgendwer „Negro“ als Selbstbezeichnung verwenden sollte, so ist das ein völlig anderer Verwendungszusammenhang als hierzulande.
Ich lege niemanden auf eine Identität fest, ich greife aus der Literatur Fälle auf, in denen Schwarze beschrieben haben, wie es sich anfühlte, dass Kolonisatoren ihnen eine solche zuschrieben. Das ist ein ganz anderer Mechanismus. Essentialismen wirst Du bei mir nicht finden.
Ich habe nie behauptet, dass Rationalität im Allgemeinen eine Erfindung von Imperialisten und Kapitalisten sei. Allgemeine Vernunftkritik in diesem Sinne wirst Du bei mir nicht finden.Ich kritisiere ganz wie Kant, Habermas und Foucault mit Mitteln der Vernunft spezifische Rationalitäten. Ob das bei Derrida auch so ist, das wäre die viel interessantere Frage für diesen Thread, da bin ich mir nämlich immer nicht so sicher, ob das noch rational ist, was der macht und wenn ja, in welcher Hinsicht.
„Ob das bei Derrida auch so ist, das wäre die viel interessantere Frage für diesen Thread, da bin ich mir nämlich immer nicht so sicher, ob das noch rational ist, was der macht und wenn ja, in welcher Hinsicht.“
Hier wäre die Frage, wie sich Rationalität entfaltet und was man (ausschließend und damit auch einschließend) darunter versteht.
Ich selber lese Derrida als rationalen und aufklärungskritischen Aufklärer, darin der DA folgend, wenngleich seine Motive andere sind. Ich hoffe, daß ich diese Dinge, so peu a peu in einer Folge loser Aufsätze, hier darstellen kann.
Ich habe jetzt noch mal diese Kimmerle-Einführung und den Aufsatz zur Struktur, dem Zeichen und dem Spiel in der Wissenschaft vom Menschen quer gelesen und zweifel aktuell eher am rationalen Gehalt der Philosophie Derridas – aktuell tendiere ich dazu, dass er tolle Stichworte geliefert hat insbesondere hinsichtlich Differenz und Dezentierung und Dekonstruktion, „Logozentrismus“ finde ich persönlich nicht so dolle, dass er aber in der konkreten Durchführung eher Philosophie-Satire betreibt. Und es damit Leuten wie El Mocho sehr leicht macht. Aber ich lasse mich gerne eines Besseren belehren.
Ich will mich (noch) nicht festlegen, kann aber darum auch nicht ausschließen, dass an dem, was Momorulez sagt, etwas dran ist.
Als Philosophie-Satire würde ich den Text Derridas nun nicht bezeichnen. Gleiches behauptete man ja auch vom Text Hegels. Wenngleich es Derridas Text einem nicht leicht macht. Zudem würde ich zwischen seinen generalisierenden Texten, wie dem Anfang der Grammatologie, und den Aufsätzen, wo er ins Detail geht, etwa seine Lektüre Nietzsches oder Celans, unterscheiden.
Die Großtheorie, daß in der Geschichte der abendländischen Philosophie Sein immer als Präsenz gedacht wurde, ist einerseits verkürzt und bleibt bei Derrida im vagen:
„Man könnte zeigen, daß alle Namen für Begründung, Prinzip oder Zentrum immer nur die Invariante einer Präsenz (eidos, arche, telos energeia, ousia [Essenz, Existenz, Substanz, Subjekt] aletheia, Transzendentalität, Bewußtsein, Gott, Mensch usw.) bezeichnet haben.“ (S. 424, Die Schrift und die Differenz)
So etwas geht über eine These nicht hinaus, und es läßt sich wahrscheinlich zeigen, daß es nicht einmal stimmt, zumindest wenn ich das von der Philosophie Hegels her lese.
Auch seine Kritik am Logos als immer schon päsentistisch gedachtes Wesen der Philosophie erscheint mir unterbestimmt. In die Klages-Richtung geht Derrida freilich nicht: es wird bei ihm kein Körper gegen einen zurüstenden (abendländischen) Geist ausgespielt.
