Immanuel Kant – Zum 205. Todestag

 Ich habe ihn, ich gebe es zu, vergessen vor lauter Thomas Bernhard: Immanuel Kant, welcher heute seinen 205. Todestag hat. Bernhard zumindest hätte es gefallen, am selben Tag sterben zu dürfen, wie jener große Philosoph der Aufklärung, zumal Bernhard schließlich ein Theaterstück mit dem Titel „Immanuel Kant“ geschrieben hat.

Kein besonderer und extra runder Todestag heute, doch ein besonderer Philosoph, der gerade jetzt in den Zeiten einer allgemeinen Manipulation durch die Medien und in der es kaum noch mediales, kritisches Gegengewicht gibt, wichtig ist und es wert ist, immer wieder und wieder gelesen und studiert zu werden. (Als kleines aufklärerisches Korrektiv sei hier etwa auf die Nachdenken-Seite oder auf „Kritik und Kunst“ verwiesen, um nur einige Seiten zu nennen.)

Also auf die Schnelle (was eigentlich ungerecht gegen ihn ist): ein paar Sätze zu Kant. (Doch ungerechter noch wäre es, gar nichts zu schreiben über diesen Großen aus Königsberg. Ich hätte heute – naturgemäß – auch gerne etwas zu Darwin geschrieben, doch die traumatischen Erfahrungen aus dem Leistungskurs Biologie halten mich davon ab.)

Nicht nur bedeutet Aufklärung, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, wie es Immanuel Kant in seiner Schrift „Was ist Aufklärung“ schrieb, sondern es ist diese Aufklärung eine Lebenshaltung, um – zumindest im Denken, wenn es in der Praxis schon kaum noch möglich ist – standhaft zu bleiben innerhalb einer Welt, in der dauernd manipuliert und getrickst wird, um Menschen für dumm zu verkaufen und sie dahin zu bringen, wohin man sie haben will. Als kleines Nebenher-Mäandern: daß ausgerechnet die FDP, der Antreiber eines radikal neoliberalen Kurses, in der größten Wirtschaftskrise seit 1929 mit 18 % in den Umfragen dasteht, ist wohl eigentlich als ein Hohn anzusehen: um billig zu kalauern: es wählen sich die Kälber ihre Metzger selber, das Bürgertum glaubt, durch diesen Akt vorauseilenden Gehorsams noch einmal davon zu kommen: aber sie täuschen sich. Es kommt eben keiner so einfach davon, nur weil er auf den Gesang der Sirenen hört und sich mit dem Aggressor gemein macht: das, was die Krise eigentlich ausgelöst hat, soll sie wieder austreiben: lächerliche Homöopathie, die dem Publikum um den Bart geschmiert wird. Wie heißt es bei Heiner Müller: Erst wenn sie mit Schlachtermessern durch eure Schlafzimmer geht, werdet ihr die Wahrheit wissen. So wird es leider kommen, und bei dieser nächsten Bundestagswahl 2009 wird der aufklärerische Impuls kaum Wirkung zeigen.

Aber um aus der unnützen Aufregung zurückzukommen: Insofern ist Aufklärung und Entschleierung hier mehr als wichtig, insofern tut Kant mehr als Not, nicht nur im Feld der theoretischen Philosophie die Grenzen der Metaphysik aufgezeigt zu haben, auf daß sie nicht Ansprüche erhebe, die ihr nicht zustehen, sondern auch im praktischen Bereich einer Ethik das Fundament zu sichern, ohne hier auf theologische Prämissen oder – als Gegenposition – auf das größte Glück der größten Zahl, also einen Utilitarismus, zurückgreifen zu müssen. Wie wäre es: wenn man einen Menschen opferte, um dafür 10 oder 100 oder 1000 usw. Menschen retten zu können? (Adorno sind solchen Beispiele ein Greuel, weil sie bereits Ausdruck des verdinglichten Denkens sind. Zu recht.) Nach Kant ist ein solches pragmatischen Verhalten, das sich am bloßen Kosten-Nutzen-Kalkül orientiert, völlig unstatthaft, und es gäbe für die Entscheidung, den einen zu opfern, keinerlei Begründung. Darin eben ist Kant so bedeutsam: daß es nicht um den kurzfristigen Effekt und Erfolg einer Handlung gehen kann, sondern daß etwas Prinzipielles im Vordergrund steht und Handlungen reflektierend leiten muß. Vielleicht läßt sich deshalb nach dem Scheitern des Marxismus, weil das historische Subjekt Proletariat aus der Geschichte sich verabschiedet hat, und jenseits oder diesseits einer Habermasschen Diskursethik mit der Kantischen Philosophie etwas anfangen, um eine Form der Begründung für Handlungen zu finden. Manchmal können ein oder zwei Schritte zurück gut tun, um einen Blick aus einer Ferne auf die vertrauten Dinge zu gewinnen. (Siehe auch da Karl Kraus-Wort)

Was man Kant, etwa von der Position Hegels aus, vorwerfen mag, ist dieses Ziehen von Grenzen, in denen die Vernunft ihren Bereich absteckt, denn nach Hegel heißt es, eine Grenze zu setzten, bedeutet, sie bereits zu überschreiten. Aber nicht nur innerhalb der theoretischen Vernunft, daß diese nämlich ihre eigenen Fähigkeiten nicht ausreizen möge zugunsten einer haltlosen Metaphysik, sondern auch zwischen der praktischen und der theoretischen Vernunft tut sich im Kantischen System eine Kluft und Grenze auf. Die am Ende offene Frage, wie die beiden Aspekte der Vernunft, nämlich der theoretische und der praktische, sich zuletzt vermittels einer „Kritik der Urteilskraft“ noch zusammenbringen lassen und ob überhaupt ein solcher Holismus wünschenswert oder möglich sei, dies gibt immer noch die große Frage der Moderne oder, mit dem leider in Vergessenheit geratenen Lyotard gesprochen, der Postmoderne ab. (In seiner Schrift „Der Widerstreit“ findet diesbezüglich eine hochinteressante Auseinandersetzung mit Kant statt.) Diese Fragen und die Entschleierung der Verhältnisse halten Kant in der kritischen Auseinandersetzung mit der Gegenwart, denn nach ihm ist nur der kritische Weg allein noch offen, immer wieder aktuell.

Wie Ernst Bloch es schrieb: Kant ist das Schwarzbrot der Philosophie, was sagen will, daß seine manchmal etwas trockene Sprache nicht immer die „Lust am Text“ weckt; aber doch ist die Kantische Philosophie ein Grundnahrungsmittel, es geht um den Akt des Denkens, die Leistung der Vernunft, wenngleich sie sich in ihrer Selbstbewegung bei Kant noch nicht selber erkannt hat, dies geschieht erst mit Hegel. Aber wer einmal in diese Welt des klaren Gedankens und der klaren Sprache der Kantischen Philosophie eingedrungen ist, den lassen diese Sätze und dieses Denken so schnell nicht mehr los. Bis zu Hegel ist es dann nur ein kleiner Schritt. Zumindest aber ist die Kantische Philosophie für die heutige Zeit unentbehrlich. Denn die Aufklärung ist ein Projekt, welches noch sehr jung ist und eigentlich gerade erst eröffnet wurde. Momentan sind wir auf einem Weg in die andere Richtung. Vor allem in den Zeiten der Krise, wenn die Peitsche des Herren lauter knallt und die Rufe der gedungenen Antreiber und Aufseher schärfer werden, ist es in der kuscheligen Strohecke des Stalls besonders gemütlich und warm.

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