Ich merke leider, daß eine Arbeit im Detail sehr schwierig ist und einen langen Atem, sprich, Zeit benötigt. Die habe ich im Moment zu wenig. Ich hoffe aber, Derrida Stück für Stück darstellen und zur Diskussion bringen zu können. Ich selber bin mir beim wiederholten Lesen Derridas nicht sicher, was von ihm bleibt, und je näher ich auf den Text sehe, desto fremder blickt er leider auf mich zurück. Auch merke ich, daß es mit meiner bloß kursorischen Lektüre nicht getan ist. Ich werde mich hier in der Lektüre Schwierigkeiten aussetzen.
Vielleicht kommt bei dieser Lektüre heraus, daß die Philosophie Derridas problematische Stellen enthält. Teile davon mögen brauchbar sein und bleiben bestehen – insbesondere die zur Ästhetik und eine grundsätzliche Skepsis gegen Essentialismus, Starre und Zurichtung; andere Teile seiner Philosophie waren einem Ton der Zeit geschuldet. Daß Oppositionen keine naturgegebenen, sondern auflösliche sind, zu dieser Erkenntnis bedarf es sicherlich nicht Derridas. Das thematisierte Hegel in seiner Logik anhand des Unterschieds. Aber die Art, wie und in welcher Weise (auch sprachlich) das zum Thema gemacht wird, gibt Hegel noch einmal in eine andere Richtung.
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Der „Gespenster“-Text wäre mir womöglich dauerhaft verrätselt geblieben, kennte ich nicht Marx. Die Darstellungsweise ist recht kryptisch. Der Text scheint mir verbergender, als es erforderlich gewesen wäre, es sei denn, es existiert eine Dimension im Text, die ich noch nicht gesehen habe. Ich will das nicht ausschließen.
Derridas Marx-Text ist, wie fast alle seine Aufsätze oder Bücher, schwierig zugänglich, teils kryptisch, gespensterhaft, womöglich zu guten Teilen genauso ein Text über Hamlet und die Frage vom Geist. Auch bei Derridas Text läßt sich sagen, daß die Darstellung dem Dargestellten nie ganz äußerlich ist; insofern ist die Weise des Textes zugleich eine performative und mit der Rhetorik verwoben. Bereits der Auftakt, die Frage zum Beginn des Textes, zeugt vom diesem rhetorischen bzw. artifiziellen Moment. Allerdings benutzt Derrida diese Form der gleichzeitigen Anspielung und Parodie auf jene Fragen in den platonischen Dialogen häufig. Der Text Derridas besitzt zuweilen eine ganz und gar eigenwillige Dialogstruktur, wo einer dieser Dialogpartner gespensterhaft abwesend ist und zugleich dabei gegenwärtig.
Der Text Derridas arbeitet mit den Mehrfachbedeutungen und damit einhergehen mit den sich verschiebenden, nie ganz zu bändigenden Kontexten. Dies macht sicher eines der kryptischen Momente aus. Was diese Form betrifft, so hat er mit dem Text Benjamins einiges gemeinsam. So daß beiden häufig der Ton eines beschwörenden Raunens vorgeworfen wird.
Es funktioniert wohl nicht bei jedem Text Derridas: aber man muß (oder sollte) sie – auch – als ein Kunstwerk lesen, das mit den Grenzen von Literatur und Philosophie spielt, ohne sich aber auf eine der Seiten zu schlagen oder die Opposition aufzulösen oder gar in in blindes Gären und ein Prärationales abzugleiten. Manche Kritiker sprechen von Derridada, und auch wenn diese Kritik zumeist abwertend gemeint ist, so steckt darin dennoch ein Moment der Wahrheit, so wie in den Formen des Dadaismus, insbesondere 1916 im Züricher Cabaret Voltaire auf dem Höhepunkt des Ersten Weltkrieges, ein Wahrheitsmoment steckt.
Die Kenntnis der Texte, über die Derrida schreibt, ist allerdings meist unumgänglich, ansonsten versteht man in der Tat wenig.
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